Haben ESC und Kirche eine Schnittmenge? Auf jeden Fall, wenn man sich den Vorstand des ECGermany - eines der beiden deutschen Eurovisions-Clubs - mal genauer anschaut. Denn Erwin Wiesen, zweiter Vizepräsident des EC, ist Mitglied des Pfarrgemeinderats Ormont in der Eifel. Und Schatzmeister Chris Köther aus Wuppertal ist Presbyter in der Evangelischen Kirchengemeinde Vohwinkel.
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Für Erwin Wiesen war der Weg in die Gemeindeleitung seines Heimatdorfes ziemlich gradlinig: Vor fast 25 Jahren wurde er als Jugendvertreter in den Pfarrgemeinderat berufen, danach wurde er in das Laien-Gremium gewählt. Von 2000 bis 2012 war er Gemeinderatsvorsitzender, eine Position, die er nach einem Umzug auf eigenen Wunsch wieder abgab. Nun ist Wiesen ein ganz normales Mitglied des Pfarrgemeinderats, der selbst außergewöhnlich ist. Nicht nur weil er mit Erwin Wiesen jahrelang einen schwulen Vorsitzenden hatte, sondern weil die Hälfte des Pfarrgemeinderats inzwischen jünger ist als der 42-Jährige.
Wiesen und seine Mit-Gemeinderäte haben alle Hände voll zu tun, auch wenn ihr Dorf nur 400-Einwohner hat. Selbst in Malmö, wo der Eurovisions-Enthusiast aus der Eifel in der Woche vor Pfingsten die Proben und Begegnungen beim Eurovision Song Contest 2013 miterlebte, antwortete Wiesen auf die Mails aus der Gemeinde. Denn zu Pfingsten ist er wieder in seiner Gemeinde im Einsatz. Ministranten- und Firmlingsarbeit, Seniorennachmittage und Krankenbesuche: Wiesen ist immer dabei.
"We are one" könnte auch ein Kirchentagsmotto sein
Auch Chris Köther war ursprünglich katholisch, trennte sich als bekennender Schwuler aber mit Mitte 20 von der katholischen Kirche. Später fand er einen neuen Freund, der ihn bat, sich die evangelische Kirche doch wenigstens mal anzuschauen. Zwei Jahre lang ließ er das Gemeindeleben in Leipzig auf sich wirken und trat 2003 in die evangelische Kirche ein. Gleich nach einem Umzug in seine alte Heimat Wuppertal suchte er 2005 in Vohwinkel den Kontakt zur Gemeinde, in der er sich seitdem zuhause fühlt, auch weil er in seiner Kirche 2008 seinen Mann heiraten konnte. 2012 ließ sich der 51-Jährige bei den Presbyteriumswahlen in den Finanzausschuss seiner Gemeinde wählen.
So unterschiedlich ihre Wege in die Laien-Gremien waren, so einig sind sich beide, wenn sie sich in Malmö auf zahllosen Flaggen und Plakaten die Eurovisions-Losung für 2013er Song Contest anschauen. "We Are One" steht da, "Wir sind eins". "Das könnte doch ein Motto für jeden Kirchentag sein", findet Erwin Wiesen. Für Chris Köther ist es das schönste Eurovisions-Leitmotiv seit Jahren. Und es geht ihnen nicht um einen theoretischen Weltverbesserungs-Gedanken. Während der Eurovisions-Wochen sprechen sie mit Sängern, Journalisten und Fans aus aller Herren Länder, erfahren und lernen so mehr über die unterschiedlichsten Situationen in Europa - und darüber hinaus, denn in Malmö dürfen alle Länder mitmachen, die Mitglieder der Europäischen Rundfunkunion sind.
Völkerverständigung ganz konkret
Und da wird das große Wort "Völkerverständigung" auf Pressekonferenzen, bei Pausen-Plaudereien und Partys auf einmal ganz greifbar. "Genau wie in meiner Gemeinde begegnen sich hier Jung und Alt, Reich und Arm, Groß und Klein auf Augenhöhe", sagt Chris Köther. Am Ende zählen zwölf Punkte aus Deutschland genau so viel wie die zwölf Punkte aus dem armen Albanien oder aus dem riesigen Russland. "Wir sind alle wichtig", übersetzt der Presbyter. In einer Welt, in der man immer mehr Ellbogen brauche, versteht er das Eurovisions-Motto als Plädoyer, füreinander da zu sein und aufeinander Acht zu geben.
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Dabei hängen die beiden christlichen ESC-Fans allerdings nicht einem unkritisches Eurovisions-Kuschelgefühl an. Vor zwei Jahren in Düsseldorf frage Chris Köther die weißrussische Delegation, ob man wirklich ein Lied wie "I Love Belarus" - zu Deutsch: Ich liebe Weißrussland - für die letzte Diktatur in Europa singen könne. Erwin Wiesen ist im vergangenen Jahr ganz bewusst nicht zum Eurovision Song Contest nach Aserbaidschan gefahren, wegen ungeklärter Menschenrechtsfragen dort. Da habe er sich als Christ in der Verantwortung gesehen, sagt er: "Vielleicht ist das auch in meinem Glauben begründet, dass ich mir solche Dinge kritischer anschaue."
"Jesus hätte seinen Spaß an der Eurovision"
Nur bei den Favoriten für den ESC-Sieg in diesem Jahr sind sich die beiden Vorstands-Mitglieder des ECGermany nicht einig. Chris Köther würde seine zwölf Punkte der israelischen Gruppe Moran Mazor und ihrem "Rak bishvilo" geben - auf Deutsch: "Nur für ihn". Seine Begeisterung gilt aber ausdrücklich nicht der israelischen Regierung, an die er noch paar Fragen hätte, sagt Köther. Vor zwei Jahren war das Lied der Österreicherin Nadine Beiler sein Favorit. Er erinnert sich genau daran, wie er einem unbekannten Mann mit Alpen-Akzent erklären musste, weshalb er als Deutscher mit einer großen österreichischen Fahne durch Düsseldorf zog. Lang und breit habe er dem Mann erläutert, was das wunderbare Lied mit ihm mache. Es war Nadine Beilers Vater.
An seiner Begeisterung für das israelische Lied in diesem Jahr änderte sich übrigens auch nichts, nachdem es das Halbfinale am Donnerstag nicht überstanden hat und am Samstagabend nicht mehr zu hören sein wird. Anders als Erwin Wiesens Favorit aus dem hohen Norden, denn Eyþór Ingi Gunnlaugsson singt für Island sein "Ég á líf", das erfreute Bekenntnis: "Ich hab' ein Leben". Schaut man sich den hochgewachsenen Mann mit seinen langen blonden Haaren an, dann fühlt man sich direkt an jemand ganz Bestimmten erinnert. Kein Wunder: Der Isländer hat in einer Musical-Produktion von Andrew Lloyd-Webbers "Jesus Christ Superstar" die Titelrolle gesungen. Erwin Wiesen ist sich ganz sicher: "Wenn Jesus nochmal kommt, dann hätte er seinen Spaß an der Eurovision."