Eier
Foto: Photocase
Auch ein Bio-Ei stammt nicht unbedingt von einem glücklichen Huhn.
"Ich esse auf keinen Fall Ostereier aus dem Supermarkt"
Auch in Legebatterien, die "Bio"-Eier produzieren, herrschen zum Teil erbärmliche Zustände
Wann ist ein Bio-Ei ein Bio-Ei? Wenn auf dem Karton etwas von "glücklichen Hühnern" steht und Hennen auf weitläufigen Wiesen abgebildet wind, muss das nicht unbedingt etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben. Das Label "Bio" gilt auch für industrielle Massentierhaltung. Der Agrarbiologe und Autor Clemens Arvay aus Österreich hat auf einer mehrmonatigen Recherchereise Betriebe mit 40.000 Legehennen und kleine Bio-Bauernhöfe besucht. In seinem Buch "Friss oder stirb" beschreibt er die Zustände und gibt Verbrauchern Tipps, wie sie sich für verantwortbare Lebensmittelproduktion einsetzen können.
06.03.2013
evangelisch.de

Ein Schwerpunkt Ihres Buches ist die Produktion von Bio-Eiern. Nach all dem, was Sie herausgefunden haben: Essen Sie dieses Jahr Ostereier?

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Clemens Arvay: Ich werde auf gar keinen Fall Ostereier aus dem Supermarkt kaufen und essen, auch keine mit Biosiegel. Es gibt derzeit kein Ei im Supermarkt oder beim Discounter, für das die Küken nicht auf Fließbändern auf die Welt kommen, maschinell sortiert werden und die männlichen Küken maschinell vernichtet werden, weil sie keine Eier legen können. Das ist auch im Biobereich gang und gäbe, und das halte ich nicht für vertretbar. Mit "Bio" verknüpft man als Konsument höhere ethische Ansprüche. Wenn ich also Ostereier esse, dann nur von einem Bauern, der nicht von der Industrie abhängig ist, der echte, alte Hühnerrassen hält, die sowohl Eier legen als auch Fleisch ansetzen, und für den die Küken nicht auf Fließbändern auf die Welt kommen.

Sie haben ja eine Recherchereise gemacht und wurden auf einer Hühnerfarm mit einem Schlagstock bedroht…

Arvay: …"bedroht" kann man eigentlich nicht sagen, weil der Schlagstock ja nicht gegen mich zum Einsatz gekommen ist und auch nicht drohend vor mein Gesicht gehalten wurde. Das war auf einem Produktionsstandort eines der größten Vermarktungsunternehmen für Bio-Eier in Deutschland.

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Die haben sage und schreibe 400.000 Legehennen unter ihrer Herrschaft, aufgeteilt auf zehn Standorte. Das heißt: Im Schnitt hat ein Standort 40.000 Legenhennen - das ist in Deutschland absolut keine Seltenheit, es gibt sogar Bio-Legehennenbetriebe mit bis zu 70.000 Tieren pro Standort.

Einen dieser Standorte habe ich mir also von außen angesehen und fotografiert. Da wurde mir mit einer Limousine der Feldweg versperrt, der von diesem Standort wegführte, und jemand ist ausgestiegen, nämlich der Geschäftsführer. Er ist mit einem Holzstock in der Hand auf mich zugekommen und hat mir gesagt: "Wir werden hart durchgreifen gegenüber jedem, der sich unserem Standort nähert." Er fühlte sich verfolgt, weil kurz zuvor von der ARD Aufnahmen aus einem seiner Ställe ausgestrahlt wurden. Da hat man gesehen, dass diese Hühner unter Kannibalismus litten, was übrigens auch im Biobereich ein regelmäßig auftretendes Problem ist.

Was hat die Bio-Hühnerbranche außerdem noch zu verbergen?

Arvay: Die Branche hat zu verbergen, dass die Bio-Hühnerhaltung sowohl beim Mastgeflügel als auch bei der Eierproduktion sehr stark industrialisiert ist, das heißt vor allem, dass die Produktionskette in den Händen der Industrie liegt. Die Produzenten stehen unter Vertrag mit einem der industriellen Handelskonzerne.

Bio-Hennen, unter denen Federkannibalismus ausgebrochen ist. Die Tiere leiden unter Entzündungen.

In diesem Vertrag steht genau drin, welche Mengenanforderungen sie zu liefern haben, unter welchen Bedingungen und sogar welchen Hühnertypus sie halten müssen. In zehntausend Jahren Kulturgeschichte der Landwirtschaft hat sich eine enorme Vielfalt an Tierrassen und Pflanzensorten entwickelt, und früher war es so, dass die Pflege dieser Rassen in den Händen der Bauern lag, die das Know-How dafür hatten und unabhängig von der Industrie waren.

Heute werden gar keine Rassen mehr eingesetzt, sondern Hochleistungshühner aus Hybridzüchtung, also Laborkreuzungen aus Inzuchtlinien mit besonderen Ertragseigenschaften. Bei Legehennen gibt eigentlich nur noch einen einzigen solchen Typus, der in ganz Europa sowohl konventionell als auch biologisch eingesetzt wird, das ist die Henne "Lohmann Brown-Classic", und "JA-757" von der Firma Hubbard ist die führende Masthuhn-Hybride. Was man auch wissen muss, ist, dass der Antibiotikaeinsatz im Biobereich nicht verboten ist. Gerade bei Puten und Mastgeflügel ist es durch die industrialisierte Form der Produktion immer wieder notwendig, Antibiotika zu verwenden.

Das bedeutet also: Auf Verpackungen und Labels steht nicht unbedingt die Wahrheit. Wie kann ich denn als Verbraucherin herausfinden, ob ein Ei wirklich von einem glücklichen Huhn stammt?

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Arvay: Im Supermarkt und im Discounter gibt es nur industrialisierte Ware. Die einzige Möglichkeit ist, dass wir uns in Zukunft aktiv einmischen. Wir müssen uns nach kleinen Läden – Bioläden, Bauernmärkten – umsehen, denen wir vertrauen können. Ich hoffe außerdem, dass es immer mehr Menschen gibt, die sich als Konsumenten mit Produzenten zusammenschließen und Wirtschaftsgemeinschaften gründen, wo unter Ausschaltung des Handels so produziert wird, wie die Konsumenten sich das vorstellen. Oder dass Bauern sich zusammenschließen zu Kooperativen, die gemeinsam Bauernläden in den Städten eröffnen, die sie beliefern, ohne sich von den Handelskonzernen abhängig zu machen.

Wie müssten also Landwirtschaft und Handel strukturiert sein?

Arvay: Dezentral und möglichst regional – die Betonung liegt auf 'möglichst', weil es ja nicht immer geht - aber auf jeden Fall dezentral gesteuert, das ist ganz wichtig. Und es müsste Lebensmitteldemokratie geben, wir Konsumenten müssten die Möglichkeit haben, uns einzumischen und mitzubestimmen, wie Lebensmittel produziert werden. Derzeit sind Lebensmittel ein reines Kommerzprodukt wie zum Beispiel Elektrogeräte, wie Flatscreens und ähnliches.

Angenommen, alle Leute würden sich ab sofort nur von Bioprodukten ernähren – könnte so viel überhaupt produziert werden?

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Arvay: Auf jeden Fall, und zwar im Idealfall von der kleinstrukturierten, dezentralen Landwirtschaft. Dafür gibt es zwei gute Argumente. Wir wissen erstens, dass die Erträge pro Hektar in der kleinstrukturierten Landwirtschaft aufgrund ihrer Vielfältigkeit höher sind als in jeder industriellen Monokultur. Das Zweite ist: Ein regionaler Markt, wo es um die Bedarfsproduktion geht, wird nicht so viele Lebensmittel vernichten.

Derzeit ist es so, dass je nach Produktgruppe bis zu 50 Prozent genusstauglicher Lebensmittel aus kosmetischen Gründen aussortiert werden. Wenn eine Karotte mal zwei Achsen hat, wenn eine Kartoffel herzförmig oder eine Zwiebel zu groß ist, das will der Handel alles nicht. Nur die genormte Größe kommt rein, und man hat eine gezielte Überschussproduktion. Wir haben einen puren Verschwendungsmarkt. Wenn sich das durch die Regionalisierung des Marktes und die Anpassung an die Bedürfnisse mit ändert, dann müssen wir auch weniger produzieren. Wir brauchen eine moderne, angepasste Landwirtschaft und nicht eine völlig außer Rand und Band geratene Lebensmittelindustrie, die nur nach Profit strebt und nicht mehr im Sinn hat, die Menschen zu ernähren. 

Beim Einkaufen hat man ja noch eine gewisse Einflussmöglichkeit. Das andere ist die Mittagspause: Wer tagsüber arbeitet, muss ja essen, was auf den Tisch kommt. Was empfehlen Sie denen, die auf Kantine oder Mensa und Schul- und Kita-Mittagstisch angewiesen sind?

Arvay: Dafür kann ich jetzt auch nicht auf einem goldenen Tablett die Lösung servieren, das ist nämlich ein sehr großes Problem, mit dem auch ich kämpfe. Wenn ich zum Beispiel in Deutschland unterwegs bin und an den großen Bahnhöfen Hunger bekomme und dann nichts zu essen finde, das ich für vertretbar halte, ist es einfach schwierig. Ich glaube nicht, dass wir zu dogmatisch sein und uns das Leben vermiesen sollten.

Sie geht es auch: Hühner auf einem Biohof, wo sie ihre arteigenen Verhaltensweisen ausleben können. Unter den Tieren herrscht eine stabile soziale Ordnung.

Aber was ich für sinnvoll halten würde, das wären Initiativen, die daran arbeiten, dass es besser wird. Wir wollen ja nicht nur jammern, deswegen habe ich ja auch dieses Buch geschrieben. Je mehr Menschen sich für Alternativen einsetzen, desto besser. Wenn es um die Kantine geht, könnte ich mir vorstellen, dass ein Betriebsrat sich vielleicht dafür einsetzen kann, dass nicht nur gesunde, sondern auch ethisch vertretbare Nahrung dort angeboten wird. Solche Projekte kann man auch öffentlichkeitswirksam starten: Wenn dann Bauern aus der Region involviert werden, ist das nicht nur imagefördernd, sondern damit tut man den regionalen Landwirten auch etwas Gutes.