Und los! Im gleichen Takt tauchen die Ruder ins braune Elbwasser. Die Pilgerfahrt zum Kirchentag beginnt. Schneeschmelze und Frühlingsgewitter ließen den Fluss anschwellen. Als gerade Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz und Thomas Haarhoff vom Ruderverband Schleswig-Holstein die Kirchentagsfahne am Kirchenboot befestigen und alle Fotografen sich an einer Stelle um das beste Bild drängelen, schwappt die Flut fast über den Anleger. Die Strömung allein hat schon die Geschwindigkeit eines schnellen Fußgängers. Nur der Westwind wird hinderlich sein, wenn sich die die Boote mit vereinter Ruderkraft die 630 Kilometer bis Hamburg bewegen.
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31 schwarze Regenjacken zeigen das Jerusalemkreuz auf dem Rücken. Die Besatzungen der vier Boote, welche die ganze Strecke bis zum Kirchentagsbeginn am 1. Mai mitrudern wollen, sind gerade hinein geschlüpft. Erst am Vorabend haben sich die Ruderer zusammengefunden. Vor allem aus West- und Norddeutschland sind sie angereist, aus Köln, Bonn, Düsseldorf, Emden, Norden, wie der Leiter Thomas Haarhoff erklärt, während er vom bis zur Decke voll Gepäck gestopften Begleitauto zu den Booten eilt. Aus 25 verschiedenen Vereinen und Clubs haben sie sich auf die Ausschreibung des Deutschen Ruderverbands hin angemeldet.
Einfache Unterkunft in Bootshäusern
Am Abend bei einer Stadtrundfahrt und einem Empfang und jetzt auf dem grünen Rasen des Dresdener Rudervereins machen sie sich miteinander bekannt. Den Rheinländer Herbert Scheid, Jahrgang '45, von der Neuwieder Rudergesellschaft reizt die Aufgabe, die Kirchentagsfahne nach Hamburg zu bringen. Er kennt viele, die das Wanderrudern als Sport betreiben, aber diese Gruppe findet er vielschichtiger als andere. Dass relativ junge Menschen dabei sind, das Programm unterwegs mit Kirchenbesichtigungen und Gottesdiensten und die einfachen Unterkünfte etwa in Bootshäusern.
Dirk Wengler führt die Tour von seiner Geburtsstadt Dresden, die er mit 18 verließ, in seine neue Heimat Hamburg. Als er auf der Terrasse des Dresdener Vereinshauses der Sächsischen Zeitung ein Interview gibt, trägt er noch seinen Dress mit Aufschrift seines Clubs: "Der 'Hamburger und Germania Ruder Club' – genauso muss die Schreibweise sein. Wir sind der älteste Ruderclub des Kontinents, vor über 175 Jahren gegründet nach Londoner Vorbild." Sein Club ist Gastgeber des Empfangs am 1. Mai in Hamburg. Er schildert die geplante letzte Etappe von der Elbe in die Alster, mit Prominenten wie Margot Käßmann und Michael Otto vom Otto-Versand. Hinter der Alsterschleuse, welche den kleinen Fluss zum Teich Binnenalster aufstaut, wird die Kirchentagsfahne an Kirchentagsgeneralsekretärin Ellen Ueberschär übergeben. Alle Hamburger Rudervereine werden ein Spalier bilden.
Eine Kirchentagsfahne war schon beim Dresdener 2011 von über 100 Ruderern über die Elbe durch die Stadt gefahren worden. Wolfgang Kussatz vom Ruderclub Meißen, seit 1978 bis vor kurzem sächsischer Landeswanderruderwart, erinnert sich: "Als Dresden sich auf den Kirchentag vorbereitete, stand diese Idee mit einem Mal im Raum und wurde von allen begeistert aufgegriffen." Die neue Fahne zeigt die Silhouette der Nordkirche, dem Zusammenschluss der evangelischen Kirchen zwischen Hamburg, Flensburg und Greifswald, neben dem Jerusalemkreuz.
"Nur Verrückte machen die Strecke in fünf Tagen"
Zusätzlich zur Kerngruppe fahren andere Clubs etappenweise mit. Kussatz zum Beispiel rudert mit fünf Leuten aus seinem Club in Meißen einen Tag später los und trifft mit weiteren fünf aus Wittenberge in Hamburg mit der Pilgerfahrt zusammen. Er ist schon fünf Mal nach Hamburg gerudert, gesellig-gemütlich "ohne abzunehmen", lacht er. "Nur Verrückte machen die Strecke in fünf Tagen." Und ein einziger ganz Verrückter habe sich einmal elbaufwärts von Hamburg nach Dresden gekämpft.
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Den Sport Wanderrudern kann man bis ins hohe Alter ausüben, je nach Altersklasse zählt eine bestimmte Kilometerzahl für die Wertung im Wettbewerb. Über 60-jährige brauchen 600 Kilometer für die erste Stufe. Etwa 1000 Wanderruderer reichen sachsenweit ihre Zahlen ein, erklärt Kussatz. "Kilometer" ist ein häufiger Begriff in den Kennenlerngesprächen.
Die wenigsten aus der Gruppe sind so mit der Kirche verbunden wie eine Bremer Pfarrfrau oder Urs Moesenfechtel, der beim Dresdener Kirchentag mitgearbeitet hat und vom Aufbruch dort noch ganz begeistert ist. Er begleitet die Tour als Gast bei der Stadtdurchfahrt. Das Rudern ist für alle auf jeden Fall eine Auszeit. Rentner Reinhard Wolf aus Nienburg/Weser zählt an den Fingern ab: "Drei Dinge nehme ich nicht mit ins Boot: Handy, Foto, Uhr." Susanne Oberndörfer aus Bonn liebt den Ausgleich zu ihrer Arbeit in der Drogenhilfe – "gut für's Gemüt, meditativ". Es lockte sie auch die Erinnerung an die schöne Gemeinschaft auf Kirchentagen, die sie als Jugendliche erlebt hat.
Am ersten Abend "ein bisschen geschafft"
Ulrich Rothe von der Hamburger "Wanderrudergesellschaft Die Wikinger e. V." trägt zur Sportjacke seine blau-orange Pudelmütze. Das Kirchentagsmotto "Soviel du brauchst" passt seiner Meinung nach: "Es ist nicht so fordernd, sondern behutsam, man kann sich Gott nähern, so viel man mag, aber man muss nicht." Wie alle hofft er, mit der Fahrt und den Empfängen in jeder Stadt diesem Sport Aufmerksamkeit zu verschaffen, um Nachwuchs zu gewinnen. "Das Langsame, dass man sich viel Zeit nehmen muss, das ist vielen wohl zu beschaulich." So wie Sebastian (16), der mit seinem Club zwei Etappen bis Torgau mitfährt: "Eigentlich sind wir aktive Rennruderer", erklärt er mit etwas Stolz in der Stimme. Auch Horst Meyer, Schirmherr der Pilgerfahrt und Olympiasieger von 1968, duckt sich scherzhaft, als er am Elbufer bekennt: "Ich bin gar kein Wanderruderer".
Die Konkurrenz schadet nicht, auch nicht das trüb-kühle Wetter an diesem Morgen. Die Rudergäste sind noch beeindruckt von der Einladung gestern auf das Salonschiff der Sächsischen Dampfschifffahrt, genießen Schinkenbrötchen und Getränke, alles gesponsert wie die Jacken und Hosen. Ein Vierteljahr lang wurde die Verabschiedungsfeier organisiert, sagt Mira Körlin von der Dresdener Kirche, das habe sich gelohnt. Musik des Posaunenchors der Studentengemeinde untermalt die fröhlich-erwartungsvolle Stimmung. Beim Reisesegen von Christian Behr, Superintendent von Dresden Mitte, senken sich manche Köpfe.
Am Abend ruft "Wikinger" Ulrich Rothe aus Riesa an, um Bericht vom ersten Tag zu erstatten: "Sehr schön". Er sei jetzt "ein bisschen geschafft". Ein Wandertagebuch werde übrigens nur handschriftlich in einem Notizbuch geführt. Aber falls Mitpilger doch ihren Laptop dabei hätten, wolle er sie auf evangelisch.de hinweisen.