Foto: epd-bild/Detlef Heese
Mutter zu sein ist nicht immer einfach. Doch es gibt Hilfe.
"Mein Kind ist mein Ein und Alles"
In Eltern-Kind-Häusern gibt es Schutz für Kinder und Training für Mütter
Man kann das Muttersein, die liebevolle Bindung zum Kind, tatsächlich lernen, glauben Fachleute. Doch dafür müssen erstmal die Geister der eigenen Kindheit gebändigt werden.
12.05.2013
epd
Martina Schwager

Mareike (Name geändert) ist 20, ihr Sohn Luca fast zwei. Die anderen Kinder auf dem Spielplatz interessieren ihn gerade nicht. Er klettert auf den Schoß seiner Mama, kuschelt sich an sie. Sie wiegt ihn sanft: "Mein Kind ist mein Ein und Alles", sagt sie. Der Muttertag am 12. Mai hat für sie eine besondere Bedeutung. Seit einem Jahr lebt die kleine Familie im Eltern-Kind-Haus der Evangelischen Jugendhilfe in Osnabrück. Zu Lucas Schutz. Und damit Mareike lernt, für ihn da zu sein, ihm eine gute Mutter zu sein.

Die Trennung vom Freund, der Haushalt in der eigenen Wohnung, die Erziehung des eigentlich nicht geplanten Kindes - das alles war der jungen Frau über den Kopf gewachsen: "Luca war damals auch sehr schwierig", sagt sie und fügt dann leise hinzu: "Ich war gar nicht auf ein Kind eingestellt." Ihre Eltern waren gegen die Beziehung zum Freund und hatten den Kontakt zu ihr abgebrochen. "Ich fühlte mich allein gelassen und überfordert."

Geregelter Tagesablauf

In ganz Deutschland gibt es nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe mehr als 300 Eltern-Kind-Häuser mit rund 4.000 Plätzen. Alleinerziehende Mütter, manchmal auch Väter, können dort mit ihren Kindern in einer eigenen Wohnung für etwa anderthalb Jahre leben, erläutert Ute Albers, Leiterin des Osnabrücker Hauses. Fachkräfte betreuen sie, um Missbrauch, Gewalt oder Vernachlässigung vorzubeugen. "Die meisten müssen hier erst mal lernen, einen geregelten, auf Kinder abgestimmten Tagesablauf einzuhalten", sagt Albers.

Auch Mareike wusste bei Lucas Geburt nicht, was für ihn wichtig ist. "Ich dachte, Mutter sein kann ja nicht so schwierig sein." In den ersten Monaten war Luca ruhig, hat viel geschlafen und getrunken. Mit sieben Monaten verlangte er mehr Aufmerksamkeit, war immer öfter "knötterich", wie sie sagt. Mareike hat gemacht, was junge Mädchen mit 18 eben so machen - wenn sie kein Kind haben. Sie ist abends spät nach Hause gekommen und hat morgens lange geschlafen. Luca wurde nicht pünktlich gewickelt, bekam keine regelmäßigen Mahlzeiten. Manchmal ließ sie ihn allein. "Was für ihn wichtig war, war für mich nicht wichtig. Ich hatte irgendwie auch nicht so eine enge Bindung zu ihm."

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Oft sind die Mütter in Eltern-Kind-Häusern sehr jung. "Viele stammen aus Familien, in denen sie selbst nicht erlebt haben, wie Familie eigentlich funktionieren sollte", sagt die Leiterin. Deshalb werden auch Hochschwangere aufgenommen, die den Ämtern als Problemfälle bekannt sind. Zwei Drittel der Bewohnerinnen ziehen anschließend mit ihrem Kind wieder in eine eigene Wohnung, erzählt Ute Albers. Ein Drittel allerdings muss das Haus ohne Kind verlassen, die Kinder kommen in Pflegefamilien.

Die Hilfsangebote seien vor allem dann erfolgreich, wenn die Mütter ihre eigenen Kindheitstraumata mit Hilfe einer Psychotherapie aufarbeiten könnten, sagt Karl Heinz Brisch, Psychotherapeut und Kinderpsychiater im Dr. von Haunerschen Kinderspital der Universität München. "Besonders dann können wir den Teufelskreis durchbrechen, in dem als Kind vernachlässigte und misshandelte Mütter auch ihre Kinder wieder vernachlässigen und misshandeln." 

Teufelskreis durchbrechen

Brisch hat das Elternprogramm "Safe (Sichere Ausbildung für Eltern)" entwickelt, das mit Hilfe etwa von Feinfühligkeitstrainings die sichere Bindung zwischen Eltern und Kindern fördern soll: "Eine Mutter kann das Muttersein, die liebevolle Bindung zum Kind, tatsächlich lernen." Die intuitive Bereitschaft, sich wie eine liebevolle Mutter zu verhalten, könne durch Stress, etwa wenn das Kind nachts schreit, aber auch durch Streit in der Partnerschaft leicht beeinträchtigt werden. Das gelte vor allem, wenn die Mütter in ihrer eigenen Kindheit schlimme Erfahrungen gemacht hätten: "Dann stehen die Geister der Kindheit plötzlich wieder im Kinderzimmer."

Eine sichere Bindung zum Kind sei der beste Schutz vor Misshandlung und Vernachlässigung, sagt der Bindungsexperte. "Wir sehen, dass schwer belastete Mütter nach einem Jahr Training eine sichere Bindung zu ihrem Kind haben können. Und mit diesem Schutzfaktor an Bord hat das Kind eine große Chance, später auch mit dem eigenen Kind liebevoll umzugehen."

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In Osnabrück macht auch Mareike ein Eltern-Kind-Training mit Elementen von "Safe" und eine Therapie. Im Sommer will sie mit Luca wieder in eine eigene Wohnung ziehen. Sie habe gelernt, auf seine Bedürfnisse einzugehen, sagt sie: "Es macht mir jetzt Spaß, mit ihm zu spielen. Abends lese ich ihm vor und kuschel mit ihm." Luca hat einen Ausflug zum Spielhaus gemacht. Jetzt läuft er mit ausgebreiteten Armen auf seine Mutter zu. Mareike strahlt. "Das hat er früher nie gemacht. Ich möchte doch, dass mein Kind es bei mir gut hat", sagt sie. Und ergänzt: "Ich weiß, dass das meine letzte Chance ist."