Sie stehen Seite an Seite am Fließband, machen die gleiche Arbeit und bekommen doch völlig unterschiedliche Gehälter. 45 Minuten konnten ARD-Zuschauer am Montagabend einen Reporter dabei beobachten, wie er bei Daimler schuftete – für einen Stundenlohn von 8,19 Euro. In bester Wallraff-Manier hatte sich Jürgen Rose zunächst von einer Leiharbeitsfirma beschäftigen lassen und gelangte über eine Logistikfirma zu dem Autobauer. Hier verdient er nur ein Drittel von dem, was die Stammbelegschaft bekommt und müsste – wäre der Fall real – mit Geld vom Staat aufstocken.
###mehr-artikel###"Hungerlohn bei Luxusmarken: Die neue B-Klasse der Arbeit?" ist in der anschließenden Talkrunde bei Frank Plasberg dann auch das Thema. Hier sind sich von der SPD-Frontfrau Hannelore Kraft bis zum FDP-Mann Martin Lindner alle einig, dass der Fall von Jürgen Rose skandalös ist - und Steuerzahler nicht den Lohnausgleich für ein Erfolgsunternehmen wie Daimler übernehmen dürfen. Doch während IG-Metall-Vorstand Detlef Wetzel das Beispiel für systemisch bedingt hält, glauben Lindner und der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Rainer Dulger, eher an den Einzelfall und daran, dass sich solche Dinge bereinigen.
Gebetsmühlenartig wiederholen beide Seite ihre Argumente. These folgt auf Zahlenbeispiel, Zahlenbeispiel auf These. Wer mit seinen Behauptungen näher an der Wirklichkeit lag? Für einen weniger informierten Zuschauer unmöglich zu erkennen. Hier wären einordnende Worte des Moderators wünschenswert gewesen, doch Plasberg verwies immer nur auf den Faktencheck am nächsten Tag. Selten offenbarte sich deutlicher, was für eine Illusion diese Pseudo-Gründlichkeit der Redaktion ist. Hätte Frank Plasberg entsprechende Zahlen und Fakten parat gehabt, hätte die Diskussion in Schwung bleiben können.
Diskussion scheitert an Pseudo-Gründlichkeit
Der sonst durchaus meinungsfreudige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, gab sich zunächst zurückhaltend: "Wenn dieser Fall wirklich Trend ist, sind das erschreckende Entwicklungen." Dabei bekannte sich der Theologe dazu, vor Jahren durchaus ein Befürworter des Aufstockungsprinzips gewesen zu sein – in der Hoffnung, dass darüber mehr Menschen in Lohn und Brot kämen. Schon damals hätte er jedoch die Warnung gehört, dass solche Regelungen Möglichkeiten zum Missbrauch schafften. Heute ist auch er kritisch. Wenn es Arbeiter erster, zweiter und sogar dritter Klasse gäbe, könne eine Gesellschaft ihre Stabilität verlieren.
Im Verlauf der Sendung wird Schneider deutlicher. "Die entscheidende Frage ist: Können Produkte, die hergestellt werden, gewinnbringend verkauft werden?" Gerade beim Thema Niedriglöhne habe er das Gefühl, dass es gar nicht um diese Frage geht – viel mehr sehe er hier den Trend zur Umverteilung in der Gesellschaft. "Und das macht mir Sorge." Doch nicht nur die freie Wirtschaft kennt diese Probleme.
Nikolaus Schneider: "Das ist bitter"
Als Plasberg einen Einspieler ankündigt, indem es um die Evangelische Kirche als Arbeitgeber gehen soll, gibt Schneider kleinlaut zu, dass er die Probleme kenne. Das Filmbeispiel: Ein Krankenhaus wird von einem evangelischen Träger übernommen. In der Folge soll die gesamte Belegschaft – bis auf die Ärzte – auf acht Prozent ihres Gehalts verzichten. Die Studie "Arbeitsverhältnisse in der Diakonie" zeigt außerdem: Auch die Diakonie lagert Jobs aus. Hier werden im Einzelfall nur 5,99 Euro gezahlt.
###autor###"Das ist bitter. Ich hoffe, dass das die Ausnahme ist", sagte Nikolaus Schneider. Allerdings dürfe man nicht vergessen: Der Kirche gehe es nicht um Gewinne, sondern eine schwarze Null. Gerade der Wettbewerb am Sozialmarkt sei hart, sagte der Theologe. Löhne von unter sechs Euro dürften trotzdem gar nicht erst zur Diskussion stehen.
An diesem Punkt der Diskussion wird Hannelore Kraft grundsätzlicher. Jeder Arbeitnehmer solle von erwirtschafteten Gewinnen profitieren können. Aber die Marktwirtschaft verdiene bald das Wort "sozial" nicht mehr. Gerade wenn es – wie im Fall der Kirche – um den Dienst am Menschen gehe, dürfe das jedoch nicht aus dem Auge verloren werden.