Foto: epd-bild/Dieter Sell
Gehörlose im Konfi-Camp: "Hier geht es nicht um Defizite"
Wer auf sich aufmerksam machen will, knipst das Licht an und aus. Die Partymusik muss so laut sein, dass die Bässe im Bauch wummern: Bei einer Konfirmandenfreizeit mit gehörlosen Teenagern ist manches anders.
17.03.2013
epd
Dieter Sell

Konzentriert schaut Kommissar Kim in die Runde. Irgendwo zwischen den Jugendlichen sitzt einer, der die Rolle des Mörders übernommen hat und Mitspieler durch eine vorher verabredete und kaum sichtbare Geste "tötet". Der 14-jährige Kim ist hörgeschädigt und hat den Täter schnell ermittelt. "Gehörlose sind Augenmenschen - sie können besonders gut beobachten und denken visuell", sagt Christiane Neukirch, evangelische Gehörlosenseelsorgerin der hannoverschen Landeskirche.

###mehr-info###

In der Gruppe fiebern hörgeschädigte Jugendliche aus der hannoverschen, der braunschweigischen, der oldenburgischen und der reformierten Kirche beim "Mörderspiel" mit. Es ist Teil der jährlichen Konfirmandenfreizeit der evangelischen Gehörlosenseelsorge in Verden bei Bremen, die in dieser Form bundesweit einzigartig ist. "Hier geht es nicht um Defizite, hier geht es um die Stärken der Jugendlichen", sagt Gerriet Neumann, Gehörlosenseelsorger der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg.

Doch wer glaubt, dass es bei der Freizeit still zugeht, irrt sich. Die Partymusik beispielsweise muss so laut sein, dass die Bässe im Bauch spürbar wummern. Und dann gibt es noch ein paar Unterschiede zur Welt der Hörenden: Zum Beispiel, wenn jemand auf den Tisch klopft oder das Licht an- und ausschaltet, um die Konzentration der Gruppe auf sich zu ziehen. Und was bei Hörenden als unfein gilt, nämlich mit der Hand auf einen anderen zu zeigen, ist hier unter den Konfirmanden selbstverständlich und Teil ihrer Sprache.

Technische Hilfsmittel wie etwa Hörgeräte und sogenannte Cochlea-Implantate haben den Alltag für viele der bundesweit etwa 80.000 gehörlosen Menschen revolutioniert. Das Implantat stimuliert über elektrische Signale die Hörzellen. Es hilft aber nicht jedem, weiß der pfälzische Pfarrer Friedhelm Zeiß. "Ein Drittel der betroffenen Kinder und Jugendlichen hört deutlich besser und hat Anschluss zur Welt, für ein weiteres Drittel verbessert sich nicht viel und bei einem Drittel kann das Implantat sogar Hörreste vernichten", erläutert der Vorsitzende der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Gehörlosenseelsorge.

Inklusion bleibt schwierig

Integration oder gar Inklusion in Regelschulen oder hörende Konfirmandengruppen bleibt trotz technischer Fortschritte schwierig. Die eingeschränkte Lautsprache behindert die Kommunikation in Regelschulen, mit Ämtern, Behörden, Ärzten und selbst mit hörenden Verwandten. Das Radio fällt für die Betroffenen als Informationsquelle völlig aus, das Fernsehen liefert nur Bilder. Untertitel stehen meist nur kurze Zeit auf der Mattscheibe und geben viel weniger Informationen weiter als der gesprochene Text.

Manche Fluggesellschaften sehen in hörgeschädigten Menschen gar ein Sicherheitsrisiko. In Notfällen könnten sie nicht schnell genug den Anweisungen des Personals folgen, heißt es. "Aber Passagieren, die kein Englisch verstehen, wird es möglicherweise ähnlich gehen", wendet der nordrhein-westfälische Gehörlosenseelsorger Ronald Ilenborg ein: "Wer nur Deutsch spricht, versteht nichts. Gehörlose sind da sogar im Vorteil, weil sie gute Übung darin haben, zu begreifen, ohne akustisch zu verstehen."

Konfirmation gemeinsam mit Hörenden

Trotzdem fühlen sich viele im Alltag ausgeschlossen. Zeitungen sind für Gehörlose in einer Fremdsprache geschrieben, denn ihre Muttersprache sind die Gebärden. Deshalb läuft auch der Konfirmandenunterricht meist nicht mit hörenden und gehörlosen Jugendlichen zusammen, sondern wie in Niedersachsen angebunden an Landesbildungszentren für Hörgeschädigte. Die Konfirmationen selbst feiern die Teenager dann in den nächsten Wochen zumeist in ihren Heimatgemeinden, manchmal begleitet von den Gehörlosenseelsorgern oder von Gebärden-Dolmetschern.

Bei der Konfirmandenfreizeit im Verdener Sachsenhain jedenfalls ist Isolation ein Fremdwort. "Hier kann ich mich unterhalten", schwärmt die zwölfjährige Maren, die schon als Kleinkind die Gebärdensprache erlernt hat. Und was ihr besonders wichtig ist: "Hier entstehen Freundschaften."