Femen Protest in Berlin
Foto: imago/Future Image
Eine Aktivistin der Femen protestiert 213 in Berlin für die Freilassung der in Tunis inhaftierten Femen-Frauen.
"Wir haben keine Waffen" - Der Protest der Femen
So wie David ohne Rüstung gegen Goliath antrat, gehen die Femen schutzlos auf die Straße: mit nacktem Oberkörper. Die Proteste der Feministinnen sind bunt und laut. Sie richten sich gegen die Unterdrückung von Frauen durch Religion, gegen die Sexindustrie und gegen diktatorische Verhältnisse. Wie es sich anfühlt, schutzlos und nackt in der Öffentlichkeit zu stehen, erzählen Irina Khanova (33) und Josephine Witt (19) von Femen Germany.

Wie haben Sie sich das erste Mal mit nacktem Oberkörper in der Öffentlichkeit gefühlt?

Irina Khanova: Die erste Aktion, bei der ich nackt – also "oben ohne" – auf die Straße gegangen bin, war ein "Slutwalk" im September 2012. Das war ein nicht so ganz angenehmes Gefühl. Trotzdem war es ein großer Schritt für mich. Weil es eine feministische Aktion war – es ging um die Unterdrückung der Frau durch Religion - fühlte ich mich aber schon wohl im Vergleich zu anderen Aktionen zum Beispiel in Köln vor dem "Pascha" oder hier in Hamburg in der Herbertstraße. Da fühlte ich mich… nicht so ganz wohl. Es war sogar ein bisschen bedrohlich.

Irina Khanova (33, sitzend) ist Grafik-Designerin und Mitbegründerin von Femen Germany. Josephine Witt (19, stehend) ist Philosophie-Studentin und Aktivistin bei Femen Germany. Beide leben in Hamburg.

Josephine Witt: Bei mir war es die Aktion gegen die NPD in Berlin. Kurz davor war ich ein bisschen nervös. Man weiß nicht genau, worauf man sich einlässt, das kann man vergleichen mit einem Sprung ins kalte Wasser. Man steht auf der Klippe und weiß: Gleich wird man es tun, und man ist ein bisschen hin- und hergerissen. Und wenn dann die Aktion stattfindet, also wenn man sich seiner Kleidung entledigt und die Blumenkränze aufgesetzt hat, ist man wie in einer anderen Art von Selbstempfindung. Ich habe das Gefühl, dass der Protest sich wirklich sehr wahrhaftig anfühlt und alle innere Wut gegen das, wogegen man protestiert, sich nach außen kehrt, auch dadurch, dass die Kleidung abgelegt wird. Das ist wirklich eine Erfahrung, die sehr besonders ist.

Wie reagieren die Menschen auf die "Oben-Ohne-Proteste"?

Witt: In dem Moment wo die Leute realisieren, dass Femen da sind – wir sind ja meistens schon ein bisschen bekannt - da merkt man richtig, wie die Aufmerksamkeit ganz plötzlich auf einen gerichtet ist. Das geht ganz schnell, das ist wirklich so ein richtiger Überraschungsmoment für die Leute. Es ist ja auch unsere Strategie, das so zu machen.

Wie gehen Polizei und Sicherheitskräfte mit Ihnen um?

Khanova: Die wollen uns als erstes bedecken mit irgendwelchen Decken - damit möglichst niemand sieht, dass wir uns so verhalten - und uns dann abführen. Obwohl es ein friedlicher Protest ist. Und es gibt nichts Verkehrtes daran, oben ohne auf der Straße zu sein!

Nehmen Sie die Decken an?

Khanova: Nein, wir protestieren weiter. Wir versuchen weiter unsere Message rüberzubringen.

Witt: Die Polizisten sind ein bisschen überfordert mit der Situation. Die haben, glaube ich, noch nie in ihrem Leben eine nackte Frau festgenommen, und das ist wirklich witzig. Also die gucken erst ganz überrascht und denken sich: "Hä, was geht denn jetzt hier ab?" – dabei sind wir ja nur nackte Frauen. Wir bringen zwar unsere Meinung in einer sehr - sagen wir mal - radikalen Art und Weise zum Ausdruck und sind wütend und schreien, aber eigentlich sind wir immer friedlich dabei. Wir haben nicht die Intention, irgendjemandem weh zu tun. Aber trotzdem entscheiden sich die Polizisten, weil es so ungewohnt ist, uns nackte Frauen zu sehen, uns möglichst schnell von dem Schauplatz zu entfernen.

"Die Polizisten und Sicherheitskräfte sind eher ein bisschen beschämt"

Ist das auch mit Gewalt verbunden?

Witt: Wir wehren uns natürlich, wenn wir weggetragen werden, weil wir natürlich so lange wie möglich unseren Protest ausführen wollen. Aber ich habe es nicht erlebt, dass wir besonders gewalttätig festgenommen wurden. Die Polizisten und Sicherheitskräfte sind eher ein bisschen beschämt, muss man sagen, sie wollen nicht genau hingucken und so… eigentlich eher vorsichtig.

Haben Sie manchmal Angst ohne schützende Kleidung?

Witt: Es gab eine Situation, da mussten die Polizisten sich beraten, was sie mit uns machen und haben uns gegen eine Wand gestellt. Und wir standen da wirklich wie Schwerstverbrecher mit dem Oberkörper an die Wand gelehnt und wurden von hinten von den Polizisten gesichert, und da war mir ganz mulmig. Das fand ich merkwürdig, weil ich mich selber nicht als Schwerstkriminelle sehe, aber als solche behandelt wurde. Ich habe dann auch gesagt: "Ich bin friedlich!" und "Lasst mich bitte! Behandelt mich normal! Das ist entwürdigend. Ich möchte gerne wie eine normale Demonstrantin behandelt werden und nicht wie eine Terroristin." Dann haben die uns auch gehen lassen. Das war der einzige Moment, in dem ich Angst hatte. Ansonsten ist es eigentlich eher ein Gefühl von Freiheit.

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Khanova: Ich habe höchstens Angst davor, dass die Sicherheitskräfte oder Polizisten uns zu früh wegschnappen, wenn wir noch nicht die Möglichkeit hatten, unseren Protest durchzuführen. Vielleicht hätte ich mehr Angst, wenn es in einem anderen Land wäre. Wir wissen zum Beispiel dass es in arabischen Ländern dafür die Todesstrafe gibt. Neulich habe ich mit der Bloggerin, Künstlerin und Aktivistin von Femen Ägypten, Alia Al-Mahdi, gesprochen und ihr von unseren Plänen erzählt, dass wir in arabische Länder fahren und dort protestieren wollen. Sie sagte: "Ihr werdet vergewaltigt, und das wird richtig heftig sein für euch." In der Ukraine wird man bei den Protesten als Schlampe beleidigt, obwohl dieser Körper uns von der Natur gegeben ist. Da gibt es nichts Obszönes, wofür man sich schämen muss.

Witt: Ich hatte vorher gedacht, dass es etwas mit Ur-Ängsten und einer Ur-Scham zu tun hat, seinen Körper zu bedecken, aber das ist gar nicht so. Das kann man nicht vergleichen zum Beispiel mit Höhenangst, die man einfach als natürlichen Instinkt hat, sondern es ist einfach eine Art der Gewöhnung. Es war mir ganz neu, diese Erfahrung zu machen. Es ist zwar etwas Besonderes, weil man es nicht immer macht, aber nichts, das einen mit Angst erfüllt.

Gab es denn mal eine Situation, in der Sie sich doch lieber was angezogen hätten?

Khanova: Nein. Es hat sich überall gelohnt, finde ich.

Warum eigentlich protestieren die Femen "oben ohne"?

Khanova: Wir wollen zeigen: Es ist ein friedlicher Protest, wir haben keine Waffen. Wir sind wirklich schutzlos euch gegenüber und trotzdem werden wir verhaftet und abgeführt. Obwohl wir nicht angreifen und keine Gewalt ausüben. Wir protestieren zwar ab und zu provokativ, aber friedlich.

Witt: Es geht darum, der Freiheit über den weiblichen Körper Ausdruck zu verleihen. Der weibliche Körper wird oft von Medien eingesetzt in bestimmter Art und Weise, er wird als Objekt dargestellt, in der Werbung benutzt um Ware zu verkaufen, aber selten wird der weibliche Körper als Eigentum der Frau dargestellt, und da wollen wir uns gegen wehren. Wir wollen zeigen, dass wir selber über unseren Körper entscheiden können und dass er unser Eigentum ist und wir ihn auch als politisches Mittel einsetzen können.

"Unsere Botschaft kann man nicht von uns trennen"

Khanova: Bei uns bedeutet ja nackte Haut nicht nur, dass es aufregend ist, sondern sie steht für Selbstbestimmung. Wir protestieren mit Sprüchen auf dem nackten Körper um zu bestätigen, dass der Körper uns gehört, das ist unsere Bestimmung.  

Witt: Ein weiterer Grund ist, dass es sich bei unseren Protestformen auch um eine Art von Performance-Kunst handelt. Indem wir den weiblichen Körper als eine Kunstform und als ein Mittel einsetzen, unseren Protest kreativ umzusetzen, setzen wir den nackten Körper wie einen Spiegel für die Gesellschaft ein. Die Männerblicke und alle möglichen Blicke werden auf den weiblichen Körper gezogen. Aber anders als in der Pornografie oder in der Werbung ist es nicht so, dass der Körper unterwürfig ist, sondern dieses Spiegelbild wird verzerrt wiedergegeben, und zwar mit einer politischen Message, mit einer Eigenständigkeit, die wir ausdrücken wollen.

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Wir schreiben Botschaften auf unsere Körper, denn die Leute auf der ganzen Welt können nicht unbedingt hören, was wir schreien, aber sie können sehen, dass wir stark sind und etwas fordern. Und sie können lesen, was wir fordern – auch wenn uns die Plakate weggenommen werden. Wir haben trotzdem die Möglichkeit unsere Botschaft auf der Welt zu verbreiten, man kann sie nicht von uns trennen. Und diese Bilder können in die Presse gelangen, sogar in arabischen Ländern kommen sie an, wo die Leute Solidarität spüren und uns Danksagungen schreiben, dass wir das gut machen. Das begeistert uns natürlich und gibt uns Mut, weiter zu machen.