Die Anrufe kommen nachts, und die Botschaft ist immer dieselbe: Gib deinen Job auf, oder zahle mit deinem Leben. Der 26-jährige Maroon Safi hat sich entschieden. "Geld wird mir nicht helfen, wenn die Taliban mich töten wollen", sagt der junge Mann bitter, der seinen richtigen Namen aus Angst um seine Sicherheit nicht nennen möchte. Fast drei Jahre lang hat Safi für die Bundeswehr in der Provinz Kundus im Norden Afghanistans gearbeitet - als Übersetzer.
Doch damit ist es nun vorbei. Im Herbst werden die Deutschen Kundus verlassen, und im kommenden Jahr werden auch alle anderen NATO-Kampftruppen vom Hindukusch verschwunden sein. Der internationale Einsatz zur Stabilisierung Afghanistans endet dann. Doch für Safi und die anderen zahlreichen Afghanen, die für die internationale Truppe gearbeitet haben, wächst die Angst vor der Rache der Extremisten.
"Das wird ein Alptraum für uns"
Rund 1.500 Afghanen arbeiten im Dienst des deutschen Verteidigungsministeriums, des Innenministeriums und des Auswärtigen Amtes. Etwa 450 von ihnen sind Übersetzer - die übrigen sind als Fahrer, Köche, Handwerker oder Reinigungskräfte beschäftigt. Ohne die afghanischen Mitarbeiter wäre der Einsatz Deutschlands am Hindukusch undenkbar. Sprachmittler übersetzen nicht nur, sie bilden auch eine Brücke zwischen den Kulturen und helfen, Missverständnisse und Fehler im Umgang zu vermeiden, die in Afghanistan tödlich sein können.
Die Arbeit der "Ortskräfte" ist nicht ungefährlich. Im Mai 2011 wurde bei einem Sprengstoffanschlag auf eine deutsche Patrouille in der Nähe von Kundus ein afghanischer Dolmetscher verwundet. Bei einem Schießunfall während eines Trainings in Pul-i-Kumri im Januar 2013 wurde auch ein Übersetzer verletzt.
"Ich hatte einen guten Job und habe etwas Geld verdient", erzählt Safi. Doch nun wolle er nur noch eines: Afghanistan so schnell wie möglich verlassen, wegen der offenen Drohungen von den Taliban. Anrufe von "merkwürdige Nummern" gehören dazu. "Kannst Du Dir vorstellen, was passieren wird, wenn alle ausländischen Truppen das Land verlassen haben? Das wird ein Alptraum werden für uns", sagt er.
Keine klare Antwort der Deutschen
Auch der 37-jährige Agha Sherin, der seinen wirklichen Namen ebenfalls nicht genannt haben möchte, sorgt sich: Der fünffache Familienvater hat zwischen 2002 und 2003 als Fahrer gearbeitet und ist nun als Reinigungskraft bei der Bundeswehr in Camp Warehouse in Kabul tätig. Er lebt in der Nähe der Hauptstadt Kabul. Sein Viertel ist längst nicht mehr sicher. "Es gibt viele ehemalige Hisb-Islami-Kämpfer und Taliban-Sympathisanten in meinen Distrikt. Sie warten darauf, wieder an die Macht zu kommen." Die radikal-islamischen Taliban hatten Afghanistan zwischen 1996 und 2001 grausam und blutig regiert.
Die Hisb-Islami-Anhänger unter Führung von Gulbudin Hekmatyar wiederum haben lang zurückreichende Verbindungen zu Al-Kaida. Sie waren die treibende Kraft des Bürgerkrieges in den 1990er Jahren, bei dem allein in Kabul mindestens 25.000 Menschen ums Leben kamen. "Jeder hier in meinem Distrikt weiß, wo ich über ein Jahrzehnt gearbeitet habe." Falls die Taliban wieder an die Regierung kämen oder ein Bürgerkrieg ausbräche, würde sein Leben nicht mehr sicher sein.
Sherin erzählt, er habe bereits gefragt, ob die Deutschen ihm nicht helfen könnten, wenigstens seine Familie in Sicherheit zu bringen. Doch er habe keine klare Antwort erhalten. Andere Nationen hätten ihren afghanischen Helfern Visa und Aufenthaltsgenehmigungen angeboten. Ende März protestierten 35 ehemalige afghanische Hilfskräfte vor dem Feldlager der Bundeswehr in Kundus, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen.
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Die Position der Bundesregierung ist bislang, dass man Einzelfälle anhand eines Kriterienkataloges prüft und dann entscheidet, ob man ihnen Aufnahme in Deutschland gewährt. Andere Länder wie die USA, Kanada und Frankreich haben ein spezielles Programm für ihre afghanischen Helfer aufgelegt. Sherin hofft, dass auch die Deutschen diesen Weg wählen werden: "Wir Afghanen sind der Ansicht, dass die Deutschen unsere guten Freunde sind. Nun ist es an den Deutschen, ihre Freundschaft in einer so entscheidenden Stunde zu beweisen."