Es war fast eine Völkerwanderung, die Ludwig XIV. im Jahr 1685 mit seinem Edikt von Fontainebleau auslöste. Der König legte damit den Katholizismus als Staatsreligion fest und verbot den Protestantismus. Fast 250.000 Menschen verließen damals ihre französische Heimat, um der Verfolgung zu entgehen. Sie hingen protestantischen Glaubensrichtungen an – meist vom Calvinismus geprägt. In den Jahrzehnten zuvor konnten sie sich noch auf die Glaubensfreiheit berufen, die der Großvater des Sonnenkönigs ihnen 1598 im Edikt von Nantes zugesichert hatte. Doch damit war Schluss im Jahr 1685.
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Ein großer Teil der Hugenotten, wie man die französischen Protestanten nannte, floh in andere protestantische Länder wie die Niederlande oder die Schweiz. Auch die 33 Familien, die mit 161 Personen schließlich gegen Ende des 17. Jahrhunderts im Nordhessischen Zuflucht fanden, hatten zuvor eine Zeit in der Schweiz verbracht. In Hessen nahmen sie die "Freiheitskonzession" des Landgrafen Carl von Hessen in Anspruch. Er erlaubte den Hugenotten nicht nur, sich in der Nähe von Kassel niederzulassen und Häuser zu bauen. Er gestattete auch, dass sie eine Kirche errichteten und eigene Prediger einsetzten. Nach längerer Suche ließen sich die Hugenotten schließlich im ehemaligen Dorf Oberkelze nieder.
Münzen auf dem Abendmahlstisch
Das nordhessische Dorf Kelze ist bis heute sehr klein geblieben und dabei immer noch sehr besonders. Gerade mal 300 Einwohner hat das Dörfchen, das offiziell ein Stadtteil von Hofgeismar ist, und 90 Prozent gehören der evangelischen Gemeinde an, sagt Pfarrerin Anne Vilmar. Die Kelzer bewahren die Erinnerung an ihre Wurzeln und an die Aufnahme als Flüchtlinge bis heute.
Die Gemeinde ist Teil der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW). An die reformierte Tradition erinnern vor allem die vor einigen Jahren aufwändig restaurierte Fachwerkkirche, einige französische Namen unter den Bewohnern sowie Feste und kulturelle Ereignisse. Der Innenraum der Kirche ist weitgehend schmucklos, statt eines Altars gibt es einen Holztisch und die Kanzel ist zentral dahinter errichtet. Das Wort Gottes und seine Auslegung und nicht Rituale sollen im Zentrum des Gottesdienstes stehen, so die reformierte Tradition. Die Feier des Gottesdienstes hat sich aber heute, so Pfarrerin Anne Vilmar, weitgehend an die Gepflogenheiten der Landeskirche angepasst.
Lediglich der "Altargang" vor der Feier des Abendmahls gehe noch auf reformiertes Gedankengut zurück. Damals hatten die Menschen sich mit einem Besuch beim Pastor versichert, dass sie zum Abendmahl zugelassen seien und erhielten als Zeichen dafür eine Münze, die sie dann auf dem Tisch ablegten. Heute bringen die Kelzer echte Münzen oder gern auch Scheine mit. Nach einer Umrundung des Gottesdienstraumes legen sie dieses Geld auf den Abendmahlstisch, wo es eingesammelt und für den Erhalt der Kirche verwendet wird, berichtet die Pfarrerin.
Dorf und Kirchengemeinde eng verbunden
Das Bewusstsein, mit ihrer Geschichte etwas besonders zu sein, ist nach der Wahrnehmung der Pfarrerin bei den Dorfbewohnern sehr ausgeprägt. Wie eng religiöse und kulturelle Traditionen zusammenhängen, lässt sich ganz profan an der Internetseite des Dorfes erkennen. Hier begrüßen das "Hugenottendorf Kelze" und das charakteristische Hugenottenkreuz mit der Taube die Besucher, und hier finden sich Beiträge zur Geschichte von Dorf und Kirche.
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Es sind vor allem die Feste, die die Erinnerung an die Geschichte wach halten sollen. Zum Beispiel die "Mayence": Jeden ersten Sonntag im Mai wird ein dreijähriges Mädchen in besonderer Weise geschmückt und von einer in alten Trachten gekleideten Gruppe von Haus zu Haus geführt. Mit einem französischen Liedchen sammeln sie Eier und Geld ein. Im Haus der Mayence wird anschließend ein kleines Fest gefeiert. Vermutlich war die Mayence ein Kind, das in den Wirren der Flucht seine Familie verloren hatte und sie dann durch eine Suche von Haus zu Haus wiederfand, haben örtliche Heimatforscher herausgefunden.
Kelzer Aschermittwoch zieht Besucher an
Weit über die Grenzen Kelzes hinaus ist der Kelzer Aschermittwoch bekannt. Möglicherweise als Protest gegen das katholisch geprägte Ende des Karneval und den Beginn der Fastenzeit feiern die Kelzer an diesem Tag ihre Fastnacht, zu der inzwischen zahlreiche Gäste auch von außerhalb des Dorfes kommen. Der Umzug durchs Dorf mit dem Einsammeln von Speck und Wurst, mit Schnaps und Tänzen mit dem "Tanzebär" endet schließlich mit einem Fest in der Gaststätte "Zum Jean Bonnet". Hier findet sich noch einer der französischen Namen, auch manch einen Benoît gibt es noch im Ort, auch wenn der Name längst nicht mehr französisch ausgesprochen wird.
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Besondere Jahrestage bieten immer wieder die Gelegenheit, sich der eigenen Geschichte zu versichern. So war es auch 1999, als der 300. Jahrestag der Dorfgründung begangen und ein Heimatverein gegründet wurde. Nach dem Theaterstück "Neue Heimat", vom einstigen Pfarrer zur 250-Jahr-Feier geschrieben, setzten die Dorfbewohner die Gründungsgeschichte in Szene, veranstalteten einen Umzug und organisierten eine Ausstellung. Das Bewusstsein, einst als Glaubensflüchtlinge hier Aufnahme gefunden zu haben, verbindet die Menschen noch heute, sagt die Pfarrerin. Selbst die jungen Menschen pflegten dieses Wissen und einen gewissen Stolz darauf, etwas Besonderes zu sein.