"Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir uns diesen Tag nicht streitig machen", sagt die Hamburger evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs zum Auftakt der Podiumsveranstaltung, die sich nahtlos an die DGB-Demonstration samt Kundgebung anschließt. Offiziell ist von einer "Brückenveranstaltung" vor dem Kirchentag die Rede. Die Geistliche beschwört das solidarische Miteinander, das gemeinsame Eintreten für eine soziale und gerechte Gesellschaft: "Gutes Geld für gute Arbeit!" Prompt schallt es der Bischöfin aus dem munteren Publikum entgegen: "Aber auch in der Kirche". Ein Plakat wird hochgehalten: "Diakonie mit christlichen Hungerlöhnen".
###mehr-artikel###Fehrs ist auf diesen Einwand gefasst, schließlich haben die Diskussionen über Dumpinglöhne in der Diakonie sowie um das eigene Arbeitsrecht der Kirchen in jüngster Zeit für erhebliche Schlagzeilen gesorgt. Auch diakonische Einrichtungen müssten sich an christlichen Maßstäben messen lassen, betont die Bischöfin. Sie verweist zugleich auf die oft höhere Tarifbindung, die die Kirche als Arbeitgeberin gewährt. Sie spricht sich für "geregelte Verfahren der Lohnfindung" aus, was etwas arg akademisch klingt. Und gesteht zu, dass man sich um das Arbeitsrecht – Stichwort dritter Weg – durchaus streiten könne.
Im Lauf der Veranstaltung werden dann allerdings die Gemeinsamkeiten zwischen Kirche und Gewerkschaften wesentlich deutlicher als die Unterschiede. "Die Mietenbremse ist uns wichtiger als die Schuldenbremse", sagt Hamburgs DGB-Chef Uwe Grund – und trifft damit wohl auch den kirchlichen Standpunkt. "Beide", so Kirchentagspräsident Gerhard Robbers, "stehen für jene, die es nicht so dicke haben". Gerechtigkeit herzustellen, lasse sich besser gemeinsam erreichen als getrennt.
"Kein Gott, kein Staat, kein Kirchentag!"
Der Platz vor der Hamburger Fischauktionshalle hat sich nach der Gewerkschaftskundgebung zwar etwas geleert, die Stimmung ist aber immer noch bestens. Kirche und DGB, das ist nicht für alle eine gelungene Kombination. Eine Abordnung der DKP hält ein Plakat mit einem Spruch aus der "Internationale" in die Höhe: "Es rettet uns kein höh’res Wesen", hübsche Jungkommunistinnen tun sich mit dem Sprechchor hervor: "Kein Gott, kein Staat, kein Kirchentag!" DKP-Mitglied Dieter Riehl sagt, Kirche wie Gewerkschaften seien Institutionen, "die die Leute ruhigstellen", das System stützen.
Währenddessen ruft ein fanatischer Christ, der mit einem einschlägig verzierten Fahrrad unterwegs ist, jedem Podiumsdiskutanten unüberhörbar zu: "Du brauchst Jesus!" Oben auf der Bühne zeigt man sich weitgehend unbeeindruckt. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) spult sein Programm herunter, verlangt gute Ausbildung für Jugendliche. Ex-CDU-Scharfmacher Heiner Geißler, inzwischen zum Antikapitalisten gewandelt, verweist auf die politische Dimension des Evangeliums ("knallharte Forderungen") und spricht sich für ein neues Wirtschaftssystem aus. Den Leuten gefällt’s, sogar denen von der DKP. Die "Heuchler"-Rufe heben sie sich für andere auf.
Der verwandelte Heiner Geißler
Geißler spricht auch das ethische Fundament der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung an – eine Steilvorlage für Gerhard Wegner, Chef des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Er nutzt sein kurzes Statement für einen eingängigen Appell: "Wir müssen uns klar werden, wohin wir wachsen wollen". Die drohende Altersarmut, in Deutschland viele Jahre lang kein Problem mehr, sei Folge der prekären Beschäftigungsverhältnisse. Ein Hauptproblem sieht der EKD-Fachmann auch im immer weiter wachsenden Niedriglohnsektor.
###autor###Wegner spricht zudem einen weiteren Gesichtspunkt an, der Kirche und Gewerkschaften eng miteinander verbindet: die Würde des Arbeitnehmers. "Menschen dürfen, wenn ihr Job bedroht ist, nicht das Gefühl bekommen, ihre Menschenwürde zu verlieren", betont der evangelische Sozialwissenschaftler. Nachdenkliche stimmende Töne in einer Diskussion, die von der Munterkeit der Teilnehmer wie auch des Publikums profitierte. Ein Experiment des Kirchentags, das sich gelohnt hat. Selbst ein DKP-Aktionist sagte am Ende: "Die Liebe Gottes wird uns alle retten." Das war allerdings eher ironisch gemeint.