Unter aufmerksamen Blicken zieht eine bunte Gruppe durch die Lutherstadt Wittenberg: Einige Frauen haben ihre Haare mit einem Kopftuch bedeckt, andere tragen westliche, eng geschnittene Kleidung. Ein Mann hat trotz frühlingshafter Temperaturen eine Pelzmütze auf. Es wird viel gelacht und in einem Sprachengemisch aus Englisch, Arabisch und Türkisch gescherzt. Fröhlich posiert die Truppe für den Fotografen vor der Schlosskirche. "Cheeeeese", sagt einer. "Tschüss?", fragt ein anderer, sichtlich verwirrt.
Es ist das erste Mal, dass eine Delegation aus dem Nahen und Mittleren Osten eingeladen wurde, sich auf eine Reise zu den Stätten der Reformation zu machen, erklärt der Auslandsbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Martin Schindehütte. Die Männer und Frauen aus Ägypten, dem Libanon, dem Iran, Saudi-Arabien und der Türkei sind bereits einige Tage unterwegs. Vor Wittenberg haben sie Nürnberg, Dresden und Halle an der Saale besucht. Nach Wittenberg ging die Reise weiter nach Berlin. Gastgeber sind das Kirchenamt der EKD und die Evangelische Akademie zu Berlin.
Nürnberg, Dresden, Halle
Auf dem Programm standen ein Besuch in der Eyüp-Sultan-Moschee der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Nürnberg und ein Gottesdienst in der Dresdner Frauenkirche. Die Gruppe besuchte in Nürnberg die Straße der Menschenrechte und die Franckeschen Stiftungen in Halle. In Berlin informierten sie sich unter anderem über die Hugenotten.
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"Wir wollen mit dieser Reise ein Netzwerk im Nahen Osten schaffen", sagt Schindehütte. "Deswegen haben wir uns bewusst für eine Gruppe mit Mitgliedern ganz unterschiedlicher Couleur entschieden." Unter den Teilnehmern sind Journalisten, Psychologen, Professoren und Geistliche. Es sind Muslime, aber auch Christen.
"Wir wollen die Reformation verständlich darbringen", sagt Schindehütte. Einige Teilnehmer brächten bereits theoretisches Wissen über Martin Luther und die Reformation mit. "Aber vor Ort sein und alles gegenständlich erfahren ist einfach noch mal etwas anderes", betont der Theologe. "Auf der Reise erleben sie uns als Gesellschaft, die nicht alles Traditionelle einfach wegwischt, wie vielfach angenommen." Einige Teilnehmer sind erstaunt, wie gut die historischen Gebäude erhalten sind.
"Es ist wirklich passiert"
"Man versteht die Entstehung der Reformation erst jetzt so richtig", bestätigt Zahra Rashidbeygi. Die Iranerin arbeitet im Teheraner Zentrum für interreligiösen Dialog: "Vorher war es mehr wie eine Geschichte, jetzt weiß ich, dass es wirklich passiert ist", sagt die Muslimin. Der intensive Austausch sei wichtig, "um sich wirklich zu verstehen und stereotype Denkmuster abzulegen", fügt die Religionswissenschaftlerin hinzu. Bereits in ihrem Studium hat sie sich mit der Geschichte des Christentums auseinandergesetzt.
Laila Abdallah al-Kadhem, eine Psychologin aus Saudi-Arabien, ergänzt: "Es geht nicht nur um das Konzept Protestantismus, sondern auch darum wie es in der Kultur und im Leben der Menschen umgesetzt wurde." Für sie als Muslimin habe das friedliche Nebeneinanderleben der unterschiedlichen Konfessionen Vorbildcharakter. "Wir sind beeindruckt, es gibt uns Hoffnung für unsere Länder", sagt al-Kadhem und ergänzt: Leider könne man die Geschichte anderer Länder nicht kopieren, jedes müsse seine eigenen Erfahrungen machen.
Neben vielen Informationen über Martin Luther (1483-1546) und die Reformation ist den Frauen für sie Ungewöhnliches im Gedächtnis geblieben. "Die hohe Anzahl von Deutschen, die gar keine Religion haben", sagt Iranerin Rashidbeygi. Und: "Wie lecker deutscher Rotkohl ist."