2017 wird ein großes Jahr für die evangelische Kirche: 500 Jahre Thesenanschlag des Reformators Martin Luther. Noch wissen die beiden Kirchen nicht, wie sie das Jubiläum gemeinsam begehen wollen. Wie ist der Stand der Dinge?
Günther Beckstein: Ich kann für die evangelische Seite sagen, dass wir die Katholiken ganz herzlich einladen, sich in vollem Umfang am Reformationsjubiläum zu beteiligen. Ich habe den Eindruck, dass die katholische Seite noch nicht recht weiß, ob man wirklich Reformation feiern kann. Denn sie hat zur Kirchenspaltung geführt - und das ist gerade aus katholischer Sicht nicht zu feiern. Ganz klar: Wir wollen kein antikatholisches Jubiläum.
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Alois Glück: Wir dürfen das Reformationsjubiläum nicht am Begriff "feiern" festmachen. Viel wichtiger ist, dass wir als Christen gemeinsam Antworten auf die Fragen der heutigen Zeit finden. Nach meiner Beobachtung sind wir in der Gefahr, uns zu sehr mit unseren eigenen Sorgen zu beschäftigen und die Anliegen der Menschen aus den Augen zu verlieren. 2017 sollte unbedingt ein stark ökumenisches Jahr werden.
Wie ist es um die Ökumene generell bestellt?
Glück: Wir haben immer mehr Zusammenarbeit in den Gemeinden. Die Differenzen bei Amtsverständnis und Abendmahl werden sich kurzfristig aber nicht überwinden lassen. Wir dürfen die Ökumene aber nicht nur auf das Trennende reduzieren. In allen Bereichen des gemeinsamen Betens oder des Glaubenszeugnisses haben wir fast unbegrenzte Möglichkeiten des Miteinanders.
Beckstein: An der Basis klappt die Zusammenarbeit wunderbar. Je höher man jedoch geht, desto dogmatischer wird es. Da ist seit der gemeinsamen Rechtfertigungslehre nichts mehr passiert. Das ist natürlich schade. Da hoffe ich, dass der neue Papst Schritte vorangeht. Aber ob das realistisch ist - da habe ich gewisse Fragezeichen.
"Zum großen Ärger meiner Frau liebe ich Weihrauch"
Apropos Papst. Haben Sie schon einen Tipp oder einen Wunschkandidaten?
Beckstein: Weder zur Hautfarbe noch zur Nationalität habe ich besondere Wünsche. Ich hoffe, dass der neue Papst eine hohe geistliche Ausstrahlung hat und die Menschen mit seiner Botschaft erreichen kann, vor allem auch in Europa und Deutschland.
Glück: Der Papst muss eine geistliche Authentizität haben. Benedikt XVI. war ja völlig anders als sein Vorgänger Johannes Paul II. Beide waren aber in ihrer Art authentisch. Ich denke, das ist wichtig. Es muss jemand sein, der die Internationalität der Welt versteht, der eine starke Führungskraft entwickelt und der die Fähigkeit hat, ein Team um sich zu versammeln, das der Leitung einer Weltkirche gerecht werden kann. Da braucht man durchsetzungsfähige Menschen, um etwa eine Strukturreform durchzusetzen.
Heißt das, Sie wollen mehr Freiraum für die Ortskirchen?
Glück: Das auch. Ich muss aber auch sagen, dass ich in den letzten Jahren - gerade auch angesichts der Entwicklungen im Lutherischen Weltbund - das Einheitsstiftende des Papstamtes mehr schätzen gelernt habe. Aber dafür braucht es nicht diese zentralistische Ausprägung. Im Übrigen ist eine offene und ebenso spannende Frage, welche Auswirkungen mittel- und langfristig der Rücktritt Benedikts auf das Papstamt haben wird, auch auf Ökumene.
"Unser" Papst ist zurückgetreten, fehlt jetzt etwas in Bayern?
Glück: Für Bayern geht jetzt eine geschichtliche Etappe zu Ende. Mit einem "bayerischen Papst" gab es natürlich besondere Beziehungen. Das hat ja auch dazu geführt, dass die bayerischen Ministerpräsidenten alle Gast dort waren und auch der Günther großen Eindruck im Vatikan gemacht hat.
Beckstein: Ja. Ich hatte auch einen großen Eindruck vom Vatikan. (lacht)
Glück: Die große Liturgie gefällt dir ja besonders gut. Da wirst du ganz süchtig. (lacht)
Beckstein: Zum großen Ärger meiner Frau liebe ich Weihrauch. Mir gefallen festliche Gewänder. Ich habe auch nicht die große Begeisterung, dass ein möglichst schmuckloser, protestantischer Gottesdienst durch eine umfangreiche Predigt Inhalt bekommt. Predigten sind nicht immer so faszinierend.
"Auf dem Nachfragemarkt nach Sinn des Lebens und Orientierung sind wir nur ein Anbieter unter vielen"
Haben bayerische Bischöfe bald wieder Chancen auf neue Führungspositionen?
Glück: Ein bayerischer Bischof wird sicher nicht neuer Papst.
Beckstein: Die nächste Wahl des EKD-Ratsvorsitzenden ist erst 2015. Die Frage stellt sich also im Moment nicht. Nachdem aber die bayerische Landeskirche die drittgrößte in Deutschland und insgesamt gut aufgestellt ist, hätte ein bayerischer Landesbischof aber durchaus Chancen.
Schaut man sich die Politik an, ist der Protestantismus gut vertreten: Angela Merkel ist eine evangelische Pfarrerstochter, Joachim Gauck war früher evangelischer Pastor. Sind Sie stolz, Herr Beckstein?
Beckstein: Ich finde, dass das Selbstbewusstsein der evangelischen Kirche relativ hoch ist. Wir sind in einem Maße in der Politik verankert, wie das noch nie der Fall war: etwa eine Bundeskanzlerin, die Pfarrerstochter ist und ein enges Verhältnis zur Kirche hat. Bundespräsident Gauck merkt man seine seelsorgerliche Erfahrung in seinen Reden an und sie wird auch positiv aufgenommen. Es wird immer allgemein von den Krisen in den Kirchen gesprochen, ich erkenne aber keine in der evangelischen. Wir haben vielmehr eine Krise der katholischen Kirche.
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Glück: Entschuldige, Günther. Sag mir doch mal, wo Eure inhaltlichen Beiträge sind neben der Besetzung von politischen Ämtern. Wo ist denn Eure Inspiration und Wirkung?
Beckstein: Die katholische Kirche steckt in der Krise, unter anderem wegen des Missbrauchsskandals. Oder wie man mit einer Frau umgegangen ist, die vergewaltigt und dann an katholischen Kliniken abgewiesen wurde. Da hat die katholische Kirche selbst eingeräumt, dass das ein Fehler war. Oder die Reformunfähigkeit, die man kaum der evangelischen Kirche vorwerfen kann.
Glück: Bei aller Liebe, Günther. Ihr meint zwar, dass ihr ein Stück weiter seid als wir. Aber es gelingt euch trotzdem nicht besser als uns, die Menschen mit der christlichen Botschaft zu erreichen. Das müsste uns eigentlich gemeinsam umtreiben! Wir sind aber voller Selbstgenügsamkeit. Wir genauso wie ihr.
Beckstein: Da geb' ich dir recht. Auf dem Nachfragemarkt nach Sinn des Lebens und Orientierung sind wir nur ein Anbieter unter vielen. Die Amtskirchen sind unter den ganzen fernöstlichen Meditationen und Heilwässerchen nicht mehr die prägenden Stichwortgeber.
Glück: Sich darüber Gedanken zu machen, ist lohnender, als über einige Reibungspunkte zu debattieren. Wir dürfen nicht nur um innerkirchliche Befindlichkeiten und theologische Differenzen kreisen.
"Ich hoffe, dass die katholische Kirche ein bisschen evangelischer wird."
Noch so ein Reibungspunkt ist die Frauenordination. Bei den Evangelischen ist sie seit Jahrzehnten Alltag, bei den Katholiken ist die Diskussion wieder aufgeflammt.
Glück: Es geht generell darum, dass Frauen unsere Kirche mitgestalten und Verantwortung übernehmen - von Leitungsaufgaben in den Diözesen bis hin zu Leitungsfunktionen in den Gemeinden. Für das ZdK hat es sich dann gebündelt in dem Plädoyer für ein Diakonat der Frau im Sinne des ständigen Diakonats, das es ja auch schon bei den Männern gibt.
Beckstein: Ich halte das für gut und dringend notwendig. Die bayerische evangelische Landeskirche war 1975 die letzte Landeskirche, die die Frauenordination eingeführt hat.
Was schätzen Sie an der jeweils anderen Kirche, was mögen Sie gar nicht?
Glück: Ich finde die Lebendigkeit im evangelischen Spektrum hochinteressant und inspirierend. Aber ich bemerke auch zu viel Selbstgewissheit bei den Evangelischen und zu wenig selbstkritische Reflexion. Das könnte zu einer Selbstgefährdung werden wie schon bei den Katholiken. Die Modernität in dem Sinn, dass man weniger aneckt, ist noch keine Gewähr dafür, dass man die christliche Botschaft besser vermittelt.
Beckstein: Damit ich dein Klischee, das du sehr klug analysiert hast, noch erfülle, sage ich dir: Ich hoffe, dass die katholische Kirche ein bisschen evangelischer wird. Dass den Laien mehr Bedeutung zukommt, dass sie sich den Veränderungen der Zeit stellt, um so die Menschen besser zu erreichen.