Foto: Manuel Bauer
"Der Dalai Lama ist ein intensiver Beobachter"
Im Interview: Manuel Bauer, Leibfotograf des Dalai Lama
Seit 2001 begleitete der Schweizer Fotograf Manuel Bauer den Dalai Lama auf mehr als 30 Reisen rund um die Welt. Daraus entstand die einzigartige Bilddokumentation "Seine Heiligkeit der 14. Dalai Lama – Unterwegs für den Frieden". Auch bei der aktuellen Reise des Dalai Lama in die Schweiz ist Manuel Bauer dabei.

Sie gelten als offizieller Fotograf des Dalai Lama. Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit?

Manuel Bauer: Zwischen ihm und mir ist das eine eingespielte Sache. Seine Heiligkeit zu Fuß, bei Vorträgen, bei Belehrungen und öffentlichen Anlässen - ich versuche, alle seine wichtigen Aktivitäten zu dokumentieren. So diskret, wie das nur irgendwie geht. Ich bin in seine Entourage integriert und kann, wann immer das geht, mitreisen. Die Bilder des Schweiz-Besuches werden auf der Website des Dalai Lama und auf seiner Facebook-Seite dokumentiert. So kann seine weltweite Gemeinde seine Aktivitäten mitverfolgen.

Es gibt nicht viele Personen, die dem Dalai Lama so nahe kommen, wie Sie. Vor allem auch als Fotograf. Was zeichnet Ihre Freundschaft mit ihm aus?

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Bauer: Ich bin vorsichtig mit dem Begriff "Freundschaft". Eine Persönlichkeit wie der Dalai Lama kann man nicht auf die gleiche Stufe setzen wie einen Schulkollegen. Ich darf dennoch sagen, dass es eine ganz tiefe, innige Beziehung ist, die über diese vielen Jahre entstanden ist. Vielleicht auch durch die nonverbale Beobachtung, die in der Fotografie ja besteht. Ich versuche meist als Person gar nicht so präsent zu sein. Als Fotograf muss man viele seiner Sinne offen halten, damit man wirklich gute Bilder machen kann. Ich denke, wir haben eine tiefe Verbundenheit auf nicht technischer, nicht rationaler, sondern auf nonverbaler und intuitiver Ebene gefunden. Diese besteht offenbar auf beiden Seiten. Nicht nur, dass ich ihn beobachte bei seinem Tun, er beobachtet auch mich beim Fotografieren. Er sieht, ob ich über Leichen gehe für ein Bild oder ob ich Regeln respektiere. Der Dalai Lama ist ein intensiver Beobachter und hat ein beeindruckendes Wissen und Gespür für Menschen.

In welcher Weise hat er Sie spirituell beeinflusst?

Bauer: Geprägt hat mich vor allem seine Logik des Mitgefühls. Nicht Mitleid, sondern Mitfühlen, heißt die Devise. Das ist für mich der richtige Weg, das habe ich schon als junger Mensch in mir gespürt. Wenn man das wie ich während meinen Reisen mit dem Dalai Lama auf so hohem Niveau miterleben darf, so hoffe ich, dass es auch ein wenig abfärbt. (lacht)

Was bedeutet der Besuch des Dalai Lama für die in der Schweiz lebenden Tibeter?

Bauer: Zuerst möchte ich festhalten: Der Dalai Lama prüft jede Einladung auf ihren Sinn. Gerade bei öffentlichen religiösen Unterweisungen ist er sehr vorsichtig. In der Schweiz jedoch, wo 4500 Tibeter leben, empfindet er einen solchen Besuch als sinnvoll. Für die hier lebenden Tibeter ist es sehr wichtig, dass sie ihn sehen können.

Die tibetische Community in der Schweiz gilt als Erfolgsgeschichte.

Bauer: Auf jeden Fall. Es beeindruckt mich noch heute, dass die Schweizer Regierung Anfang der 60er-Jahre 1000 tibetische Flüchtlinge aufgenommen hat zu einer Zeit, wo den Leuten hier der asiatische Mensch noch sehr fremd war. Das Schöne an der Immigrationsgeschichte der Tibeter ist, dass sie es einerseits sehr gut verstanden haben, sich in der Schweiz zu integrieren, andererseits sind sie sich selber geblieben. So wurde möglich, dass die tibetische Kultur im Exil immer noch so lebendig ist. Sie wäre eigentlich längst ausgestorben. In Tibet zerstört durch die chinesische Besetzung, im Exil quasi durch den Generationenwechsel verschwunden. In der Migrationsgeschichte ist das eine einmalige Leistung. Es gibt eigentlich nichts Vergleichbares. Das Judentum hat es über Jahrhunderte geschafft, seine Kultur gekonnt im Exil einzurichten, die Tibeter hingegen haben innert weniger Dekaden erreicht, eine funktionierende Exil-Struktur aufzubauen.

Tibeter gelten in der Schweiz als hervorragend integriert. Warum ist das so?

Bauer: In diesen über 20 Jahren habe ich viele tibetische Freunde gefunden. Ich glaube, Tibeter werden hier gut akzeptiert, weil sie ein anständiger Menschenschlag sind. Es ist eine Kultur, die ein gescheites Zusammenleben organisiert, so, dass es für möglichst viele stimmt. Das spüre ich auch, wenn ich mit diesen Leuten zusammen bin. Ich glaube auch, dass wir das Herz irgendwie am gleichen Fleck haben mit diesen Leuten. Vielleicht, weil es wie wir ein Bergvolk ist. Man hat einen ähnlichen Umgang untereinander und ein ähnliches Gespür für die Natur.

Seit Jahren touren Sie mit Ihrer Bild-Reportage "Flucht aus Tibet", mit der Sie als Fotograf internationale Bekanntheit erlangt haben. Was möchten Sie mit ihr vermitteln?

Bauer: Als ich mich mit Tibet zu beschäftigen begann, habe ich gleich gewusst, dass es mir als Fotograf nur schwer gelingen wird, die wahre Dimension der Tragödie in Tibet zu dokumentieren. Als ich mich damals in die Materie eingelesen habe, habe ich jedoch erkannt, dass seit 1959 noch immer Tibeter aus ihrer Heimat flüchten und dabei ihr Leben riskieren. Die Flucht über den Himalaya ist eine lebensbedrohliche Tortur! Ich sagte mir als Fotograf: Falls es mir gelingen würde, so eine Flucht zu begleiten und zu dokumentieren, dann würde dieses Dokument stellvertretend für die Gräueltaten stehen, die den Tibetern in Tibet wiederfahren. So begleitete ich 1995 den gefahrvollen Weg eines Vaters und seiner sechsjährigen Tochter von Lhasa in Tibet bis nach Dharamsala in Nordindien über den 5716 Meter hohen Nangpa Pass. Aus dieser Arbeit ist ein Buch entstanden, eine Tonbildschau und viele Pressepublikationen.

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In meinem Vortrag erzähle ich von anderen bewegenden Einzelschicksalen. So auch vom Tibeter Tanak, der in eine winzige Zelle gesperrt und gefoltert wurde. In 37 Jahren Gefangenschaft hat er den Dalai Lama niemals verleugnet. Menschenrechtsorganisationen konnten ihn befreien. Als ihn der Dalai Lama bei einer Begegnung fragte, ob er denn sehr gelitten habe, sagte Tanak ihm: Nur einmal sei er sehr geprüft worden, als er Wut auf seine Peiniger entwickelt habe, statt Mitgefühl. Das hat mich tief beeindruckt und zeigt mir wieder, wie stark der Glaube vieler dieser Menschen ist. Für ihn war sein Folterknecht schlicht eine arme Person mit einem schlechten Karma. Tanak lebt heute im Tösstal im Kanton Zürich.

Mit meinen Vorträgen möchte ich Aufmerksamkeit schaffen für eine der ganz traurigen Tragödien, die stattfinden auf unserem Planeten. Noch immer! Über 100 Leute haben sich allein in den letzten Monaten aus Verzweiflung gegen die chinesische Besetzung verbrannt. Das sind neue Generationen, die Tibet vor der Besetzung nicht mehr kennen. Dennoch wollen sie nicht unter dem chinesischen Regime leben. Sie übergießen sich mit Benzin, trinken es sogar, damit es wirklich auch funktioniert. Darunter sind junge Mütter, Nonne und Mönche. Das zeigt, wie dramatisch die Lage noch immer ist. Was mich so beeindruckt, dass es die chinesische Regierung einfach nicht schafft, den Widerstandswillen der Tibeter zu brechen. Darum ist die Repression gegen sie noch immer so stark. Hier glaube ich an den Journalismus in einem aufklärerischen Sinn, dass es vielleicht doch etwas nützt, wenn Reporter ausziehen und berichten, wo tiefes Unrecht an Menschen geschieht.