Anders als zuletzt beim Arbeitskreis Laizisten in der SPD, gegen den sich lautstarker Protest der Parteispitze erhob, ging die Gründung des jüdischen Arbeitskreises vor sechs Jahren relativ geräuschlos und konfliktfrei über die Parteibühne. Keine andere deutsche Bundestagspartei hat eine vergleichbare jüdische Untergruppe aufzuweisen. Wieso braucht die Sozialdemokratie aber extra ein eigenes jüdisches Gremium?
"Wir freuen uns, wenn wir Menschen damit irritieren. Wieso seid ihr in der SPD? Wieso seid ihr ein jüdischer Arbeitskreis? Diese Irritation kann die Debatte befördern, wie dieses Land sich zu einem pluralen Land entwickelt", sagt Alexander Hasgall vom Bundesvorstand des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Denn gerade die SPD sei immer schon die politische Heimat für Juden in Deutschland gewesen, schwärmt der aus der Schweiz stammende Historiker.
Es sei erstaunlich, wie viele jüdische Protagonisten sich in der 150-jährigen Geschichte der deutschen Sozialdemokratie eingesetzt haben. Berühmt sind Ferdinand Lassalle oder Rosa Luxemburg. Zu erinnern ist auch an den Berliner Sozialdemokraten Eduard Bernstein, einst Mitstreiter von Bebel und Liebknecht, oder an Jeanette Wolff, in den 1950er Jahren Mitglied des deutschen Bundestages und stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Juden. "Die Linke an sich war traditionell der Ort für Juden. Das hängt zusammen mit Themen der sozialen Gerechtigkeit, aber eben auch mit eigenen Erfahrungen als Minorität und eigenen Verfolgungserfahrungen", erklärt Hasgall.
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Der Arbeitskreis hat mittlerweile rund 100 Mitglieder. Sie setzen sich etwa für die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ein, um Menschen mit Migrationshintergrund das Leben in ihrer alten wie auch ihrer neuen Heimat Deutschland besser ermöglichen zu können. Damit widersprechen sie ihrem Parteigenossen, dem Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, der ein eindeutiges Bekenntnis allein zur deutschen Staatsbürgerschaft einfordert.
Vor allem aber will der Arbeitskreis für jüdische Themen ansprechbar sein. Denn da gebe es nicht nur innerhalb der SPD viel Aufklärungsbedarf. Gerade die Beschneidungsdebatte habe gezeigt, dass Menschen in der Partei Ansprechpartner brauchen, die die Position der Juden in Deutschland vertreten. "Für die meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, war es ein Schock, wie stark jüdische Traditionen in Frage gestellt wurden", sagt der jüdische Sozialdemokrat Hasgall.
"Was Sigmar Gabriel sagt, ist nicht die SPD"
Auch sonst scheint es innerhalb der Sozialdemokratie weiteren Diskussionsbedarf in religiösen und politischen Dingen zu geben, sei es nun in Bezug auf das Judentum oder Israel. Dass zum Beispiel SPD-Chef Sigmar Gabriel im vergangenen Jahr die israelische Palästinenser-Politik mit der einstigen Apartheidspolitik Südafrikas verglichen hat, ist für Grigori Lagodinsky vom jüdischen Arbeitskreis nicht hinnehmbar. Die rassistische Abgrenzung Weißer gegen Farbige könne man nicht mit der Politik Israels gegenüber den Palästinensern gleichsetzen.
"Was Sigmar Gabriel sagt, ist nicht die SPD. Das ist eine Aussage, die er selbst zu verantworten hat und selbst postet. Wir waren irritiert. Solche Äußerungen gibt es nicht nur bei Sigmar Gabriel. Das ist bei dieser Nahost-Problematik oftmals eine leicht verkürzte Sicht der Dinge", meint das jüdische SPD-Mitglied Lagodinsky.
Doch statt nach solch unglücklichen Äußerungen unter Protest aus der Partei auszutreten wollen die Juden lieber nachhaltig innerhalb der SPD wirken. Die Zugehörigkeit zur Partei eint alle Mitglieder des Arbeitskreises. Wie sie es aber mit der Religion halten, bleibt jedem selbst überlassen. Der Jurist Grigori Lagodinsky ist etwa als zweiter Vorsitzender in seiner Kasseler Gemeinde aktiv. Als tief religiös würde er sich dennoch nicht bezeichnen.
"Jüdisch sein bedeutet für mich nicht die Frage, ob ich Schweinefleisch esse oder am Samstag arbeiten kann oder nicht, sondern es bedeutet für mich eben den geschichtlichen, den sozialen Hintergrund zu kennen. Ich bin natürlich auch Synagogengänger. In der Synagoge kann man sich einmal in der Woche heimisch fühlen", bekennt Lagodinsky.
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Noch vor Jahrzehnten galt es zumindest in Westdeutschland bei vielen Menschen als schick, Klezmer-Musik zu hören, israelische Volkstänze einzuüben oder gefillten Fisch zu essen. Nun aber scheint - Grass-Gedicht hin, Augstein-Debatte her - die Israel-Kritik immer lauter zu werden. Für den jüdischen Sozialdemokraten Grigori Lagodinsky ist dies Teil eines normalen demokratischen Prozesses: "Hatten die jüdischen Bürger dieses Landes denn vorher etwas davon, dass Klezmer und koscheres Essen irgendwie angesagt waren? Natürlich muss man sich als Jude heute manche Fragen stellen lassen, die man sich vorher nicht getraut hätte zu fragen. Ich bin dafür, Tabus abzubauen, um zu wissen, wo die Probleme in dem vermeintlichen Dialog liegen. Aber bei aller Kritik, wir Juden werden hier als vollwertige Bürger bleiben."