Foto: dpa/Tim Brakemeier
Anmutung einer Kirche, aber nur auf den ersten Blick: Durch ein vergittertes Fenster fällt Licht in eine Gefängniszelle.
Wertschätzung statt Werbung: Die Kirche geht in den Knast
Jesus feierte mit Zöllnern und Sündern, auch die Kirche von heute ist dort gefragt, wo die Armen, Schwachen und Ausgegrenzten sind. Beispiel Gefängnis: Papst Franziskus wäscht am Gründonnerstag jugendlichen Strafgefangenen in Rom die Füße, am Karfreitag besucht der rheinische Präses Manfred Rekowski die Justizvollzugsanstalt Koblenz. Gefängnisseelsorgerin Carmen Lamsfuß freut sich auf den Gottesdienst mit ihrem "Chef" und den Gefangenen. Ein Gespräch vorab.
28.03.2013
evangelisch.de

Frau Lamsfuß, mit welchen Erwartungen gehen die Gefangenen in die Begegnung mit Präses Rekowski?

Lamsfuß: Ich bin mir nicht sicher, ob sie irgendetwas erwarten – vor allem, weil sie nicht unbedingt wissen, was überhaupt ein Präses ist. Ich habe kürzlich in einem Gespräch mit Gefangenen anzusprechen versucht, was ein solcher Besuch bedeuten könnte. Es war gar nicht so leicht, darüber zu reden. Für die Gefangenen schwankt die Gefühlslage zwischen einer Art Wertschätzung, die damit verbunden sein könnte, und der Angst, das könnte nur ein Werbegag sein. Vielleicht hat der Präses ein tröstendes Wort, gerade für Untersuchungshäftlinge. Mindestens zwei Drittel der Gefangenen in der JVA Koblenz sind U-Häftlinge.

###mehr-personen###Wie wird die Begegnung aussehen?

Lamsfuß: Zunächst gibt es ein Gespräch mit dem Anstaltsleiter, dann feiern wir Gottesdienst – ich bin für die Liturgie zuständig, Präses Rekowski hält die Predigt. Die Feier beginnt aus diesem besonderen Anlass um 9.45 Uhr, normal wäre 8 Uhr. Dann gibt es möglicherweise eine Begegnung mit Inhaftierten. Das wird aber vielleicht etwas schwierig, weil es in der U-Haft besondere Bedingungen gibt. Das wird sich dann spontan vor Ort zeigen.

Was wäre ein gutes Predigtthema?

Lamsfuß: Wenn man im Gefängnis predigt, sollte man immer im Blick haben, in welcher Situation die Menschen sind, die da sitzen. Manches im Leben dort ist sicher genauso wie im Leben "draußen". Aber man muss die Hilflosigkeit berücksichtigen – die Menschen wissen in ihrer Situation zwischen Verhaftung und Prozess einfach noch nicht so genau, wo es hingeht. Das Thema hat am Karfreitag große Bedeutung. Diejenigen, die zu Tätern geworden sind, sind jetzt selbst leidend – aber zwischen dem vielfach größeren Leid der Opfer und jenem der Täter gilt es die Balance zu halten. Das ist ein spannendes und schwieriges Thema.

###mehr-info###Das Thema Schuld und Vergebung liegt im Gefängnis auf der Hand. Ist das für die Inhaftierten eher hilfreich oder schwer?

Lamsfuß: Gerade in der Untersuchungshaft stehen die Auseinandersetzung mit der Schuld und das Bedürfnis nach Vergebung noch nicht so im Mittelpunkt – die Menschen fragen eher, wie es ihren Familien geht, sie blicken auf den Prozess und die drohende Strafe. Sie fragen sich, was sie vor dem Richter erzählen können, um sich zu rechtfertigen. Eine richtige Reflektion über das Geschehene wird bei vielen erst danach einsetzen, wenn sie in der Strafhaft sind. So ist das Thema Schuld für die Menschen zwar präsent, aber verschüttet.

Die Untersuchungshaft ist also eine besondere Situation.

Lamsfuß: Ja, ich erlebe das wie eine Art Intensivstation. Menschen sind aus ihrer Umgebung herausgerissen, wissen nicht, was ihnen geschieht, können nichts mehr klären und kontrollieren.Vieles geht drunter und drüber. Das Warten ist sehr mühsam – auf die Anklageschrift, auf den Prozess. In der Strafhaft gibt es wesentlich klarere Strukturen, damit können die Menschen wesentlich besser umgehen. Dort ist auch die Seelsorgearbeit längerfristig angelegt. In der U-Haft können die Menschen von uns nur kurz begleitet werden. Und für sie gelten verschärfte Bedingungen. Menschen dürfen sich nicht sehen, wenn sie im gleichen Prozess sind, sie dürfen nicht gemeinsam zum Gottesdienst oder zu Gesprächskreisen gehen. Zum Teil sind sie eine einzige Stunde pro Tag beim Hofgang draußen und die restlichen 23 Stunden in ihrer Zelle.

Was macht das Gefangensein mit dem Glauben, den die Menschen mitbringen?

Lamsfuß: Es gibt Menschen aller Couleur und allen Glaubens, auch im Gefängnis. Viele haben wenig mit Kirche zu tun. Doch das Eingesperrtsein wirft einen sehr auf sich zurück und konfrontiert mit der Sinnfrage. Der Spruch „Not lehrt Beten“ wird da oft zur Wirklichkeit. Die Menschen suchen wieder Beziehungen, stellen sich die Frage: Ich bin schuldig, kann ich mich dem Glauben da überhaupt wieder nähern? Ich erlebe Menschen im Gottesdienst, die "draußen" bestimmt keine regelmäßigen Kirchgänger sind. Die Frage, wer man ist und welchen Sinn das Leben hat, hat natürlich auch eine religiöse Komponente.

Wie weit geht das Seelsorgeangebot hinter Gefängnismauern über das Christliche hinaus?

Lamsfuß: Ich gehe als evangelische Christin dort hin und bringe meinen Glauben mit – zugleich signalisiere ich den Menschen, dass jeder mit mir sprechen kann. Die Themen sind ja auch nicht unbedingt alle im engeren Sinne religiös. Die Konfession ist für die Menschen gar nicht so entscheidend, es hängt eher an der Frage: Kann ich mit dem Menschen reden oder nicht? Natürlich sind in dem Raum, in dem ich arbeite, die christlichen Symbole präsent – aber das spielt in vielen Begegnungen keine ausgesprochene Rolle. Ich führe auch Gespräche etwa mit Muslimen: über ihre persönliche Situation, über die Unterschiede im Glauben, oder jemand will sich einen Koran ausleihen oder bittet mich, die islamischen Gebetszeiten auszudrucken.

###mehr-artikel###Wie werden Karfreitag und Ostern im Gefängnis gestaltet?

Lamsfuß: Wenn Sie da einen Gefangenen fragen würden, würde der sagen: Es ist ein langes Wochenende, und das macht das Leben noch mühsamer. Wir haben an den vier Tagen jeweils im Wechsel evangelische und katholische Gottesdienste – das ist aber das einzige, was an diesen Tagen passiert. Sonst gibt es den üblichen Umschluss, das bedeutet am Nachmittag ein bis zwei Stunden, in denen die Gefangenen im Gemeinschaftsraum Karten spielen oder fernsehen können, wenn sie kein TV-Gerät in der Zelle haben. Am Karfreitag gibt es vielleicht Fisch als Mittagessen, das weiß ich nicht so genau – und an Ostern bestimmt etwas, das leckerer ist als üblich. Aber sonst ist das eher schwierig. Die Familien fehlen den Gefangenen sehr, das ist an diesen Tagen, die man üblicherweise im Familienkreis verbringt, besonders spürbar.

###autor###Was erwarten Sie für sich persönlich vom Besuch des Präses?

Lamsfuß: Ich muss sagen, als die Anfrage kam, dass der Präses im Gefängnis predigen will, hat mich das überrascht und gefreut. Da ist ein Gespür, dass Kirche an Orten ist, an denen sie nicht so sehr wahrgenommen wird. Das tut gut. Ich kenne Herrn Rekowski noch nicht persönlich, deshalb bin ich gespannt, wie er predigen wird. Ich wünsche mir, dass unsere unterschiedlichen Gedanken im Gottesdienst zusammenpassen und den Menschen guttun.