Foto: Cornelius Wüllenkemper
Leben im Pfarrhaus: christlich-jüdischer Dialog
Vor 17 Jahren hat die evangelische Pfarrerin Kristina Westerhoff-Golz einen Juden geheiratet. Sie lebt damit etwas, was längst nicht in allen Landeskirchen der EKD geduldet wird. Früher mussten die Eheleute institutionelle Hürden und skeptische Bemerkungen aus ihrem Umfeld hinnehmen. Heute sehen sie sich als "ganz normales Paar" und verstehen ihren jüdisch-christlichen Hintergrund als persönliches Glück und theologische Bereicherung. Über das Leben in einem christlich-jüdischen Pfarrhaus in Berlin.

"Es ist wirklich eines der schönsten Pfarrhäuser, in dem ich bisher wohnen durfte", meint Kristina Westerhoff-Golz, eine der zwei Pfarrerinnen der Evangelischen Gemeinde Berlin Schlachtensee. Wer den Verkehrslärm des Berliner Stadtzentrums in Richtung Südwesten hinter sich lässt, gelangt auf engen Kopfsteinpflasterstraßen an hübschen Einfamilienhäusern und beeindruckenden Villen vorbei bis zum idyllisch unweit des Schlachtensees gelegenen Pfarrhaus der Familie Westerhoff-Golz. Bei einem flüchtigen Blick auf dem Weg durch das geräumige Erdgeschoss in den Garten deutet hier zunächst nichts auf religiöse oder kirchliche Bewohner hin. Besonders aufmerksamen Besuchern fällt allenfalls die kleine Mesusa an der Haustür auf - eine jüdische Tradition. Und das in einem evangelischen Pfarrhaus!

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"Eigentlich sind wir eine ganz normale Pfarrersfamilie" betont Kristina Westerhoff-Golz. Seit 1997 ist sie Pfarrerin in der Gemeinde Schlachtensee, zwei Jahre zuvor hatte sie geheiratet – ihr Mann ist Jude. Von Ausnahme und Besonderheit will die 45jährige schon seit langer Zeit nicht mehr reden. Und dennoch gehört sie zu der deutlichen Minderheit der gemischt-religiösen Pfarrersfamilien in Deutschland. Dass das für sie kaum erwähnenswert ist, liegt nicht zuletzt am Kirchenstandort Berlin: vor wenig mehr als einem Jahr wurde eine Vikarin aus Baden-Württemberg, die einen Muslim geheiratet hatte, vom Dienst suspendiert und schließt nun ihre Ausbildung in der eher liberalen Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ab.

"Niemand wollte sich in ein antisemitisches Fettnäpfchen setzen"

Der konfessionelle Unterschied zwischen ihnen habe nie eine wirkliche Rolle gespielt, betonen Kristina Westerhoff-Golz und ihr Mann Ronnie, die fröhlich und etwas überrascht vom Interesse an ihrem Eheleben auf der Terrasse des Pfarrhauses sitzen und in die Sonne blinzeln. 1993 haben sie sich am Praktisch-theologischen Ausbildungsinstitut (PTA) kennenglernt, sie als Vikarin, er als Dozent. Als sie zwei Jahre später heiraten wollten, mussten sich zum ersten Mal mit kirchenrechtlichen Fragen über christlich-jüdische Eheschließungen innerhalb der Kirche beschäftigen.

Heute sieht das Pfarrdienstgesetz der EKD immerhin vor, dass Ehepartner "evangelisch sein sollen. Sie müssen einer christlichen Kirche angehören; im Einzelfall kann eine Ausnahme zugelassen werden, wenn zu erwarten ist, dass die Wahrnehmung des Dienstes nicht beeinträchtig wird." Wie unterschiedlich dieses Gesetz in den 22 Gliedkirchen der EKD ausgelegt wird, zeigt der Fall aus Baden-Württemberg. Die Berliner Landeskirche musste sich bereits früh umstellen, als 1991 die Landeskirchen aus Ost und West neu geordnet und eine Vielzahl von Pfarrersfamilien aus Ostdeutschland institutionell integriert wurden, bei denen einer der Ehepartner konfessionslos war.

"Auch wir mussten die Instanzen durchexerzieren, mussten mit Gemeindekirchenrat, dem Superintendenten, der Generalsuperintendentin und dem Probst Gespräche führen", erzählt Kristina Westerhoff-Golz. Diese Gespräche hätten aber stets in einer offenen, sympathischen Atmosphäre stattgefunden. "Niemand wollte sich da in ein antisemitisches Fettnäpfchen setzen." Man sei sich der schillernden Rolle der Kirche im Anti-Judaismus und auch im Holocaust bewusst gewesen. Die einzige Bedingung, auf die die EKBO Wert legte, sei die protestantische Erziehung der Kinder des Paares gewesen. "Das war keine Verneinung meines Judentums, sondern eine Selbstverständlichkeit", betont Ronnie Westerhoff-Golz.

Wenig Unterstützung aus der jüdischen Gemeinde

Der 16jährige Sohn David und seine 11jährige Schwester Lilly sind evangelisch getauft, wobei dem Vater wichtig ist, dass sich die Kinder ihrer jüdischen Wurzeln bewusst sind. "Wir feiern zu Hause keine jüdischen Feiertage und halten uns auch nicht an die jüdischen Speisegesetze. Es geht mir mehr darum, ein Stück weit Traditionen der jüdischen Kultur zu vermitteln. David interessiert sich zum Beispiel sehr für die Geschichte des Holocaust."

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Während seine Frau Kristina in ihrem familiären und auch beruflichen Umfeld als Pfarrerin keinerlei Ablehnung ihrer Ehe mit einem Juden erfuhr, berichtet Ronnie Westerhoff-Golz von "unerträglichen Bemerkungen" im Bekanntenkreis und in der Jüdischen Gemeinde darüber, dass er nicht nur mit einer Nicht-Jüdin, sondern auch noch mit einer evangelischen Pfarrerin verheiratet sei. Bis vor einem Jahr war er Mitglied im Kulturausschuss der Jüdischen Gemeinde, hat sich dann aber zum Austritt entschlossen. "Nach 10 Jahren aktiver Mitarbeit habe ich plötzlich das passive Wahlrecht verloren, nachdem unser erstes Kind geboren war. Als Vater eines nicht-jüdischen Kindes verliert man in dieser Gemeinde jedes Recht. Ich habe weitere zehn Jahre darum gekämpft, das zu ändern. Irgendwann hatte ich genug."

"Meine Frau kennt sich besser aus im Alten Testament als ich"

Seit Jahren engagiert sich der 67jährige in der liberal-reformerischen jüdischen Künstlergruppe "Meshulash", hält regelmäßig Vorträge und Seminare über die jüdische Identität und die Aufarbeitung des Holocaust. Mit 13 Jahren kehrte der gebürtige Londoner 1961 mit seinem deutschen Vater und seiner tschechischen Mutter nach Deutschland zurück. Als Künstler gestaltete Ronnie Westerhoff-Golz seit 1995 bereits vier Holocaust-Gedenkstätten in Berlin. "Bis heute bin ich Jude, allerdings nicht im religiös-institutionellen, sondern eher im kulturellen Sinne."

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Sein Judentum ist dabei im Leben der evangelischen Gemeinde Berlin-Schlachtensee nie als Hindernis, sondern stets als Bereicherung aufgenommen worden: Er wird zu Glaubensgesprächen eingeladen, kann jüdische Impulse ins Gemeindeleben einbringen oder anhand seiner eigenen Familiengeschichte über den Holocaust berichten. Manchmal diskutieren die Eheleute auch über die Predigt für den nächsten Gottesdienst, den Ronnie Westerhoff-Golz selbst aber nur sporadisch besucht. "Wir sprechen zu Hause oft über Glaubensfragen. Meine Frau kennt sich besser aus im Alten Testament als ich!"

Auch für Kristina Westerhoff-Golz ist der jüdische Hintergrund ihres Mannes vor allem eine theologische Bereicherung. "Von Anfang an haben wir viel über Glauben, Religion und Kirche gesprochen. Wir haben beide ein geerdetes, positives Verhältnis zur Religion, ganz ohne Eifer. Das passt einfach gut", meint die Pfarrerin. Und wahrlich geht von diesem Paar eine beeindruckende Dynamik, eine auf gegenseitiger Neugier begründete, intellektuelle Spannung aus. Das Interesse an ihrer jüdisch-christlichen Pfarrersfamilie scheint sie am Ende des Nachmittags auf der Terrasse schließlich doch weniger zu irritieren als ein wenig stolz zu machen.