Foto: epd-bild/Debbie Hill
Das Logo von Nes Ammim an der Außenwand des Hotels im Kibbuz Nes Ammim in Norden Galiläas.
Neuanfang im Gespräch mit Juden
Seit 50 Jahren besteht das christliche Dorf Nes Ammim in Israel
Mit Schwung parkt Pfarrer Rainer Stuhlmann sein Fahrrad vor dem Gästehaus in Nes Ammim. Das kleine Dorf im Norden Israels nennt sich Kibbuz, obwohl es das gar nicht ist. Denn keiner der Bewohner von Nes Ammim - zu deutsch: Zeichen der Völker - lebt hier dauerhaft. Wie alle anderen ist auch Pfarrer Stuhlmann Freiwilliger, der nicht, wie im Kibbuz üblich, in eine gemeinsame Kasse wirtschaftet, sondern für eine gemeinsame Idee arbeitet. Von den Juden lernen wollen die Bewohner des christlichen Dorfs und zur Versöhnung zwischen Christen und Juden beitragen. In diesen Wochen feiert das kleine Dorf seinen 50. Geburtstag.
12.05.2013
epd
Susanne Knaul

Eine Gruppe von Christen aus den Niederlanden und der Schweiz machte sich in den frühen 60er Jahren auf, um in Israel zu leben und "die Verhältnisse umzukehren", sagt Stuhlmann. Der frühere rheinische Superintendent ist seit 2011 Studienleiter in Nes Ammin. Man wollte "weg von der überheblichen Haltung der Christen, die sagt: Wir wissen es besser", was mit Grund für Antisemitismus und christlichen Judenhass sei. Um sicherzustellen, dass es nie wieder eine Schoah geben würde, suchten die Gründer Nes Ammims einen Dialog auf neuer Ebene anstelle der Missionierung, was ihnen ihre Nachbarn in Israel zu Beginn gar nicht recht glauben wollten.

Ein Quadratkilometer Land

Mit Spenden kauften sie einem drusischen Großgrundbesitzer für die stolze Summe von einer Million Schweizer Franken einen Quadratkilometer Land ab. Dem Holocaust eben entkommen warnte vor allem der deutschstämmige Rabbiner Aaron Keller aus dem nahe gelegenen Naharija vor dem Projekt, hinter dem er Judenmission vermutete. Auch die Bewohner im Nachkibbuz der Ghettokämpfer "Lochamey Haghettoat" standen den christlichen Siedlern misstrauisch gegenüber. Erst sieben Jahre nach Gründung der christlichen Siedlung durfte erstmals ein deutscher Freiwilliger kommen. Zu diesem Zeitpunkt gehörte Rabbi Keller schon zu den eifrigsten Besuchern des Dorfes. Bis zu seinem Tod hielt er regelmäßig Vorlesungen über das orthodoxe Judentum.

"An dem Tag wird es Isais Wurzelspross sein, der als Zeichen für alle Völker dasteht, dann kommen sie und suchen Rat bei ihm", heißt es beim Propheten Jesaja. Doch in Nes Ammim will man Jesaja freier interpretieren. Das "Zeichen der Völker" solle auch ein Zeichen der Solidarität sein mit Israel, wobei auch den Palästinensern im Studienprogramm der Freiwilligen immer mehr Raum zukommt. Der Theologe Stuhlmann, der noch zwei Jahre bleiben will, ist für das Lernprogramm verantwortlich. Vorträge von Rabbinern gehören genauso dazu, wie Treffen mit palästinensischen Christen und Muslimen aus der Umgebung. Gleichzeitig bietet Nes Ammim durch seine Neutralität Raum für jüdisch-palästinensische Begegnungen.

"Nes Ammim ist sehr europäisch"

Dem 20-jährigen Bobo Mertens aus Potsdam sind die Ausflüge das Liebste. "Nes Ammim ist sehr europäisch", sagt er. Das Land lerne man eigentlich erst kennen, wenn man rausfährt. Manchmal geht es nur für ein paar Stunden nach Haifa, Akko oder Nazareth, ein andermal unternehmen die Freiwilligen Tageswanderungen, etwa zu den christlichen Stätten am See Genezareth. Für die jungen Freiwilligen aus Deutschland, den Niederlanden, aber auch aus Ungarn und Rumänien ist Nes Ammim meist eine Zwischenstation. Bobo hat eben sein Geschichtsstudium geschmissen und überlegt jetzt, ob er es mit Medizin versuchen sollte.

Zwei Monate bleiben dem jungen Potsdamer, der im Hotelbetrieb eingesetzt ist. Das Gästehaus ist die letzte Einnahmequelle des Dorfes, das einst täglich einen Lastwagen voller Schnittblumen produzierte und Treppenhäuser aus Holz. Die Schreinerei ist schon lange geschlossen, und die Gewächshäuser sind verpachtet. Mit den deutlich billigeren Rosen aus Kenia und Honduras habe man nicht mehr mithalten können.

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Um das Projekt Nes Ammim am Leben zu halten, schießen die Protestantische Kirche in den Niederlanden, einige deutsche Landeskirchen und kirchliche Initiativen von Zeit zu Zeit etwas Geld zu. Das Dorf verändert sich. 20 Baugrundstücke sind schon verkauft. Bald ziehen die ersten israelischen Familien in die Siedlung, Juden, Araber und Drusen. Über kurz oder lang werden die Christen aus Europa zur Minderheit. Die Ideen der Toleranz und Verständigung, die bei Gründung vor 50 Jahren Pate standen, soll dann von den Familien im neuen Nes Ammim weitergeführt werden.