Für Japan etwas Neues: Demonstrationen - auch da hat die Katastrophe von Fukushima etwas verändert
Foto: dpa/Christopher Jue
Für Japan etwas Neues: Demonstrationen - auch da hat die Katastrophe von Fukushima etwas verändert, sagt die Leiterin des Filmfestivals Nippon Connection.
Dosimeter für alle: Das kulturelle Echo Fukushimas
Am 11. März 2010 löste das heftige T?hoku-Erdbeben in Japan zwei weitere Katastrophen aus: Zunächst überrollte ein Tsunami die nördliche Ostküste Japans, danach ereigneten sich schwere Reaktorunfälle im Kraftwerk Fukushima Daiichi. Zwei Jahre später stockt die Energiewende in Japan, der neu gewählte Premierminister Shinz? Abe gilt als Atomkraft-Befürworter. Doch ein Teil der japanischen Bevölkerung steht der Atomenergie weiter skeptisch gegenüber. Auch viele japanische Künstler und Filmemacher setzen sich mit den damaligen Ereignissen und ihren Folgen auseinander. In einem Gespräch erzählt Marion Klomfaß, Festivalleiterin des japanischen Filmfestivals Nippon Connection, über die japanische Anti-Atomkraftbewegung und ihr Echo im japanischen Film.
11.03.2013
evangelisch.de
Franziska Fink

Vor zwei Jahren wurde Japan von einer Dreifach- Katastrophe überrollt, wenige Wochen bevor das japanische Filmfestival Nippon Connection in Frankfurt stattfinden sollte. Wie hat das Festival-Team die Situation damals erlebt?

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Marion Klomfaß: Am 9. oder 10. März hatten wir gerade unser Programm fertig zusammengestellt und am 11. März erfuhr ich dann von der Katastrophe, als ich morgens von einem Radio-Journalisten angerufen und gefragt wurde, ob wir nicht Kontakte aus Japan vermitteln könnten, die von vor Ort berichten könnten. Eine Woche habe ich dann nur Fernsehen geschaut und versucht, so viele Informationen wie möglich aus dem Internet zu bekommen. Wir haben aber natürlich auch direkt mit unseren Kontakten in Japan kommuniziert, mit den Filmemachern und mit Atsuko Morimune aus unserem Festivalteam, die direkt in Tokio wohnt.

Dabei haben wir gemerkt, dass in Japan die Nuklear-Katastrophe anfangs gar nicht so ernst genommen wurde. Wir in Europa waren - auch geprägt durch Tschernobyl - viel besorgter gewesen. In Japan standen auch erst mal die Folgen des Tsunami im Vordergrund und nicht die Nuklearkatastrophe. Wir waren alle eine Woche in Schockstarre und haben auch überlegt, das Festival abzusagen. Aber unsere Kontakte in Japan haben gesagt, wir müssten gerade jetzt das Festival machen, auch als Plattform für Diskussionen.

Sie haben dann also die Geschehnisse in das Festivalprogramm integriert?

Klomfaß: Ja, es gab ein Sonderprogramm mit Filmen aus der japanischen Anti-Atomkraftbewegung, die es schon seit längerem in Japan gab, und viele Diskussionen. Aber im Großen und Ganzen hat das Festival auch so stattgefunden wie geplant. Nippon Connection hat seit der Katastrophe eine andere Ebene erreicht, weil wir uns jetzt auch immer mehr mit den gesellschaftlich-politischen Veränderungen in Japan beschäftigen.

"Die Filme sind etwas ernster und schwerer geworden"

Ein Jahr später - 2012 - war die Dreifach-Katastrophe und ihre Folgen für die japanische Gesellschaft ein zentrales Thema beim Nippon Connection Festival. Wie haben Filmemacher über Fukushima reflektiert?

Klomfaß: Direkt nach der Katastrophe wurden unglaublich viele Dokumentarfilme gedreht, die waren letztes Jahr sehr wichtig. Spielfilme haben natürlich eine längere Produktionszeit, das macht sich erst dieses Jahr bemerkbar. Wir sind gerade bei der Sichtung für das nächste Filmprogramm und da sind einige Spielfilme dabei, die die Ereignisse thematisieren.

Wie setzen sich japanische Filmemacher mit Fukushima auseinander? Gibt es da eine andere Herangehensweise beim Verarbeiten von solchen großen Unglücksfällen im Vergleich zu z.B. europäischen oder amerikanischen Künstlern?

Klomfaß: Das ist ganz unterschiedlich. Bei manchen wird das eher subtil behandelt, so dass die Unglücksfälle nicht die Haupthandlung sind, sondern im Alltag integriert sind. Die Filme sind etwas ernster und schwerer geworden, auch wenn sie nicht direkt die Katastrophe thematisieren. Insgesamt hat man das Gefühl alles ist düsterer. Es gibt nicht mehr so viel verrückte, leichte Komödien oder Actionfilme.

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Vor allen Dingen der Tsunami steht im Vordergrund, weil viele Familienmitglieder und Freunde verloren haben. Das wird oft thematisiert, also das Auseinanderbrechen der Familien.

Aber es gibt auch sehr kritische Filme, die ganz gezielt den Umgang mit der Nuklear-Katastrophe behandeln und wie die Politik und die Medien in Japan damit umgegangen sind. Da haben wir einen ganz spannenden Film "Odayaka" von Nobuteru Uchida, in dem es um  Mütter geht, die Angst um ihre Kinder hatten und nicht wussten was sie tun sollten. Offiziell sagte die Regierung es wäre alles sicher, aber die Mütter wurden in ihrer Angst zu den Bösen, weil sie alles hinterfragten.

Auch der Dokumentarfilm "A2" von Ian Ash, einem Amerikaner der in Japan lebt, beschäftigt sich mit diesen Müttern. Er hat die Menschen, die am Rande der Sperrgebiete leben interviewt und gerade auch Mütter und ihre Kinder, von denen mittlerweile erschreckend viele Zysten in den Schilddrüsen haben. Ash dokumentiert deren Alltag und wie sie damit umgehen: Alle haben einen Dosimeter dabei und überprüfen ständig alles. Im Kindergarten wird das Essen kontrolliert und die Kinder dürfen nicht rausgehen, keine Blumen pflücken.

Es ist erschreckend zu sehen, wie die Kinder damit aufwachsen, wie sehr sie das schon im Alltag integriert haben und die Eltern im Grunde genommen wegziehen wollen, aber nicht wissen wohin, weil sie dort ihre Arbeit, ihre Häuser und ihre Familien haben. Diese Leute fühlen sich auch von der Regierung im Stich gelassen, weil sie angeblich in einem sicheren Gebiet wohnen, aber dem ist nun mal nicht so.

"Unser Festival zeigt auch kritische Filme"

Die Gefahr bei solchen Katastrophen ist immer auch, dass am Anfang das Entsetzen und die Betroffenheit groß sind, das Ereignis und die Folgen aber trotzdem oft schnell in Vergessenheit geraten. Haben der Film und auch andere Kunstformen die Möglichkeit und die reale Chance, dem entgegenzuwirken und dafür zu sorgen, dass Diskussionen nicht verebben?

Klomfaß: Das ist bei unserem Filmfestival auch wichtig, dass wir solche Themen immer wieder auf den Tisch bringen, wenn diese aus den Medien verschwinden. Viele beschäftigen sich oft gar nicht mehr damit, was in Japan gerade passiert, wie die Leute heute damit umgehen und was das für gesellschaftliche und politische Auswirkung hat.

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Es gibt auch asiatische Filmfestivals, die lieber noch gerne die heile Welt zeigen, aber unser Festival zeigt eben auch die kritischen Filme, die von offizieller Seite oft gar nicht so gewollt sind. Da gibt es schon auch manchmal Probleme, denn gerade geht es in Japan wieder zurück in Richtung Atomkraft und der allgemeine Tenor ist, dass man daraus gelernt hat und das schon nicht wieder passieren wird.

Aber viele in Japan lassen sich das nicht mehr gefallen. Die Anti-Atomkraftbewegung wird immer größer und es finden nach wie vor Demonstrationen statt, auch wenn über diese nicht immer in den Medien berichtet wird. Aber es entwickelt sich so eine Art Untergrundbewegung. Gerade Künstler und Menschen, die aus gesellschaftlichen Normen rausfallen, engagieren sich besonders.

Die Demonstrationen in Japan sind oft sehr bunt. Im Vergleich zu hier sind das eher Happenings. Die Leute sind verkleidet und machen Musik, Kunst-Perfomances und geben Konzerte. Das ist eine sehr aktive und lebendige Bewegung, und das ist auch das Besondere daran. Es gab jahrzehntelang keine Demonstrationen in Japan. Das entwickelt sich jetzt erst wieder, dass die Leute sagen: "Ihr könnt uns nicht ruhigstellen, wir wollen mitbestimmen, wie es bei in unserem Land weitergeht."