Foto: epd/Andrea Krogmann
Die Rabbinerin Anat Hoffman von der Reformbewegung "Women of the Wall" list an der Klagemauer aus dem Buch Esther.
Geschlechterkampf an der Klagemauer
An der Klagemauer in Jerusalem dürfen nur Männer beten. Das ist Gesetz. Doch unter Frauen hat sich Widerstand formiert: Die Gruppe "Women of the Wall" kämpft für eine Regeländerung und streitet mit ultraorthodoxen Juden.
15.04.2013
epd
Johannes C. Bockenheimer

Anat Hoffman ist eine unverbesserliche Gesetzesbrecherin: Mehrfach wurde die Israelin bereits für das gleiche Vergehen von der Polizei festgenommen. Als sie im vergangenen Oktober dann erstmals einem Strafrichter vorgeführt wurde, ließ sie ihn trotzig wissen: "Ich werde es wieder tun" - der Richter verurteilte sie zu einer Nacht im Gefängnis. Hoffman ist Rabbinerin und ihr Vergehen bestand darin, an der Klagemauer in Jerusalem zu beten.

###mehr-artikel###Denn auch wenn der Talmud das Gebet Frauen und Männer gleichermaßen erlaubt: In Gemeinschaft und vor der Klagemauer ist das Gebet den Männern vorbehalten. So sieht es die Tradition der orthodoxen Juden vor und diese Sicht wurde auch von Israels Oberstem Gericht bekräftigt. 2003 entschieden die Richter, dass die Frauen auf dem Mauerplatz weder aus der Torah lesen, noch den Tallit, den traditionellen Gebetsmantel tragen dürfen.

Hoffman will diese Lesart gleichwohl nicht gelten lassen: "Es gibt im Judentum mehr Traditionen als nur die orthodoxe", sagt sie. Als Jugendliche entdeckte die 58-Jährige das Reformjudentum und ließ sich zur Rabbinerin ausbilden. Sie bemerkte jedoch bald, dass Reformgläubigen in Israel enge Grenzen gesetzt sind. Zwar fällt der Anteil der ultra-orthodoxen Bevölkerung mit zehnt Prozent niedrig aus, politisch gelang es den strenggläubigen Parteien jedoch, von der Zerstrittenheit der Säkularen zu profitieren.

"Women of the Wall" streiten für Gleichberechtigung

Als Königsmacher der jeweiligen Regierungskoalitionen konnten die Ultraorthodoxen bei religiösen Fragen den Koalitionspartnern ihre eigenen Vorstellungen diktieren. Hoffman gründete 1989 daher gemeinsam mit anderen Frauen die Organisation "Women of the Wall", die sich für die religiöse Gleichberechtigung von Frauen in Israel einsetzt. "Es ist eine Schande, dass man die Schlüssel für die heiligste jüdische Stätte der extremsten Fraktion in der jüdischen Welt überlassen hat", sagt sie.

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Hoffmans Gegenspieler bezweifeln hingegen, dass es der Gruppe bei ihren Protesten alleine um Fragen des Glaubens gehe. Vielen Orthodoxen gilt die Gruppe als politische Bewegung, die unter dem religiösen Deckmantel eine feministische, sozial-politische Agenda verfolge. Schmuel Rabinowitz, der für die Klagemauer zuständige Rabbi, sagte im März, die Frauengruppe versuche, die Klagemauer zu einem Ort des Protests umzuwidmen und damit einen "unnötigen Konflikt" heraufzubeschwören. Gleichzeitig kündigte er an, fortan mit aller Härte gegen die Frauen vorgehen zu wollen.

Die Frauen und der Bruderkrieg

Um sich dem Zugriff der Polizei zu entziehen, griff die Frauengruppe vor kurzem auf einen kleinen Trick zurück: Die Aktivistinnen ließen das Gebet von drei sympathisierenden Knessetabgeordneten lesen, die aufgrund ihrer Parlamentsimmunität von den Gesetzeshütern nicht festgenommen werden konnten. Für Rabbi Rabinowitz stellte die Aktion hingegen eine weitere Eskalation dar: Die Frauen hätten damit eine "rote Linie" überschritten und provozierten gar einen "Bruderkrieg", sagte er. Hoffman fühlt sich ihrerseits von den Sicherheitsbehörden im Stich gelassen: "16 Frauen wurde seit 2009 von der Polizei festgenommen. Gegen die Männern hingegen, die uns angegriffen, beschimpft und bespuckt haben, hat niemand etwas unternommen."

Der Schlagabtausch zwischen den Mauerfrauen und Rabinowitz steht dabei stellvertretend für einen Konflikt, der die säkulare Gesellschaft Israels und die ultra-orthodoxen Bevölkerung seit Jahren beschäftigt. Übergriffe von orthodoxen Bürgern auf säkulare Israelis wegen vermeintlich unzüchtiger Kleidung oder orthodoxe Buslinien, in denen Frauen auf die hinteren Reihen verbannt werden, haben mehrfach für Schlagzeilen im Staat der Juden gesorgt.

Erfolg bei Parlamentswahlen

Den Unmut über das zunehmende Diktat der Religiösen in vielen Bereichen des Alltaglebens konnte zuletzt die neu gegründete Partei "Jesch Atid" ("Es gibt eine Zukunft") für sich nutzen. Bei den Parlamentswahlen im Februar gelang ihr aus dem Stand heraus der Aufstieg zur zweitstärksten politischen Kraft im Land. Ob mit Jesch Atid allerdings auch die Chance der Mauerfrauen steigt, demnächst ungestört an der Kotel zu beten, sieht Hoffman skeptisch: "Unsere Hoffnungen wurden schon zu oft enttäuscht", sagt sie. Dennoch, langfristig gibt sie sich siegessicher: "Eines Tages wird sich unser Eintreten für Gleichberechtigung als richtig herausstellen."