Forschen für den Krieg - auch in Deutschland
Auch in Deutschland wird über und für den Krieg geforscht. In unserem Schwerpunkt "Rüstung" klären wir: Wie viel Geld gibt unsere Gesellschaft pro Jahr für Wehrforschung aus? Und was hat es mit der Zivilklausel auf sich?

Der Verteidigungshaushalt der Bundesrepublik Deutschland ist der viertgrößte im Gesamtetat: Nach den Bereichen "Arbeit und Soziales“, "Finanzen“ und Bundesschuld“ gab der Staat im Jahr 2011 32,33 Milliarden Euro (9,15 Prozent) für die Verteidigung aus. Davon wurden 2011 für die "Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung" 921,95 Millionen Euro veranschlagt. Aus diesem Topf werden für Zwecke der wehrtechnischen Forschung folgende Institute finanziert: das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt e.V. in Köln mit 29 Millionen Euro, die Fraunhofer Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. in München mit 66,2 Millionen Euro und das Deutsch-französische Forschungsinstitut Saint Louis mit 21,1 Millionen Euro.

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Diese Institute entwickeln konkrete Projekte, zum Beispiel erforschen sie Lasersysteme. Daneben betreiben sie auch Grundlagenforschung, deren konkreter Nutzen noch gar nicht vollständig abzusehen ist, zum Beispiel im Bereich der Nanotechnologie. 

Anfang August 2012 wurde durch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel bekannt, dass auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aus seinem 11,88 Milliarden Euro Haushalt mehrere hundert Millionen Euro der Erforschung von wehr- und sicherheitsrelevanter Projekte bereitstellt. Unter den geförderten Projekten befinden sich unter anderem die Erforschung unbemannter Fluggeräte, Geräte zur biometrischen Gesichtskontrolle sowie Sensoren zur Spreng- und Gefahrenstoffkontrolle. Obwohl viele Projekte in Kooperation mit deutschen Rüstungskonzernen entstehen, haben sie weniger einen rein militärischen Charakter, sondern sind für den Bereich "Innere Sicherheit“ und "Polizei relevant“, hieß es dazu aus dem BMBF.

Ein Nein zur militärische Nutzung von Forschung und Wissenschaft

In Deutschland findet diese Art der Forschung an Hochschulen vor allem über die deutschen Rüstungskonzerne beziehungsweise deren Unterauftragnehmer statt. Der Bund übergibt ihnen über den Auftrag die Mittel zum Forschen, die Unternehmen forschen dann selbst und in Kooperation mit den Universitäten. Private Forschungseinrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. haben mit der direkten Auftragsübernahme weniger Berührungsängste.

Diese Entwicklung ist auf die Initiativen der deutschen Friedensbewegung aus den 1980er Jahren zurückzuführen. Als erste deutsche Hochschule verpflichtete sich die Universität Bremen 1986 durch die Verabschiedung einer Zivilklausel ausschließlich für zivile Zwecke zu forschen. Diese Klausel besagt, dass "jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung beziehungsweise Zielsetzung" abzulehnen ist, und fordert "die Mitglieder der Universität auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können." Dass an deutschen Universitäten Wehrforschung betrieben wird, regt bei vielen Studenten und Universitätsmitarbeitern zu Widerstand an. Aus deren Sicht findet eine Militarisierung der Forschung statt, die das Führen von Kriegen sowohl technisch als auch geistig erst möglich machen soll. Initiativen wie die Zivilklausel werden von den Parteien SPD, Grünen und die Linke unterstützt. Bis heute haben sich mehrere deutsche Hochschulen freiwillig einer Zivilklausel unterworfen, darunter neben Bremen auch die Universitäten der Städte Dortmund, Oldenburg und Berlin.

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Dietrich Schulze, Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit, drückte das Ziel der Zivilklausel Anfang März in einem Interview im März 2012 so aus: "Ziel der Initiativen ist die Verhinderung von Militärforschung - die Rüstungsindustrie soll keine Waffen mehr an den Hochschulen entwickeln und die Bundeswehr soll dort keine neuen Kriege mehr planen und dafür forschen. Die Initiativen versuchen daher so genannte Zivilklauseln in die Satzung ihrer Universität zu integrieren. Forschung, Lehre und Studium sollen nur noch nicht-militärischen Zwecken dienen. Es soll für friedliche und zivile Zwecke geforscht werden."

Wehrforschung - wie trennen?

Dass sich das Feld Wehrforschung alleine aus wissenschaftlicher Sicht nicht so scharf trennen lässt wie gewünscht, ist auch den Kritikern bewusst: Wo verläuft die Trennlinie? Ist es die Firma oder die Forschungseinrichtung, das Forschungs- oder Entwicklungsprojekt selbst, dass den Ausschluss über eine Zivilklausel rechtfertigt? Muss dann konsequenter Weise im Gegenzug auf den Nutzen von Erkenntnissen aus der Wehrforschung verzichtet werden? Die Befürworter der Zivilklausel argumentieren, sogenannte Dual-Use Projekte im Einzelfall zu überprüfen. Als "Dual-Use“ werden solche Güter bezeichnet, die sich sowohl zivil als auch militärisch einsetzen lassen. Dabei kann es sich zum Beispiel um Flugzeugelektronik oder spezielle Schutzausrüstung wie Gasmasken und Filter handeln. Aber auch bestimmte Werkstoffe, wie Polytetrafluorethylen (PTFE) – besser bekannt als Teflon - , sowie Chemikalien gehören dazu. Uran, das sowohl für die Herstellung von Nuklearwaffen als auch für den Betrieb von Atomreaktoren zur Stromgewinnung eingesetzt wird, ist eines der bekannteren Beispiele für Dual-Use Rohstoffe. Entscheidend für die Kritiker von Wehrforschung ist, wem das Projekt nützt und wer das Geld dafür bereitstellt.

Ausgerechnet die Universität Bremen zeigt, wie schwierig es ist den selbst auferlegten Anspruch auf Trennung zwischen ziviler und militärischer Forschung zu halten: 2011 wurde von Studenten und Professoren eine Stiftungsprofessur hinterfragt, die von dem Bremer Raumfahrtunternehmen OHB finanziert werden sollte. OHB produziert Satelliten sowohl für das europäische Galileo-Projekt als auch für die Bundeswehr.

Setzt sich international nicht durch: die Zivilklausel

Die Zivilklausel ist vor allem ein deutsches Phänomen, sie hat sich global nicht wirklich durchgesetzt. In China, Frankreich, Großbritannien, Russland und den USA ist die offene, als solche bezweckte und somit transparente Wehrforschung normal. In den USA gibt es militärische Förderprojekte und Stipendien in Höhe von mehreren zehntausenden US Dollar, die sich ausschließlich an High Schools richten. Hierbei handelt es sich allerdings wohl eher um vergleichsweise teure Rekrutierung und Zielgruppenbindung als um relevante Forschung.

Tatsächlich scheint es unmöglich, Wehrforschung von ziviler Forschung zu trennen – zu groß sind die Überschneidungen und die Möglichkeiten der gegenseitigen Beeinflussung wissenschaftlicher Projekte, die sich in einer freien Wissenschaftsumgebung bieten. Forschung und Entwicklung lassen sich nicht, mit welcher Begründung auch immer, isolieren und deren Ergebnisse zum exklusiven Nutzen beschränken.

Ein Fortschritt für alle Bereiche?

Die Pionierleistung, die von militärischer Forschung ausgeht, hat und wird das Leben auch in Zukunft nachhaltig verändern. In Zeiten von Kriegen und Konflikten erfährt die Wehrforschung naturgemäß einen Schub. Die gesamten Fortschritte in der Luft- und Raumfahrttechnologie der vergangenen 100 Jahre waren zum größten Teil aus militärischen Gründen motiviert und finanziert. In den USA können dank militärischer Forschung Brandopfer mit Eigengewebe aus dem 3-D Drucker behandelt werden, eine Technik die sicherlich einen großen Bedarf im zivilen Bereich hat. Dasselbe gilt für Innovationen in der Telekommunikation: Funk, Internet und Satellitenkommunikation waren zuerst militärisch relevant, bevor sie zur Technik für jedermann wurden. Die Fähigkeit, dass jeder Mensch über ein kleines, tragbares und frei zugängliches Gerät seinen genauen Standpunkt weltweit feststellen könnte, wäre vor 20 Jahren aus militärischer Sicht noch undenkbar und auch unerwünscht gewesen. Heute hat jeder so ein Gerät im Auto, es spricht sogar.