Vor rund zweieinhalb Jahren bekommt Kathrin Oxen eine Email, die ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen wird. Ein unbekannter Mann schreibt sie an. Sein Name ist Karl Ulrichs, es ist scheinbar dienstlich. Oxen ist zu dem Zeitpunkt 37, lebt frisch geschieden mit ihren drei Kindern im mecklenburgischen Bützow. Sie ist Pfarrerin, genauso wie Ulrichs, der zu der Zeit im rund 450 Kilometer entfernten Göttingen wohnt. Auch er ist geschieden.
"Ich hatte von Kathrins Vorgänger gehört, dass sich seine Nachfolgerin auch getrennt hat und wie traurig das alles ist", erzählt der jetzt 45-jährige Ulrichs. "Da dachte ich mir: Mensch, das ist doch diese Oxen, eine interessante Frau." Obwohl sie beide zur gleichen Landeskirche gehören, sind sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nie begegnet. Gelegenheiten hätte es viele gegeben - erst wenige Wochen vorher waren sie auf derselben Ausstellungseröffnung, ohne voneinander zu wissen.
Ein mehrwöchiger Mailwechsel folgt. Oxen besucht Ulrichs in Göttingen, es ist Liebe auf den ersten Blick. "Wir standen uns in der Küche gegenüber und da wusste ich: Die ist es", erinnert sich Ulrichs. Oxen fühlt: "Mit dem wird mir auf jeden Fall nicht langweilig."
Gemeinsames Glück: Eine Tochter
Eine Fernbeziehung kommt für beide nicht in Frage. Denn als Pfarrer sind sie am Wochenende beruflich eingebunden und können sich nicht freinehmen. Zudem besagt die sogenannte Residenzpflicht, das sie sich nicht länger als 24 Stunden außerhalb ihrer Gemeinde aufhalten dürfen, ohne Urlaub zu nehmen. "Wir hätten einfach keine Perspektive bei einer Fernbeziehung gehabt", sagt Oxen. "Wir haben das ja versucht", ergänzt Ulrichs. "Ich bin sogar für einen Tag diese 450 Kilometer gefahren."
Schnell steht fest, dass sie zusammen leben wollen. "Ich hatte das Gefühl, dass wir zusammen gehören und ich wollte mit Kathrin Familie sein", sagt Ulrichs. Oxen hat zu dem Zeitpunkt zwei Töchter und einen Sohn im Grundschul- und Kleinkindalter, Ulrichs eine Tochter und einen Sohn im Teenageralter. Sie leben seit seiner Scheidung vor einigen Jahren bei ihrer Mutter.
"Ich bin schnell schwanger geworden mit unserem gemeinsamen Kind", erzählt Oxen. "Das war gut und das wollten wir beide." Beide verstehen die Schwangerschaft als Zeichen, dass sie das Richtige tun. Nicht nur privat, sondern auch beruflich erweist sich die erwartete Tochter als Glück. "Die Schwangerschaft hat gegenüber der Kirche als Arbeitgeber die Notwendigkeit verstärkt, dass wir zusammen ziehen", ergänzt sie.
Oxen, Ulrichs, Hoffmann
Auch für Ulrichs erleichtert sich dadurch vieles. "Ich habe das sowohl in der Kirchengemeinde als auch bei meinen eigenen Kindern so erlebt, dass das kommende Kind alles legitimiert hat, auch diese radikalen Brüche in Berufs- und Lebensumfeld." Ulrichs beschließt das Pfarramt in Göttingen aufzugeben und nach Bützow zu ziehen. Er bekommt eine Stelle an einer Fachschule für Erzieherinnen. Sie heiraten.
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Das Patchwork-Familienleben beginnt. An der Haustür stehen jetzt drei Namen: Oxen, Ulrichs, Hoffmann. Der letztere ist der Nachname der drei ältesten Kinder der Pfarrerin, die nach ihrem Vater benannt sind. Die Namensvielfalt sorgt gelegentlich für Verwirrung. "Das muss ich zum Beispiel im Kindergarten erklären", sagt Oxen. "Gerade melde ich zwei Kinder an, das eine heißt Hoffmann, das andere Ulrichs, aber ich als Mutter heiße Oxen." Auch Ulrichs Position ist für Außenstehende nicht immer deutlich. Abhollisten, in denen in Klammern zum Beispiel 'Stiefvater' steht, sorgen für mehr Klarheit.
Beruflich erleben sie viel Entgegenkommen, trotz schwieriger Vorgeschichte. "Ich war ja auch Pfarrer und ich habe das neue Leben als Pfarrmann in Kathrins Gemeinde als sehr positiv empfunden. Als würde ich etwas heilen, was vorher kaputt war", so empfindet es Ulrichs. "Natürlich ist eine alleinerziehende Frau auch Familie, aber ich glaube, das ist noch nicht so weit, dass das von allen so gesehen wird", sagt Oxen. Die Gemeindemitglieder registrieren die Veränderung als wohltuend: Es ist wieder ein Mann im Pfarrhaus. "Es gab da auch eine Dame, die hat mich immer als Herr Pastor angesprochen, als wär' ich für die Gemeinde zuständig", erzählt Ulrichs.
"Ein Pfarrhaus liefert die Familie auch aus"
Auch Oxen erlebt die große Freude in ihrer Gemeinde. Sie sind sichtbar erleichtert und glücklich über die Wendung in der Familie. "Die Stimmung könnte beschrieben werden als: Es wird doch wieder gut und jetzt bekommt sie sogar noch ein Kind", sagt sie. "Viele Gemeindemitglieder wünschen sich eine heile Familie im Pfarrhaus", meint auch Ulrichs.
Doch das Leben im Pfarrhaus fordert. Sie erleben, wie der Beruf das Leben außerhalb des Amtes mit bestimmt. Dienst- und Privattelefon stehen am gleichen Ort und klingeln unabhängig vom Tag und der Stunde. Gäste gehen ein und aus. "Ein Pfarrhaus liefert die Familie auch aus. Im Sinne von ausliefern an die eigenen Ansprüche und die eigenen Berufsideale", sagt Ulrichs.
Im Februar 2012 übernimmt Oxen schließlich die Leitung des Zentrums für evangelische Predigtkultur in Wittenberg. Ein erneuter Wechsel steht an. Das Pfarramt lässt sie, wie ihr Mann kaum zwei Jahre zuvor, nun auch hinter sich. "Mit diesem Neuanfang in Wittenberg mussten alle nochmals neu starten", sagt sie.
Neuanfang in Wittenberg
Die Rolle von Ulrichs, der sich nach dem schwedischen Familientherapeuten Jesper Juul selbst als "Bonusvater" und nicht als Stiefvater begreift, festigt sich durch den Umzug. "Es hat sich aufgelöst, dass Karl einfach zu uns als Familie dazu gekommen ist", sagt seine Frau. Er fängt als Dozent im Predigerseminar an und bildet künftige Pfarrer aus.
Trotz des Plus an Privatheit verläuft das Leben mit insgesamt sechs Kindern an zwei Standorten nicht immer spannungsfrei. "Das Verbieten ist mir im ersten Jahr schwer gefallen", sagt Ulrichs zum Umgang mit Oxens Kindern, mit denen er jetzt einen Haushalt teilt. "Ich hatte Sorge vor der Reaktion eines Kindes, nach dem Motto: du hast mir nichts zu sagen."
Auch sie empfindet den Umgang mit den beiden großen Kindern ihres neuen Mannes, die bei ihrer Mutter leben, als herausfordernd. "Ich habe manchmal das Gefühl, ich sei schuld daran, dass er nicht mehr in Göttingen wohnt und keine Zeit mehr hat, weil er Vater eines kleinen Kindes geworden ist."
Alle zwei Wochen sind ihre ältesten drei Kinder bei ihrem Vater in Magdeburg. Gelegentlich kommen Ulrichs Kinder zu Besuch. "Für uns ist natürlich der Wechsel zwischen Großfamilie und Mutter-Vater-Kind Familie extrem", sagt sie. "Aber es ist auch wirklich schön, wenn wir alle zusammen sind. Wir sitzen dann am Tisch und denken: Mann, sind wir viele!"