Frankfurter Altstadt
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Postkarte um 1915: Ein Blick in die Goldhutgasse der einstigen Frankfurter Altstadt.
Frankfurter Altstadt: Eine neue alte "bleibende Stadt"?
Alle Welt schaut nach vorn. Die Frankfurter aber, die für ihren in die Zukunft gewandten Blick bekannt sind, sehnen sich nach einer bleibenden rekonstruierten Stadt und planen ihre neue Mitte alt. Wird das die zukünftige bleibende Stadt, die sie sich wünschen? Es sieht nicht so aus.
17.05.2013
evangelisch.de

Sehnsucht erfüllt viele Frankfurter. Ihre Stadt, einst Augenweide, war als eine der schönsten Städte Europas weithin bekannt. Pittoresk die größte Altstadt des Landes, mit ihren hölzernen Treppchen, ihrem Fachwerk, den vielen Türmchen und ihren verwinkelten Gassen. Mit der Zeit schmuddelig geworden, ab den 1920er Jahren wieder hübsch zurechtgeputzt. Jeder Stein und Ziegel atmete Leben.

Im Herzen der Stadt klafft bis 2016 erneut ein Baustellenloch.

2.000 Fachwerkhäuser waren es einst, manche sagen auch 4.000. Wo das Herz der untergegangenen Altstadt heftig schlug, klaffte nach dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs in den Jahren 1943/44 eine Lücke: trist, grau und leer. Nur ein Haus hielt Stand. Aufgewühlte Erde überall. Die Haltestelle Sehnsuchtsort ist heute vom Erdboden verschluckt. Kalter Beton füllte in den Aufbaujahren das Herz der Stadt. Frankfurts Gesicht weist viele Narben auf. Gefühlte Einsamkeit und Kälte herrschte in der Nachkriegszeit auf vielen Plätzen der Stadt. Um Kriegslücken zu füllen, wurden weitere Löcher gerissen.

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Jeder Mensch hat Sehnsuchtsorte: So sehen auch kleine Jungs mit Kulleraugen ihre Urgroßmutter groß an. Denn die alte Dame hat vieles, was Mama und Papa nicht haben: Zeit hat sie, ist verspielt, hat vieles erlebt, noch mehr gesehen, ihr Herz wärmt, und wenn sie lacht, dann richtig, über alle Backen und Falten lustvoll, kraftvoll über so manchen Kummer hinweg. Mit ihr steht und fällt die Welt, bis einem der Kopf schwindelt vor Glück. Doch Uroma stirbt, ist plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Der Sehnsuchtsort der Kindheit, umrankt von zärtlicher Geborgenheit und wilden Abenteuern, versinkt wie Atlantis über Nacht im Meer.

Lebensgefühle lassen sich nicht in Stein schlagen

Dresden hat die Frauenkirche wieder, Nürnberg seine Altstadt, auferstanden aus Kriegsruinen. Frankfurt, kurzatmig und schnelllebig, schwankt mittlerweile zwischen großem Dorf und "kleinster Metropole der Welt", zwischen Schrebergärten und Bürotürmen, zwischen Rotlichtmilieu und mondäner Einkaufswelt, zwischen Dom, Paulskirche und rekonstruiertem Goethehaus. Es beherbergt zwischen den Apfelweinstuben Menschen aus aller Welt und ist gesellig. Dennoch wünschen sich viele ihre alte verlorene Mitte zurück.

Widersprüchlich: Altstadt bald neu.

Die Frankfurter ringen um insgesamt 35 Altstadthäuser zwischen Dom und Römer. Rund 15 von ihnen sollen originalgetreu rekonstruiert werden. Ein Klecks von einst, nur ein Fragment des Vergangenen, ein wenig Salz in einer nicht verheilten Wunde. Die Städter wollen mit aller Macht ihr altes Herz zurück. "Die neue Altstadt ab 2016" verkündet ein Baustellenschild, das es in seiner Art wohl nur in Frankfurt gibt. Aber Altes neu haben wollen, das gibt es nicht. Vergangenes lässt sich nicht auf Befehl wiederbeleben. Auch wenn eine gute Kopie besser werden kann als das Original je war.

Was vergangen, kehrt nicht wieder

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Auch die Uroma kehrt nicht wieder. Es könnte sie vielleicht als 3D-Hologramm geben, wie geschehen für Michael Jackson, Freddie Mercury oder den ermordeten Rapper Tupac Shakur. Aber Herzenswärme gibt ein solches lebloses Bild nicht. Stattdessen schickt es nur die Erinnerung auf sehnsüchtige Endlosschleifen. Lasst die Oma also in Erinnerung groß sein, lasst Frankfurt in seiner Mitte weiterhin der Zukunft zugewandt wachsen. Denn die Stadt hat diesen Weg längst eingeschlagen. "Mainhatten" ist Zentrum der Finanzen und der Wolkenkratzer. Schriftsteller William Somerset Maugham sagte: "Zukunft ist etwas, das die meisten Menschen erst lieben, wenn es Vergangenheit geworden ist." Die "bleibende Stadt" inmitten von Frankfurt ist die Zukunft, nicht die Vergangenheit. Gemütlichkeit gibt es an anderen Orten der Stadt. Durch eine künstliche Altstadt wird das Herz nicht herzlicher pochen.