Das Arnold Fortuin Haus in Berlin Neukölln
Foto: epd-bild/Verena Mörath
Noch 2011 war es ein heruntergekommenes Mietshaus, heute mutet der Wohnkomplex wie eine einladende Oase im wintergrauen Quartier an: Das Arnold Fortuin Haus in Berlin Neukölln.
"Warum tut ihr das für die Zigeuner?"
Vom Skandal-Quartier zum schmucken Wohnkomplex: Ein kirchlicher Wohnträger setzt in Berlin besondere Akzente, um Roma zu integrieren. Dazu gehören gute Betreuung und soziale Angebote. Die Hilfe zeigt Wirkung.
26.03.2013
epd
Verena Mörath

Nördliches Neukölln an einem grauen Wintertag. Nur die 2.500 Quadratmeter große Brandmauer eines Hinterhauses an der Harzer Straße bringt Farbe in die trübe Stadtlandschaft. Sieben Neuköllner Künstler haben die Bergpredigt auf ihre Weise interpretiert. Auch die Fassade im großräumigen, hellen Innenhof ist farbenfroh - hier erzählt ein Künstler mit Pinselstrichen die Geschichte der 90 rumänischen Familien, die vor rund vier Jahren aus Bukarest und dem Dorf Fantanelle hergekommen sind.

Was heute wie eine einladende Oase anmutet, war 2011 eine schäbige Unterkunft, die bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Es gab Ratten und blanke Stromleitungen im Treppenhaus. Auf engstem Raum lebten in dem heruntergekommenen Wohnblock rund 500 Roma auf Matratzen. Profiteure kassierten von den Neuankömmlingen an die 1.000 Euro für einen Kindergeldantrag oder 1.500 Euro für einen Einschulungsantrag. Die Kinder spielten barfuß im Müll. 

"Es war verboten, das Wort 'Problem' auszusprechen"

In diesem Zustand kaufte Benjamin Marx die preiswerte Immobilie im Auftrag der Aachener Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft aus Köln, die zu 100 Prozent der Katholischen Kirche gehört. "Das könnte eine Aufgabe sein", dachte sich der Projektleiter im Mai 2011 - und entrümpelte mit seinem Team und den Bewohnern den Innenhof. Sie verjagten die Ratten und setzten das Haus notdürftig instand.
Die vom Vorbesitzer übernommene Reinigungsfirma ließ sich nur selten blicken. "Für Zigeuner zu putzen ist Quatsch", lautete die unerhörte Ausrede.

Diane Stavarache (36) spielt mit Romakindern im Arnold Fortuin Haus. Nicht für alle Kinder gibt es momentan einen Kitaplatz.

Marx engagierte kurzerhand Roma für die Hauspflege. Sie bekamen nicht nur Lohn dafür, sondern übernahmen auch die Verantwortung für ihr Wohnumfeld.
Teilhabe auf Augenhöhe wurde von Anfang an gefördert: Marx ließ im Hof ein Festzelt aufbauen und hielt mit Dolmetschern Mietersprechstunden ab. "Für alle Beteiligten war das Neuland", blickt er zurück. "Es war verboten, das Wort 'Problem' auszusprechen, es gab nur 'Aufgaben' zu lösen", lautete das Motto, bis im September 2012 die umfangreiche Sanierung abgeschlossen war.

Fragt man ihn, welches Konzept für die Entwicklung der Harzer Straße Pate stand, lächelt Marx und sagt: "Keins. Es ist einfach gewachsen und es wächst weiter. Von Tag zu Tag." In den sanierten 137 Wohnungen des Wohnkomplexes, der nach dem katholischen Geistlichen Arnold Fortuin benannt wurde, leben heute längst nicht nur Roma. "Wenn eine Wohnung frei wird, vermieten wir nicht mehr nur an diese Gruppe, wir wollen eine Durchmischung und kein Ghetto", erklärt Marx und betont, dies sei kein Roma-Projekt.

Nähwerkstatt, Kulturraum, Deutschkurse

Gleichwohl brauchen die Roma als Neu-Neuköllner besondere Unterstützung. Und die gibt es. Für Kinder wurde ein Spielekeller eingerichtet, es entstand eine Nähwerkstatt und eine Kulturraum für Lesungen und Ausstellungen. Seit Dezember 2011 ist außerdem die Rumänin Ana Maria Munteanu als Marx' rechte Hand vor Ort. Die Soziologin und Psychologin ist für die Bewohner da, dolmetscht und vermittelt zwischen Roma und Behörden, Ämtern und Schulen. Außerdem gibt sie Deutschkurse.

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"Die Roma hier sind als Neubürger angekommen. Sie lernen Deutsch, arbeiten, sie zahlen Miete und sie schicken ihre Kinder in die Schule", beschreibt Munteanu die positive Entwicklung.

Die 36-jährige Diane Stavarache ist eine der Mieterinnen. Sie und ihr Mann David leben hier seit vier Jahren mit ihren sieben Kindern. Ihre älteste Tochter ist 17 Jahre alt und wird nach der 10. Klasse auf ein Gymnasium gehen. Sie will Ärztin werden. Diane Stavarache kümmert sich regelmäßig auch um den Nachwuchs anderer Roma-Mütter. Denn nicht für alle Kinder gibt es momentan einen Kitaplatz. Mit den Kleinen singt sie nicht nur rumänische Lieder, auch deutsche Reimspiele kommen gut an.

"Es wiederholt sich das, was sie in ihrer Heimat erleben"

Dass in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wird, ob Roma überhaupt integrierbar seien, findet Ana Maria Munteanu bitter: "Hier werden die Roma genauso diskriminiert wie in Rumänien. Es wiederholt sich das, was sie in ihrer Heimat erleben."

Benjamin Marx kennt all die Vorurteile. "Roma sind dreckig, klauen und schicken ihre Kinder betteln oder auf den Strich", hat er zigfach gehört. "Man fragt uns abfällig, warum tut ihr das für die Zigeuner?", erzählt Marx. Seine Antwort ist schlicht und drückt doch nur etwas Selbstverständliches aus: "Wir wollen, dass diese Menschen hier in geordneten Strukturen ein geordnetes Leben führen können."

Marx kritisiert, dass seit Jahren bundesweit Schrottimmobilien von Schlepperbanden oder profitgierigen Vermietern mit Roma gefüllt werden und niemand diese Maschinerie stoppe. Es fehle immer noch eine Bestandsanalyse, wer von der Armutszuwanderung ungestraft profitiere.

Ab 2014 ist reguläre Arbeit möglich

Allein in Neukölln leben rund 10.000 Roma. "Es wird vermutet, dass Keller, Flure und Dachböden noch Zuflucht bieten", heißt es im 3. Roma-Statusbericht des Bezirks, der am soeben veröffentlicht wurde. "Noch ist keine sichtbare Wohnungslosigkeit da, aber das wird die Zukunft sein", ist dort zu lesen, und es klingt wie eine Drohung.

"Die Lage ist teilweise dramatisch", räumt Monika Lüke, die Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, ein. Es sei ein Unding, dass immer wieder einige Roma auf der Straße kampieren müssten. Eine Lobby hätten sie hier bisher nicht. "Endlich wird nach Jahren über die sogenannte Armutszuwanderung und die Situation der Roma öffentlich diskutiert. Das bringt nicht sofort eine Lösung, aber die Debatte ist überfällig." Die Roma seien hier und würden weiterhin kommen.

Die Integrationsbeauftragte hofft, dass sich die Lage entspannt, wenn 2014 die Freizügigkeitsbeschränkungen fallen. "Dann dürfen diese Menschen hier regulär und nicht nur als Selbstständige arbeiten. Es gibt genug Bereiche, wo Bedarf nicht nur an Fachkräften besteht."

Ein Modell für alle funktioniert nicht

Die Harzer Straße ist kein direkt übertragbares Modell für ganz Berlin oder andere Städte, die verstärkt mit Armutswanderung konfrontiert sind. Aber Experten sind sich einig: Als Beispiel, von dem Politiker mit Blick auf die Integration von Migranten etwas lernen können, taugt es sehr wohl.

"Die Roma als eine homogene Gruppe zu behandeln, ist falsch", sagen Marx und Munteanu einstimmig. In einem Haus würden mitunter ganze Dorfgemeinschaften zusammenkommen, und doch sei keine Gruppe wie die andere. "Es sind individuelle und kleinteilige Maßnahmen nötig. Man darf nicht einfach auf dem Papier ein Integrationsmodell für alle Roma entwickeln."

Noch versprechen sich die Protagonisten im Haus Arnold Fortuin von einem Aktionsplan für ganz Berlin nicht viel. Aber sie erinnern sich stets an ihr einstiges Motto: Es gibt keine Probleme. Es sind nur Aufgaben zu lösen.