Nordkoreas Aktivitäten werden scheinbar wenig von westlichen Bürgerbewegungen wahrgenommen. Es gibt kaum Proteste gegen das Regime hierzulande. Warum?
Daniel Ottenberg: Diese Beobachtung ist nur zum Teil richtig. Immerhin gibt es jede Woche eine Mahnwache zur Situation der Christen in Nordkorea vor der Botschaft des Landes in Berlin. Und auch bei den Vereinten Nationen ist seit 2010 ein Sonderberichterstatter zur Lage der Menschenrechte in Nordkorea eingesetzt, ein hochrangiger indonesischer Politiker. Seine Berichte sind erschütternd. Woran es darüber hinausgehend liegt, dass Nordkorea kein wirkliches Thema ist, ist schwierig zu sagen. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Land so verschlossen ist und man nur wenig Früchte der Arbeit sieht.
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Wie leben Christen in Nordkorea?
Ottenberg: Sie leben insbesondere strikt verborgen, denn sobald sie entdeckt werden, werden sie verhaftet. Die nordkoreanischen Christen sind die weltweit am meisten verfolgten. Auf dem Verfolgungsindex von Open Doors stehen sie an erster Stelle. Wir haben alleine 70.000 Christen in Arbeitslagern, die dort mit ihren Familien sind und zu Tode gefoltert werden, weil sie Christen sind. Die anderen, die im Land versteckt sind - 200.000 bis 400.000 müssen sich verstecken - werden von der Geheimpolizei gesucht. Und wenn man sie findet, werden sie direkt hingerichtet oder kommen in eines der berüchtigten Arbeitslager.
"Die Situation für Christen im Land wird noch unberechenbarer"
Davon abgesehen, dass die nordkoreanische Bevölkerung insgesamt unter Hungersnöten und schlechter Gesundheitsversorgung leidet: Welche besonderen Härten treffen Christen?
Ottenberg: In Nordkorea herrscht ein striktes Klassensystem, welches die Bevölkerung in soziale Klassen einteilt und das im Melderegister vermerkt ist. Danach richtet sich sowohl das Fortkommen in der Gesellschaft als auch die Teilhabe an der Lebensmittelverteilung und dem Gesundheitssystem. Christen werden in die "feindliche Klasse" eingestuft, ja es existieren für sie sogar eigene Unterklassen. Und das gilt nicht nur für die Christen selbst, sondern auch für ihre ganze Familie. Ein Entdecktwerden hat also auf allen Ebenen katastrophale Konsequenzen.
Haben Verschärfungen des Konflikts zwischen den beiden koreanischen Staaten Auswirkungen auf das innenpolitische Verhältnis zu den Christen?
Ottenberg: Die Situation für Christen im Land wird noch viel unberechenbarer, da der Patriotismus und die Verehrung der Kim-Dynastie in diesen Tagen noch stärker werden. Wie uns der Leiter einer christlichen Gemeinde kürzlich sagte, richtet die militärische Führung folgende Botschaft an die Bevölkerung: "Wir werden der entscheidenden Schlacht mit dem Gewehr in einer Hand und einem Hammer in der anderen Hand entgegentreten." Die Generalmobilmachung betrifft neben dem Militär auch die Roten Garden und die Jugendorganisationen. Alle sind gefechtsbereit. Wie uns Quellen im Land berichten, werden Fahrzeuge getarnt und es finden zu jeder Tages- und Nachtzeit Treffen statt, an denen viele Menschen teilnehmen. Die "Militär zuerst"-Politik soll "ihre Macht zeigen und den wunderbaren neuen Tag der Wiedervereinigung" bringen. Wegen dieser unberechenbaren Situation bitten die Christen im Land auch um intensives Gebet.
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Wenn Sie Hilfslieferungen nach Nordkorea bringen, verteilt Open Doors auch Bibeln. Nordkoreaner, in deren Haus eine Bibel gefunden wird müssen damit rechnen, dass ihre ganze Familie im Arbeitslager landet. Finden Sie es da verantwortlich Bibeln zu verteilen?
Ottenberg: In der momentanen Situation ist dies praktisch unmöglich geworden, weil die Grenzen aufgrund der angespannten Lage abgeriegelt wurden. Und es ist auch nicht ganz richtig, dass wir dort Bibeln "verteilen". Vielmehr besteht ein großer Bedarf nach Bibeln im Land und wir reagieren auf die Bitte der nordkoreanischen Christen. Insofern kommen wir unserer Berufung nach, verfolgte Christen zu unterstützen und sie dabei auch zu fragen, was sie benötigen. Sie sind ein starkes Zeugnis dafür, dass die Gemeinde Christi trotz größter Anstrengungen nicht vernichtet werden konnte. Aber sie benötigen unser Gebet. Daher möchte ich gerne mit der Bitte schließen, mit dem auch der bereits erwähnte Gemeindeleiter seinen Bericht beendet hat: "Gott hat uns in seinem Wort versprochen, dass, wenn wir nur nach seinem Königreich zuallererst trachten, uns alles andere ebenfalls gegeben wird. Darum betet bitte für uns."