Vom Abschalten bis zur "grünen Wiese" ist es ein langer Weg: Der Rückbau eines Atomkraftwerks dauert Jahrzehnte. Betreiber RWE spricht von "mindestens 15 bis 20 Jahren". Am Ende sollen dort, wo einst hochradioaktive Brennstäbe Energie produzierten, grüne Wiesen sprießen. So verlangt es das Atomgesetz. 2022 wird das letzte der 17 deutschen AKW vom Netz genommen und Deutschland wird abgeschlossen haben mit der Kernenergie. Oder?
Einfach einen Knopf drücken, der Letzte macht das Licht aus und morgen kommt die Abrissbirne - das funktioniert bei Atomkraftwerken nicht. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) kündigte im vergangenen Jahr einen "Masterplan" für den Rückbau der Kraftwerke an. Bis jetzt sind die Länder für die Genehmigungen aller baulichen Veränderungen zuständig. Das soll künftig einheitlich der Bund übernehmen. Außerdem will Altmaier die technische Vorgehensweise vereinfachen. Denn sonst drohe ein "Atommüll-Chaos".
Bis heute gibt es allerdings keinen Masterplan. Für den Rückbau sind die Betreiber der Kernkraftwerke - also Eon, RWE, EnBW und Vattenfall - zuständig. Sie müssen auch die Kosten tragen. Dafür sind sie verpflichtet, entsprechende Rücklagen anzulegen, 30 Milliarden Euro sollen das nach derzeitigem Stand sein. Pro Reaktorblock kostet der Rückbau 500 Millionen bis eine Milliarde Euro.
"Sicherer Einschluss" oder "direkter Rückbau"
17 Mal schätzungsweise eine halbe Million Tonnen Stahl und Beton müssen teils gereinigt, zerkleinert, abtransportiert und entsorgt werden. Zum Teil ist der Müll hoch radioaktiv belastet. Ein Endlager dafür hat Deutschland noch nicht.
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Der genaue Rückbau-Fahrplan ist bei jedem AKW unterschiedlich. Alle müssen zunächst heruntergefahren beziehungsweise abgeschaltet werden. Entweder folgt dann der "sichere Einschluss" wie in Uetrop und Lingen. Hierbei macht man sich zu Nutzen, dass radioaktive Strahlung mit der Zeit abnimmt: Die strahlenden Elemente bleiben unter Verschluss und erst Jahrzehnte später wird mit der Dekontamination begonnen, die dann wesentlich einfacher ist. Allerdings ist in diesem Szenario fraglich, wie viele mit der Anlage vertraute Mitarbeiter noch zur Verfügung stehen. Außerdem ist die Infrastruktur dem Verfall ausgesetzt.
Deshalb setzt man in Deutschland in der Regel auf den "direkten Rückbau": Die Brennelemente strahlen in der "Nachbetriebsphase" weiter und kühlen ab. Sie sind aber nach sieben Jahren zum Abtransport in ein Zwischenlager bereit. Mit ihnen sind dann 99 Prozent der Radioaktivität beseitigt.
Dann beginnt die eigentliche Stilllegung. Kernstück hier ist der Abbau der radioaktiv belasteten Teile, vor allem des Reaktordruckbehälters. Momentan werden 14 Reaktorblöcke an neun Standorten zerlegt. Auch bei ihnen musste zunächst Inventur gemacht werden: Welche Teile strahlen und wenn ja, wie stark? Der Abbau muss geplant werden: Wie wird welches Bauteil dekontaminiert und zerlegt? Wie wird der radioaktive Müll behandelt und verpackt?
Zusätzlich müssen für jeden weiteren Schritt Genehmigungen eingeholt werden, die Arbeiten müssen einzeln protokolliert werden, jedes Teil auf Strahlung gemessen und die Werte festgehalten werden. Kontrolleure überprüfen immer wieder die Strahlung.
Reinigen, Strahlung messen, wieder reinigen
"So wenig Müll wie möglich soll übrigbleiben", ist die Devise, wenn Georg Spielmann an die Arbeit geht. Seine Firma Siempelkamp kümmert sich unter anderem um den Rückbau der radioaktiven Bauteile eines Kernkraftwerks. Die Homepage gibt es auch auf japanisch. Spielmann beschäftigt Maschinenbauer, Schlosser und Elektroingenieure, sicherheitsüberprüft und mit jahrzehntelanger Erfahrung im Umgang mit Radioaktivität. Auch Roboter sind für ihn im Einsatz.
Sie reinigen und zerkleinern die kontaminierten Teile. Weil die Mitarbeiter gefährlicher Strahlung ausgesetzt sind, müssen die Messwerte genau überprüft werden. Es gilt ein jährlicher Grenzwert von 20 Millisievert. Zum Vergleich: In Deutschland ist jeder Mensch im Jahr durchschnittlich einer natürlichen Strahlung von 2,1 Millisievert ausgesetzt. Ist dieser überschritten, wird der Arbeiter vom Rückbau abgezogen.
Dekontaminiert wird mit Bürsten, Sandstrahlern und Hochdruckreinigern. Aber auch Säuren und Schäume kommen zum Einsatz. Ist die Strahlung tiefer in ein Teil eingedrungen, wird die Oberfläche mechanisch abgetragen. Radioaktiv belastete Teile werden mit unterschiedlichen Verfahren zerkleinert, teils unter Wasser, um möglichst wenige radioaktive Teilchen in die Umwelt zu blasen. Schwer verstrahlte Teile müssen per Fernbedienung von Robotern zerlegt werden. "Teils unter Wasser, da das Wasser nicht nur kühlt, sondern auch die Strahlung abschirmt", sagt Spielmann.
Vom strahlenden Kraftwerk zur normalen Fabrik
Viele Teile müssen mehrmals dekontaminiert werden, dann wird die Strahlung erneut gemessen. Erst wenn diese unbedenklich ist, werden die vormals kontaminierten aber jetzt gereinigten Bauteile freigegeben und wie normaler Bauschutt abtransportiert. Kritiker hinterfragen diese Grenzwerte immer wieder.
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"Wann ist ein Bauteil wirklich ungefährlich? Hier müssen sich die Bürger auf den Staat verlassen, wie so oft beim Thema Atomkraft, ohne absolute Sicherheit", schreibt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Was weiterhin strahlt, wird zerkleinert, in Einlagebehälter gefüllt, auf dem Gelände zwischengelagert und schließlich abtransportiert. In Castor-Behältern wird der strahlende Müll dann auf die Reise in ein Zwischenlager geschickt.
Der Rückbaufachmann Spielmann kritisiert, dass manche Kraftwerke so schnell vom Netz genommen wurden: "Es wäre einfacher gewesen, die vorhandenen Brennstäbe wie geplant abbrennen zu lassen. So würden sie weniger radioaktiv strahlen und wir könnten sie leichter abtransportieren."
Sind alle radioaktiven Teile weggeschafft, wird die Anlage "aus dem Atomgesetz entlassen" und das ehemalige Kraftwerk ist nicht viel mehr als eine alte Fabrik, deren Gebäude mit herkömmlichen Mitteln abgerissen werden.
Wohin mit dem hochradioaktiven Schrott?
Im Zwischenlager bleibt der strahlende Müll so lange, bis ein Endlager gefunden wird. Wann das sein wird, kann keiner der Experten genau sagen. Jeder schiebt einem anderen den schwarzen Peter zu. Nicolas Wendler vom Deutschen Atomforum, einem Zusammenschluss der Atom-Industrie, nimmt die Politiker in die Pflicht: "Wann und wo wir in Deutschland ein Endlager für die hochradioaktiven Abfälle haben werden, hängt von politischen Entscheidungen ab."
Wird aus dem "Erkundungsbergwerk" Gorleben im Falle seiner Eignung ein Endlager, könnte das seiner Einschätzung nach frühestens 2040 als dauerhafte Lagerstätte für Atom-Müll in Betrieb genommen werden. Kommt das sogenannte Standortwahlgesetz und damit die neue Suche nach einem möglichen Endlager, verzögert sich das Unterfangen womöglich um 15 bis 20 Jahre.
Greenpeace fordert hingegen, den Standort Gorleben aufzugeben. Tobias Riedl, Atomexperte von Greenpeace: "Der marode Salzstock in Gorleben wurde jahrzehntelang nur mit Lügen, Tricks und Vertuschung am Leben gehalten.“ Jetzt solle der Weg frei gemacht werden für eine "ehrliche Endlagersuche".
Eine Frage, die noch lange bleibt
Schacht Konrad, ein Erzbergwerk bei Salzgitter, soll zum Endlager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe werden. Wann der Umbau fertig sein wird, ist ungewiss. Experten sprechen von 2019 oder 2022. "Wenn das Endlager Konrad nicht wie angekündigt fertiggestellt wird, kann das auch den Rückbau der Kernkraftwerke verzögern." warnt Wendler vom Deutschen Atomforum.
"Rund 25 Jahre lang haben Regierungen und Konzerne Atomanlagen gebaut auf Teufel komm raus." schreibt Greenpeace auf der Homepage der Organisation: "Die nukleare Hinterlassenschaft wieder loszuwerden, dauert ein Vielfaches an Jahren und verschlingt viele weitere Milliarden." Wann der strahlende Schrott in ein Endlager kommt, wie dieses aussieht, wo es sein wird - alles ungewiss.
Zwei Jahre nach der Katastrophe von Fukushima beschäftigt die Frage der strahlenden Teile Deutschland noch immer - und ein Ende ist nicht in Sicht. 2022 soll der letzte Atommeiler vom Netz gegangen sein. Bis dahin muss eine Lösung gefunden sein.