Buch im Scanner
Foto: ddp images/Oliver Lang
Auch in der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) werden Bücher für das Google-Projekt eingescannt.
Google und das "world brain" im Netz
Normalerweise wollen die Hacker vom Berliner Chaos Computer Club unter sich bleiben. Vor allem der Presse gegenüber sind sie eher misstrauisch. Doch wenn ein Journalist jedoch einen neuen Film über google mitbringt und zu einer gemeinsamen Preview anregt, so öffnen die CCC-Aktivisten durchaus einmal ihre Clubräume. Schnell werden Leitungen und Adapter gelegt, ein Beamer wirft den Film auf ein Bettlaken an der Wand.

Nach eineinhalb Stunden Clubkino äußert sich die CCC-Pressesprecherin Constanze Kurz zur arte-Dokumentation. Das Interview findet in den Kellerräumen des Clubs genau neben dem Sofa statt, auf dem schon Wikileaks-Gründer Julian Assange bei seinen Berlin-Besuchen nächtigte. Wenn man also eine Meinung über die Macht von google haben möchte, so ist man hier bei der kritischen Internet-Avantgarde wohl genau richtig.

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Im Jahr 2002 begann google in Zusammenarbeit mit den großen Uni-Bibliotheken etwa von Michigan, Harvard und Stanford damit, Literatur einzuscannen. Zwar hatten einige Universitäten schon mit kleineren Digitalisierungs-Projekten begonnen, doch bei Bearbeitungs-Kosten von etwa 100 Dollar pro Buch waren dies verglichen mit dem jetzigen finanziellen und organisatorischen google-Engagement nur Peanuts. Google strebt nämlich die Erfassung der gesamten Weltliteratur an, eine riesige globale Bibliothek, die der Idee des Science-Fiction-Pioniers H. G. Wells von einem "world brain" sehr nahe kommt. Die Vision ist, dass das gesamte Menschheitswissen von jedem PC-Platz der Welt aus mit einem Mausklick verfügbar sein soll. Bald jedoch wurde klar, dass google seinen Mega-Scan nicht ganz uneigennützig vorantreibt.

Das Interessante sind die Fragen

"Man kann mit vielen Büchern, schätzungsweise bereits 20 Millionen, genau weiß man das ja nicht, wieder neue Algorithmen und daraus neue Informationscluster erlangen", sagt Constanze Kurz vom Chaos Computer Club. "Es geht bei der Suchmaschine nicht darum, dass die Menschen etwas finden. Sondern das Interessante für google sind ja die Fragen, die vom User an diese Information gestellt werden. Und damit hat google bereits für sein eigenes Geschäftsmodell einen Mehrwert geschaffen." Die Informatikerin hält die Beschreibung der arte-Dokumentation für korrekt.

Google hat eine Idee und setzt sie einfach erst mal um, egal, ob das juristisch nun erlaubt ist. Das war schon beim Streetview-Projekt so. Nicht nur alte und längst rechtefreie Schinken werden gescannt, sondern auch schätzungsweise bis zu sechs Millionen zeitgenössische Schmöker, deren Rechteinhaber noch leben. Mit dem google-book-Projekt hätte das Mega-Unternehmen denn auch das Monopol auf die Mehrheit der im 20. Jahrhundert veröffentlichten Bücher, wenn die Urheber der Texte das mehr als 350 Seiten starke "Google Book Settlement" vom Oktober 2008 akzeptiert hätten. Diese Google-Buch-Regelung wurde zwar nach lautstarkem weltweitem Protest zahlreicher und namhafter Autoren im März 2011 von einem US-amerikanischen Gericht aufgehoben. Aber der Kampf um das Online-Wissen geht weiter und google scant unverdrossen Buch um Buch, ohne sich dafür die Erlaubnis der Autoren eingeholt zu haben.

"Google kann sehr wohl evil sein"

"Anfangs war das bei google mehr so ein spielerisches Tun wie bei einem kleinen Kind, das unschuldig Informationen sammelt. Heute ist google in einigen Märkten zu einem Monopolisten geworden, der wichtige Teile des gesellschaftlichen Zusammenlebens kontrolliert, nämlich den Zugang zu Wissen und Information", erklärt die Internet-Spezialistin Constanze Kurz.

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Wurde noch vor Jahren über die phantastischen neuen Möglichkeiten des World Wide Web geschwärmt, so macht die neue Wissens- und Informationstechnik immer mehr Menschen Angst. Eine berechtigte Angst!

"Ein Wirtschaftsunternehmen ist nicht gemeinwohlorientiert, sondern hat den Interessen der Anteilseigner zu dienen. Das Image von google hat sich gewandelt. Das 'don't be evil' wurde früher eher abgekauft. Jetzt haben wir gesehen, google kann sehr wohl evil sein", warnt Kurz. "Wir reden über private Daten über Verhaltensweisen von Menschen, Äußerungen von Menschen, Beziehungen zwischen Menschen und eben auch, was die Menschen lesen und nach welchen Buchinformationen sie suchen. Da ist ein Bereich entstanden, der noch vor fünf Jahren undenkbar war."

Der Kampf ums Netz geht weiter

Viele Bücher sind bei google allerdings nur als so genannte Snippets, also Schnipsel, verfügbar. Informationen sind dadurch zerschreddert. Es besteht die Gefahr, dass die Menschheit meint, dass das von google präsentierte Wissen wirklich alles ist, was es zu wissen gibt. Der Manipulation und Marktbeherrschung ist so Tür und Tor geöffnet. "Staaten und öffentlichen Bildungseinrichtungen ist es gar nicht möglich, so ein digitales Weltbuchprojekt zu realisieren. Es gibt zwar den zaghaften Gegenversuch der so genannten Europeana. Dort geht es wirklich nur um den Zugang von Wissen für alle. Aber das Budget dafür ist lächerlich, nicht mal ein Halbtagesumsatz von google", weiß Kurz.

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Google macht eben, was die öffentliche Hand schon längst nicht mehr kann oder vielleicht auch gar nicht will. Der Kampf ums Netz geht weiter. Er findet jedoch, so scheint es, allein zwischen wenigen multinationalen Internet-Firmen statt. Der Staat kann im besten Fall reagieren und versuchen im Nachhinein rechtliche Schranken gegen Datenmissbrauch aufzubauen. Mit Sicherheit hat google auch schon alle relevanten Gesetzestexte dazu eingescannt. Wollen wir hoffen, da es da nicht bereits googlegemäße Manipulationen gibt.