Dethard Hilbig
Tacheles-Aufzeichnung am 05. März 2013 in der Marktkirche Hannover mit dem Thema "Die Rache ist mein - brauchen wir härtere Strafen?" Im Foto v.l.n.r: Die Rechtsanwältin Bärbel Freudenberg-Pilster, der Vorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, der Fernsehpastor Jan Dieckmann, der Landesbischof der ev.-luth. Landeskirche Braunschweig Friedrich Weber sowie der Kriminologe Prof. Dr. Helmut Kury.
Auge um Auge - braucht Deutschland härtere Strafen?
Der Ruf nach härteren Strafen ist ein altes Thema. In der Bibel finden sich dazu viele, teils widersprüchliche Ansätze. Heute wird der Ruf nach Vergeltung oft dann besonders laut, wenn Kinder Opfer roher Gewalt werden. Die evangelische Talkshow "Tacheles" machte das zum Thema.

Ein ermordetes Kind, ein wehrloser alter Mann, der in der U-Bahn fast zu Tode geprügelt wurde. Es sind Taten, die erschüttern und fassungslos machen. Viele Menschen empfinden dabei auch Wut – vor allem, wenn die vermeintlich harmlosen Urteile gegen die Täter bekannt gegeben werden. Dann werden die Rufe nach drastischeren Strafen immer lauter. "Die Rache ist mein - brauchen wir härtere Strafen?" fragt Jan Dieckmann in der evangelischen Talkshow Tacheles seine Gästen.

Wie weit die Meinungen bei diesem Thema auseinandergehen zeigte sich schon im Vorfeld der Sendung auf der Facebook-Seite sowie im Online-Forum von Tacheles, wo höchst emotional und hitzig diskutiert wird. Während ein Lager sich regelrechte Gewaltexzesse als Strafen für schwere Verbrechen ausdachte (hier mussten immer wieder Einträge gelöscht werden), setzten andere auf mehr Einsicht statt auf härtere Strafen.

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Nicht ganz so radikal aber dennoch in der Haltung sehr weit auseinander zeigten sich auch die Gäste in der Sendung. "Wir haben ein Straf- und kein Resozialisierungsrecht", propagierte etwa der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Zu oft würde er Täter erleben, die milde Strafen als Freispruch interpretierten. Ähnlich sieht es auch die Juristin und ehemalige Gerichtspräsidentin Bärbel Freudenberg-Pilster. Sie zweifelt an dem Nutzen von Sozialstunden, die oft erst lange nach der Tat geleistet würden und somit den Bezug zur Tat verlieren. Sie wünscht sich härtere Strafen, die "weh tun".

Viel Einigkeit trotz Kontroversen

Ihnen gegenüber saß der Kriminologe Helmut Kury. Er bezweifelt, dass härtere Strafen zu weniger Kriminalfällen führten. So gäbe es in den USA in den Staaten mit Todesstrafe nicht weniger, sondern mehr Tötungsdelikte. Der ehemalige Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes in Niedersachsen fordert, dass man den Täter zwar die rote Karte zeigen, ihnen aber gleichzeitig die Hand reichen müsse. Der Braunschweiger Landesbischof Friedrich Weber hält den Ruf nach härteren Strafen für populistisch. Der evangelische Theologe hat die ohnmächtige Wut erlebt, als er einen fünfjährigen Jungen beerdigen musste, der von seinem Vater getötet wurde. Doch man dürfe Böses nicht mit Bösen vergelten.

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Trotz ihrer gegensätzlichen Einstellung zur Höhe des Strafmaßes war sich die Runde in vielen zentralen Punkten einig. Keiner von ihnen war komplett gegen das Modell von Strafe. Gleichzeitig fanden aber auch Ansätze aus den USA wenig Anklang, Täter mit dem zu bestrafen, was sie ihrem Opfer angetan hatten. So wurde ein Mann dazu verurteilt, 30 Nächte in der Hundehütte zu verbringen – gleiches hatte er zuvor von einem Kind verlangt. "Strafen dürfen nicht die Menschenwürde treffen", mahnte Wendt. Viel wichtiger sei es, so die Runde, dass "richtig" gestraft würde. Dazu gehöre, dass der Täter lernt, seine Schuld aus eigener Kraft zu erkennen. Heute sei der erste Aufenthalt in einem Gefängnis oft der erste Schritt in die große Verbrecherkarriere.

Wichtiger sei es außerdem, die Opfer stärker im Blick zu haben. Oft seien sie als Zeugen geladen, doch um ihr seelisches Heil müssten sie sich meistens selbst bemühen, während der Täter zur zentralen Figur wird.

Den Feind lieben?

Das hat auch Velin Marcone erlebt. Sein Bruder Guiseppe ist in Berlin auf der Flucht vor U-Bahn-Schlägern bei einem Unfall gestorben. Mit ihm spricht Jan Dieckmann im Einzelinterview über seine Erfahrungen und seine Gefühle direkt nach der Tat. Zunächst hätte die Trauer um den Bruder alles überschattet - auch den Wunsch nach Genugtuung.

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Angesprochen auf das berühmte Zitat "Auge um Auge, Zahn um Zahn" antwortet Marcone, dass es Momente gäbe, in denen man sich diese Form des Rechts wünsche, weil man sich dadurch Befriedigung erhoffe. Doch das seien trügerische Impulse. "Es mag damals das Richtige gewesen sein, heute sollte man sich auf die Verfassung und Gesetze berufen." Er kritisiert jedoch, dass der gesetzte Strafrahmen zu selten ausgeschöpft wird. Er selbst nutzt seine Trauer und Wut heute dafür, sich um andere Opfer von Gewalttaten zu kümmern. Gemeinsam mit seiner Mutter hat er dafür eine Stiftung ins Leben gerufen.

Auch in der großen Talkrunde geht es um das Zitat aus dem 2. Buch Mose. Bischof Weber erklärt, dass es damals ein sehr fortschrittlicher Ansatz gewesen sei, der die Blutrache eindämmen sollte. Es wies die Menschen an, gleiches mit gleichem zu vergelten und nicht für einen verlorenen Zahn ein ganzes Gebiss auszuschlagen. Aus heutiger Sicht viel schwieriger ist vermutlich Jesus Forderung in der Bergpredigt, seinen Feind zu lieben und für die eigenen Verfolger zu beten. Tief beeindruckt erzählt der Landesbischof deshalb von dem Buch der Eltern eines getöteten Kindes. Sie beschreiben darin, wie sie gestärkt durch ihren Glauben dem Täter verzeihen und dadurch ihren eigenen Frieden finden konnten.