Foto: Helen Schiffer/schneider+schumacher StädteBauProjekte
Durch das hölzerne Gewölbe im Innern der Autobahnkirche scheint warmes Licht in den Raum.
"Ein Raum, um zu sich und zu Gott zu finden"
An der A 45 bei Siegen wird an diesem Sonntag eine neue Autobahnkirche eröffnet
Die 40. deutsche Autobahnkirche wird am morgigen Sonntagnachmittag (26. Mai) eröffnet. Der architektonisch interessante Neubau steht an der A 45 auf dem Gelände des Autohofs Wilnsdorf. Ein Verein hat die Kirche bauen lassen, damit Reisende unterwegs zur Ruhe kommen können.
25.05.2013
evangelisch.de

Am Anfang war eine Lücke. Hartmut und Hanneliese Hering haben sie entdeckt. Das Siegerländer Ehepaar war vor fünf Jahren mit dem Auto in Süddeutschland unterwegs, sah dort eine schöne Autobahnkirche und fragte sich: Wo gib es so etwas bei uns? Zuhause schauten die beiden nach: Nirgends.

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Von den fast 40 Autobahnkirchen in Deutschland stand keine einzige auch nur in der Nähe des Siegerlandes, die nächsten finden sich im Norden bei Münster und im Süden bei Wiesbaden. Dabei gilt das Siegerland als besonders "fromm", und eine wichtige Verkehrsader führt mitten hindurch: Die Sauerlandlinie (A 45) verbindet das Ruhrgebiet mit der Rhein-Main-Region.

Die Geschichte der Autobahnkirchen in Deutschland begann Ende der Fünfziger Jahre, als mehr und mehr Deutsche ein Auto besaßen und damit auch weitere Reisen unternahmen. Das Autobahnnetz wuchs. Im Jahr 1958 wurde in Adelsried an der A8 (Bayern) die erste Autobahnkirche eingeweiht.

Hartmut Hering, Architekt Michael Schumacher und Ute Pohl sind stolz auf die neue Kirche, die sie gebaut haben.

Ähnlich wie Wegekreuze und Kapellen Pilgern im Mittelalter die Möglichkeit zur inneren Einkehr boten, sollen Autobahnkirchen in der heutigen rasenden Gesellschaft Ruheorte für gestresste Auto- und LKW-Fahrer sein. Mittlerweile gibt es 40 solcher Kirchen in Deutschland. Mancherorts wurden alte Dorfkirchen in Autobahnnähe wieder zum Leben erweckt, andernorts baute man neue kleine Kirchen direkt auf die Raststätten. So auch an der A 45 im Siegerland.

Die Gemeinde Wilnsdorf stellte auf dem Autohof an der Abfahrt Nummer 23 kostenlos ein Grundstück zur Verfügung – neben Tankstelle, Hotel und LKW-Parkplatz. Hier machen Fernfahrer Pause, manchmal ein ganzes Wochenende lang, zum Tanken, Essen, Schlafen und Duschen. Bald haben wie also auch die Möglichkeit, innerlich aufzutanken in der neuen christlich-ökumenischen Kirche. Sie soll "ein offener Ort sein für jedermann, gläubig oder nichtgläubig" sein, so wünscht es sich Ute Pohl, Vorsitzende des eigens gegründeten Fördervereins Autobahnkirche Siegerland.

"Das ist hier Architekturspitzentechnologie"

Evangelische, katholische und freikirchliche Christen in der Umgebung waren weitgehend einverstanden mit dem Vorhaben. Offiziell sind die Kirchen aber nicht daran beteiligt. Die Autobahnkirche wird allein vom Förderverein finanziert und unterhalten, der mittlerweile fast 100 Mitglieder hat. Hartmut Hering hat das durch heftiges Klinkenputzen erreicht: Mal sagte eine Großfamilie 50 Euro zu, mal ein wohlhabender Siegerländer eine sechsstellige Summe. Zum Glück ahnte der Förderverein am Anfang noch nicht, dass die Baukosten auf 1,5 Millionen Euro steigen würden. "Zwischen der Grundsteinlegung und dem Richtfest lag eine Wüstenwanderung", seufzt der Vereinsvorsitzende Hartmut Hering.

Außen zackig, innen weich: Die neue Autobahnkirche an der A 45.

Der Architekt war bereit, sich auf diese Wüstenwanderung einzulassen. "Wir haben uns kräftig an den Händen genommen und sind durch dick und dünn gegangen", erzählt Michael Schumacher vom Frankfurter Architekturbüro schneider+schumacher. Denn während des Baus gab es Probleme, eine Firma konnte ihren Auftrag nicht ausführen – die Rechenaufgaben für die Innenkuppel waren zu kompliziert. "Das ist hier Architekturspitzentechnologie", sagt Schumacher fast entschuldigend und erklärt, dass eine Konstruktion, wie er sie hier geplant hat, noch nie zuvor gebaut wurde. Über sein Honorar mag der Architekt nicht reden, über seine Faszination aber schon: "Wo kommen heute noch Leute zusammen und bauen Kirchen?" wundert sich Schumacher bis heute und weiß auch, dass sein Entwurf ein Risiko war. Technisch und optisch.

Hartmut Hering findet, dass es der "schönste und interessanteste Entwurf" von allen war, die bei einem Wettbewerb 2009 eingereicht wurden. Von der Autobahn her sieht die Silhouette der neuen Kirche wie das Autobahnkirchen-Piktogramm auf den Hinweisschildern aus. Beim Fahren erkennen Autofahrer sofort, was das für ein Gebäude ist. Von Siegen kommend sieht man die Kirche vier Mal zwischen den Bergen und Wäldern hervorblitzen. Ute Pohl hofft: "Vielleicht stellt sie sich ein bisschen in den Weg und sagt: Halt doch mal inne."

Hinter dem Kreuz fängt der Himmel an

Auf dem Autohof angekommen, ist das Gebäude – je nach Perspektive - kaum wiederzuerkennen. Zackige weiße Bauteile ragen in alle Richtungen, zwei spitze Türme in den Himmel. Der Eingang führt über einen grauen Steg zwischen weißen Wänden hindurch. Bis hierhin ist es eher ungemütlich.

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Doch beim Eintreten wird der Besucher überrascht: Drinnen nämlich findet man sich unter einem hölzernen Gewölbe in Kreuzrippen-Struktur wieder, durch dessen geschwungene viereckige Waben weiches Licht in den Raum fällt. Alles wirkt rund, es riecht nach Holz, der Raum vermittelt Geborgenheit. Keine Musik, keine Farben - nur Holz, Licht und Stille. Auf besondere Licht- und Klangeffekte wird bewusst verzichtet. "Allein dieser Raum, so denken wir, bietet Spiritualität“, erläutert Ute Pohl. "Wir Menschen heute suchen nach Spiritualität. Wir suchen danach, auch emotional angesprochen zu werden."

Die Kirche soll ein Raum für Reisende sein, die Ruhe suchen, "ein Raum um zu sich und zu Gott zu finden", erläutert Ute Pohl. An der Rückwand kann man Kerzen anzünden oder auf einem der 50 Holzhocker im Raum sitzen, das war’s. Vorn steht ein schlichtes weißes Kreuz, darüber eine Öffnung, durch die von oben Licht hineinstrahlt: Da muss es zum Himmel hinauf gehen! "Es ist ein Projekt geworden, das es würdig ist, für etwas Höheres zu stehen", ist Michael Schumacher überzeugt.

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Jede Woche soll hier eine Andacht gehalten werden, von evangelischen und katholischen Geistlichen und Laien. Zielgruppengottesdienste für LKW- und Motorradfahrer sind geplant, und einige christliche Gruppen aus dem Siegerland haben schon gefragt, wann sie denn die neue Kirche nutzen dürfen. Schon während der Bauzeit hielt eine rastende Gruppe spontan eine Andacht auf dem Parkplatz, weil die Kirche noch nicht offen war. "Das hat uns Mut gemacht", sagt Ute Pohl.

Jetzt ist die Kirche fertig. "Wir sind maßlos glücklich, hier zu stehen", strahlt die Vereinsvorsitzende vor der Eröffnung. Morgen ab 16 Uhr wird in einem Festzelt neben der Kirche eine liturgische Feier mit Vertretern von evangelischen, katholischen und freikirchlichen Gemeinden stattfinden. Anschließend gibt es eine Prozession in die Kirche, eine Bibel und eine Kerze werden hineingetragen und feierlich auf dem Altar platziert. Ab diesem Zeitpunkt wird die neue Autobahnkirche rund um die Uhr geöffnet sein. Für alle, die neugierig sind auf dieses architektonische Kunstwerk – oder die auf ihrem rastlosen Weg anhalten und bei Gott zur Ruhe kommen wollen.