Seit dem 3. März sind Sie nicht mehr rheinischer Präses, sondern ausschließlich Ratsvorsitzender der EKD. Wie hat sich für Sie der Alltag verändert?
Schneider: Mein Alltag ist nicht mehr so von Hektik geprägt, wie er es vorher unter dem Druck von zwei Ämtern war - mit vielen Terminen, vielen Reisen und viel Hin und Her. Die größer gewordene "stabilitas loci" tut mir und meiner Familie einfach gut.
###mehr-artikel###Sie sind von Düsseldorf nach Berlin gezogen. Wie erleben Sie die Hauptstadt?
Schneider: Ich kann noch nicht ernsthaft sagen, dass ich einen Eindruck von der Stadt habe. Das ist zu früh. Ich bin dabei mich einzuleben. In der Wohnung und der Umgebung fühlen wir uns wohl.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit der EKD-Vertreter in Berlin? Hier sitzen der EKD-Bevollmächtigte bei der Bundesregierung, Prälat Bernhard Felmberg, die Lutherbotschafterin Margot Käßmann und jetzt auch Sie als Ratsvorsitzender. Dazu das neu fusionierte Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung und noch eine Landeskirche.
Schneider: Mit Margot Käßmann und Bernhard Felmberg arbeite ich wie bisher gut und gerne zusammen. Und für die Fusion und Verortung des neuen Werkes für Diakonie und Entwicklung habe ich mich vor meinem Dienst als Ratsvorsitzender eingesetzt. Die Stadt Berlin und ihr Klima sind ja deutlich anders als das, was ich aus dem Rheinland kenne. Hier kann es gar nicht genug engagierte Leute geben, die in der Lage sind, unseren Glauben und unsere Kirche in der Öffentlichkeit überzeugend darzustellen. Da kann man sich nur freuen!
Ihr Büro bleibt in Hannover?
Schneider: Mein Ratsvorsitzenden-Büro bleibt in Hannover, denn dort ist die Zentrale der EKD, das Kirchenamt. Für die vielen Kontakte in Berlin reichen mein Büro am Gendarmenmarkt und die Amtshilfe, die mir die Dienststelle des Bevollmächtigten bereitstellt.
"Wir wollen diskutieren, wie die Rolle der Kirche in der Gesellschaft und im Verhältnis zum Staat ist."
In der Lutherdekade bis zum Reformationsjubiläum steht für 2014 das Jahresthema "Reformation und Politik" an. Was kann man in diesem Jahr bewegen, was in anderen Jahren nicht geht?
Schneider: Die Verantwortlichen in den Regierungen und Parlamenten sind sehr offen für das Gespräch mit kirchlichen Vertretern. Dasselbe gilt für die Parteien und Verbände. Aber im Themenjahr "Reformation und Politik" wird für uns stärker im Fokus unserer Kommunikation sein, was der Glaube für die Politik bedeutet: wie Theologie politische Systematik beeinflusst oder wie die Rolle der Kirche in der Gesellschaft und im Verhältnis zum Staat ist. Das sind die Themen, die wir grundsätzlicher diskutieren wollen. Das Themenjahr bietet außerdem eine Chance, deutlich zu machen, was die Reformation für die Politik und die Entwicklung von Politik angestoßen hat - etwa die Lehre von den zwei Regimenten Gottes.
Was hat die Reformation da angestoßen?
Schneider: Die weltliche Politik hat eine eigene Würde bekommen, die von Gott gegeben und gewollt und die von der Kirche und der Religion nicht zu dominieren ist. Die Politik ist von der Kirche im Grundsatz zu respektieren. Aber weiter gilt das biblische Gebot: "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen" - wenn das konkrete politische Handeln den Geboten Gottes widerspricht. Nach der Befreiung aus klerikaler Bevormundung wurde denkbar, dass staatliche Macht aus dem Volke hervorgeht.
Die Reformation war letztlich Wegbereiter der Demokratie? Dazwischen lagen aber noch finstere Epochen?
Schneider: Wir müssen in aller Demut sagen: Die Konfessionen haben es nicht geschafft, in einem Zeitalter, das von Religionskriegen beherrscht war, aus eigener Kraft ihre Differenzen friedlich zu lösen. Es war staatliche Macht, die den Westfälischen Frieden 1648 nach dem Dreißigjährigen Krieg durchgesetzt hat.
"Die Befreiung staatlicher Politik von kirchlicher Macht war auch für die Entwicklung der Kirchen positiv."
Also war es vorteilhaft, dass die Kirche nach der Reformation an politischem Einfluss verlor?
Schneider: Ohne dass die Theologen das damals wollten, war die Befreiung staatlicher Politik von kirchlicher Macht faktisch auch für die Entwicklung der Kirchen positiv, denn konfessionellen Interessen wurden nicht mehr mit militärischer Gewalt durchgesetzt. Das war ein schmerzhafter, aber notwendiger Prozess.
Aber noch immer gibt es Teile der Welt, in denen Glaubenskonflikte mit Gewalt ausgetragen werden.
Schneider: Ja, leider. Wenn man zum Beispiel auf die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten blickt. Ich würde mir gerade in der islamischen Welt Befreiungsprozesse staatlicher Gewalt von religiöser Bevormundung wünschen. Dort herrschen zum Teil noch Konfliktmuster, die ähnlich sind wie in Europa zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges.
Zurück nach Deutschland: Wie stehen Kirche und Politik zueinander?
Schneider: Kirchen und Staat stehen - grundgesetzlich garantiert - in einem geordneten Verhältnis zueinander. Aus unserem jetzigen Staatskirchenrecht wird sich - so hoffe ich - in Zukunft ein Religionsrecht für alle Religionen entwickeln, das Rechtssicherheit und Entfaltungsmöglichkeiten im Sinne der positiven Religionsfreiheit sichert - also der Freiheit zur Religion und nicht nur der Freiheit von Religion. Das tut einer Gesellschaft gut, so lange Religionen die Normen unseres Grundgesetzes achten. Denn so sehr der Glaube von einzelnen Menschen gelebt werden muss: Er ist nicht reine Privatsache, weil er den öffentlichen Raum wesentlich mitgestaltet und mitbestimmt. Wenn das in friedlicher Weise geschieht, profitiert die Gesellschaft davon.
"Immer noch sind fast zwei Drittel der Menschen in unserer Republik Mitglied der beiden großen Kirchen."
In den meisten politischen Parteien ist das aber kein Konsens mehr. In großen Teilen der Linken, aber auch bei Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen gibt es starke Stimmen für einen säkularen Staat.
Schneider: Ob diese Stimmen wirklich so stark sind, wage ich zu bezweifeln. Meine Erfahrungen sind andere. Richtig ist: Kirchenkritische und säkularistische Stimmen werden gehört und verstärkt - besonders von den Medien, die an Konflikten interessiert sind. Tatsache ist, dass immer noch fast zwei Drittel der Menschen in unserer Republik Mitglied der beiden großen Kirchen sind. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass unsere Gesprächspartner in der Politik überwiegend zu schätzen wissen, dass Deutschland eben kein laizistischer Staat ist.
Vor dem Themenjahr Reformation und Politik kommt die Bundestagswahl. Gibt es bis dahin noch Entscheidungen für die Kirchen, die mit der schwarz-gelben Koalition besser laufen würden als mit einer anderen Regierungskonstellation?
Schneider: Ich habe mich von dieser Farbenlehre verabschiedet. Wir haben mit allen Bundesregierungen gut zusammenarbeiten können. Und wir haben in allen Parteien Menschen, die ihren Glauben überzeugend leben und die sich darum bemühen, aus ihrer christlichen Grundhaltung heraus Politik zu machen. Das ist keine christliche Politik, aber Politik von Christenmenschen, und zwar parteiübergreifend.