Foto: ZDF/Gordon Muehle
Ferdinand von Schirach: "Es geht um Gier und um Eifersucht"
Mit seinem Buch "Verbrechen" sorgte der Berliner Staranwalt Ferdinand von Schirach vor vier Jahren für Aufsehen, der Band mit Kurzgeschichten landete auf den Bestsellerlisten und wurde auch von der Literaturkritik gelobt. Die auf wahren Fällen aus seiner Anwaltskanzlei basierenden Storys über kuriose Morde und andere spektakuläre Straftaten kamen so gut an, dass Schirach kurz darauf ein weiteres Buch mit Kurzgeschichten schrieb ("Schuld"), das ebenfalls ein Bestseller wurde.
Jetzt sind einige Storys des Berliner Strafverteidigers und Schriftstellers verfilmt worden: In der sechsteiligen TV-Serie "Verbrechen" (ab Sonntag, 7.4., 22.00 Uhr, ZDF) spielt Josef Bierbichler den Anwalt Friedrich Leonhardt, der mit ungewöhnlichen Kriminalfällen und merkwürdigen Mandanten konfrontiert wird.

Herr von Schirach, was fasziniert die Menschen an Verbrechen und Verbrechern?

Ferdinand von Schirach: Zum einen wird der Gangster zu unserem Stellvertreter, er darf die Dinge tun, die wir nicht tun dürfen. Wenn wir in ein Restaurant gehen und der Kellner uns blöd behandelt, reißen wir uns trotzdem zusammen. Und am Ende geben wir ihm sogar noch Trinkgeld. Tony Soprano aus der Mafiaserie "Die Sopranos" würde ihn ohrfeigen, Al Pacino in "Scarface" würde ihn erschießen. Für den Gangster gibt es keine Regel, er ist frei. Aber wir führen ein bürgerliches Leben, wir müssen 150 Ge- und Verbote befolgen, bevor wir am Morgen im Büro angekommen sind: Im Auto anschnallen, nicht während der Fahrt telefonieren und so weiter. Unsere Welt ist überreguliert, sie ist mühsam, unsere Freiheit wird immer kleiner. Und der zweite Grund: Wir erkennen die Verbrecher als Menschen, die uns ähnlich sind.

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Ihre Storys legen in der Tat nahe, dass jeder unter bestimmten Umständen zum Mörder werden kann. Welches sind nach Ihrer beruflichen Erfahrung als Strafverteidiger die Hauptmotive für einen Mord?

von Schirach: Ein Polizist in einer meiner Kurzgeschichten sagt: "Folgen Sie dem Geld oder dem Sperma, die meisten Verbrechen klären sich so auf". In der Regel stimmt das: Es geht um Gier und um Eifersucht.

Waren Sie in irgendeiner Form an der Produktion der Serie beteiligt - konnten Sie zum Beispiel bei der Auswahl der Geschichten ein Wörtchen mitreden?

von Schirach: Ich hätte es können, aber ich wollte es nicht. Film ist eine andere Kunstform, sie entsteht nach anderen Regeln. Die Drehbuchautoren, Regisseure und der Produzent sollten die Freiheit haben zu tun, was sie möchten.

"Der Produzent wollte, dass 'Verbrechen' nicht wie ein 'Tatort' aussieht"

Die Verfilmungen halten sich eng an die literarische Vorlage. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

von Schirach: Ich bin sehr zufrieden. Wenn ich der Regisseur gewesen wäre, hätte ich es vielleicht anders gemacht: keine Musik, nur schwarz-weiße Bilder, kaum Dialoge, kaum Schnitte, wenig Bewegung, keine Effekte, alles langsam und dunkel. Es wäre vermutlich ein Episodenfilm geworden. Und natürlich wäre es dann so schief gegangen, dass ihn nur ein paar Leute nachts um drei Uhr auf Arte geschaut hätten. Der Produzent Oliver Berben hatte eine andere Vision. Er wollte, dass "Verbrechen" nicht wie ein "Tatort" aussieht. Ich glaube, das ist ihm gelungen. Für das Fernsehen ist "Verbrechen" etwas Ungewöhnliches. Und dieser Mut verdient Lob, zumal die Filme die Grundgedanken der Geschichten adäquat vermitteln.

Teilweise geht es ziemlich brutal zu. Finden Sie das in Ordnung?

von Schirach: Die Welt wird gezeigt, wie sie ist. Sie können ja auch nicht für oder gegen die Schwerkraft sein.

Wie gefällt Ihnen Josef Bierbichler als Anwalt?

von Schirach: Er ist ein wunderbarer Schauspieler. Er nimmt sich zurück, er unterschneidet, er sieht nie aus wie ein Schauspieler. Deshalb wirkt er echt.

"Ich stehe unter anwaltlicher Schweigepflicht: Ich darf die Geschichten nie so erzählen, wie sie tatsächlich passiert sind"

Die kuriosen Geschichten in "Verbrechen" basieren auf echten Fällen aus Ihrer Kanzlei. Hat sich das alles tatsächlich so zugetragen - oder haben Sie sich auch dichterische Freiheiten genommen?

von Schirach: Was ist Wahrheit? Es gibt eine Wirklichkeit, also das, was tatsächlich geschieht. Aber wir nehmen die Dinge nicht so wahr, wie sie tatsächlich sind. Wir können immer nur einen Teil sehen, und jeder von uns sieht etwas anderes. Bei meinen Geschichten ist es genauso: Hätte ein Staatsanwalt sie geschrieben, wären es andere Geschichten. Dazu kommt, dass ich als Strafverteidiger unter anwaltlicher Schweigepflicht stehe: Ich darf die Geschichten also nie so erzählen, wie sie tatsächlich passiert sind. Ich setze eine Kurzgeschichte deshalb aus vielen Fällen zusammen. Sie sind trotzdem wahr, schon weil Literatur immer wahrer als die Wirklichkeit ist.

Wie bekommen Sie die schriftstellerische Arbeit mit Ihrem Job als Anwalt unter einen Hut?

von Schirach: Die Bücher "Verbrechen" und "Schuld" habe ich nachts geschrieben und bin tagsüber ins Büro gegangen. Beim "Fall Collini" war es schon mühsamer, ich musste Archive und verschiedene Orte aufsuchen. Die letzten 18 Monate war ich kaum in der Kanzlei. Ich habe einen neuen Roman geschrieben, der im Herbst erscheint. Ich werde aber den Anwaltsberuf nicht aufgeben.

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Wenn Sie sich zwischen Ihrem Beruf als Anwalt und dem Dasein als Schriftsteller entscheiden müssten: Wie würden Sie wählen?

von Schirach: Ich bin glücklich, dass ich es nicht entscheiden muss. Als Schriftsteller haben Sie die Verantwortung für die Figuren, die Sie erschaffen. Als Anwalt haben Sie die Verantwortung für wirkliche Menschen. Aber als Schriftsteller braucht man Einsamkeit, Zeit, die man ungestört mit einer Geschichte alleine ist. Die Strategie für ein Strafverfahren entsteht aus Akten, aus Gesprächen mit Richtern, Kollegen und Mandanten. In einer Hauptverhandlung kommt es darauf an, eine Situation schnell zu erfassen, für einen Zeugen die richtigen Fragen zu finden. Es ist ein sozialer Vorgang. Das Schreiben ist es nicht. Es ist das Gegenteil.