Foto: laif/Pep Bonet
Viele Afrikaner, die vor Jahren nach Südeuropa eingewandert waren, sind wegen der Krise weiter nach Deutschland gezogen. An ihrer prekären Situation hat sich wenig geändert.
Sie wären lieber im Süden geblieben
Manche Flüchtlinge riskieren für einen Neuanfang in Deutschland ihr Leben, wie die Hungerstreikenden auf dem Münchner Rindermarkt. Nur wenige Menschen kommen wirklich freiwillig. Manche hatten in Spanien oder Italien schon ihre neue Heimat gefunden - doch dann kam die Krise.
05.07.2013
epd
Imke Plesch

Irgendwann holt Julienne (Name geändert) eine Plastiktüte aus ihrer Handtasche und kippt den Inhalt vor dem Mitarbeiter im Jobcenter auf den Schreibtisch. Ein Haufen Papier türmt sich auf, er verzieht das Gesicht. Es sind Behördenbriefe, Kontoauszüge, Bescheinigungen, die Julienne nicht versteht, weil sie zwar Französisch und Spanisch, aber kein Deutsch kann. Es sind Papiere, die man in Deutschland für einen Neuanfang braucht.

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Dabei hatte Julienne gar nicht vor, noch mal neu anzufangen. Die 44-jährige Kamerunerin war Mitte der 90er Jahre mit Hilfe von Schleppern über Marokko und Ceuta illegal nach Spanien gekommen. 16 Jahre lebte sie in Madrid, baute sich mit einem eigenen Friseursalon eine Existenz auf, verdiente gut. Sie lernte Spanisch, seit acht Jahren hat sie einen spanischen Pass. Doch als keine Kunden mehr kamen, musste sie ihren Laden schließen. Im Spanien der Wirtschaftskrise hat sie keine Zukunft.

Menschen wie Julienne, die nach Südeuropa eingewandert waren, dort lange gelebt haben und nun aufgrund der Krise weiterziehen müssen, sind in den Statistiken schwer zu finden. Haben sie den Pass eines EU-Landes, wird nicht mehr registriert, dass sie ursprünglich aus einem Drittland eingewandert sind. Sind sie in dem anderen EU-Land nur langfristig aufenthaltsberechtigt, müssen sie in Deutschland ebenfalls einen Aufenthaltstitel beantragen. 2009 haben das laut Bundesamt für Migration 158 Personen getan, 2012 waren es bereits 1.788.

"Arbeit ist der Schlüssel zu allem"

Aus Spanien und Portugal kämen vor allem afrikanische Migranten nach Deutschland, erzählt Paraskevi Daki-Fleischmann, Leiterin der Fachdienste für Migration und Integration der Inneren Mission München. Aus Griechenland und Italien seien es eher gebürtige Albaner, Bulgaren, Serben oder Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion.

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Auch in den Deutschkursen bei den beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft (bfz) bemerkt man die neuen Zuwanderer. "Menschen, die aus einem Drittland nach Südeuropa eingewandert waren, dort lange gelebt haben und nun nach Deutschland kommen, hatten wir früher kaum - vielleicht zwei im Jahr", erzählt Genia Rauscher vom bfz. Jetzt häuften sich diese Fälle - vor allem aus Italien kämen viele Menschen in ihre Kurse: Syrer, Somalier, Tunesier und Marokkaner, die gut italienisch sprächen und teilweise über zehn Jahre in Italien gelebt hätten.

Ersparnisse sind bald aufgebraucht

Doch leicht ist der Neuanfang nicht. "Diese Menschen haben sich in ihren Einwanderungsländern integriert gefühlt", erklärt Daki-Fleischmann von der Inneren Mission. "Jetzt kommen sie voller Hoffnungen und denken, dass sie in Deutschland schnell eine berufliche Perspektive bekommen. Doch dann sind ihre Ersparnisse bald aufgebraucht."

Julienne fand gleich nach ihrer Ankunft in München eine Arbeit als Zimmermädchen in einem Nobelhotel. Doch nach gut zwei Jahren verlor sie ihren Job. "Alle, die zu mir in die Migrationsberatung kommen, wollen in erster Linie arbeiten, egal was", sagt Marie-Bernard Corain von der Migrationsberatung der Caritas in München. "Die Arbeit ist der Schlüssel zu allem."

Auch Ahmet (Name geändert) wäre lieber in Spanien geblieben - und auch er hat im vergangenen halben Jahr schon eine Plastiktüte voller deutscher Behördenbriefe gesammelt. Zehn Jahre lebte der heute 30-jährige Ghanaer in Spanien, anfangs mit falschen Papieren. Er schlug sich auf Pfirsich-Plantagen und als Gärtner durch, arbeitete in Fabriken und auf dem Bau. Er lernte Spanisch, machte sogar eine Handwerksausbildung.

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Doch dann gab es keine Arbeit mehr. "Spanien ist kaputt, kurz vor dem Zusammenbruch", sagt er. Aber Ahmet braucht Geld für die Familie in Ghana, viele Familienmitglieder hängen von ihm ab. Er kam nach München. Andere Afrikaner, die er in der Moschee oder auf der Straße traf, halfen ihm. Schließlich fand er einen Job in einem Fast-Food-Restaurant. Jetzt hofft er auf eine eigene Wohnung - noch schläft er mal hier, mal da bei Bekannten, manchmal auch in einer Pension.

"Eine Burg baut man nicht an einem Tag"

"In Afrika denken die Leute, in Europa liegt das Geld auf der Straße", sagt Ahmet. Die Realität sieht anders aus. "Aber eine Burg baut man auch nicht an einem Tag." Als erstes müsse er Deutsch lernen. Später möchte er vielleicht Wirtschaft studieren oder Politik - das interessiert ihn.

Juliennes Traum ist es, in München einen Friseursalon für afrikanische Zöpfe aufzumachen. Und dass ihre Enkelin, die sie mittlerweile aus Spanien nachgeholt hat, hier einmal Fuß fasst. Die 13-Jährige kann schon so gut Deutsch, dass sie Julienne die Behördenbriefe vorlesen kann. "Anfänge sind immer schwierig. Man muss kämpfen. Solange du lebst, musst du Hoffnung haben." Zum Sterben möchte Julienne aber zurück nach Kamerun - nach Hause, sagt sie. In ein deutsches Altersheim will sie auf keinen Fall.