Um es gleich vorweg zu sagen, auch den türkischen Zeitungen in Deutschland geht es nicht unbedingt gut. Obwohl hierzulande rund drei Millionen türkischstämmige Bürger leben, lesen diese immer weniger ihre heimatsprachliche Tagespresse. "Die Probleme, die die deutschen Medien haben, haben wir auch. Vor rund 15 Jahren verkauften die türkischen Zeitungen in Deutschland noch mehr als 200.000 Exemplare. Mittlerweile sind es nur noch rund 70.000", sagt Ismail Kul, Kolumnist bei der Tageszeitung "Zaman Avrupa", türkisch für "Zeit Europa".
Gegen den Trend will Zaman aber nicht schrumpfen, sondern ist nun aus dem hessischen Offenbach nach Berlin in ihre neue Hauptstadtredaktion gezogen, 20 Mitarbeiter in 4 großen Räumen in der Berliner Reinhardstraße, nur einen Steinwurf vom Haus der Bundespressekonferenz entfernt.
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Seit 23 Jahren ist Zaman nun schon in Deutschland auf dem Markt und hat nach eigenen Angaben derzeit rund 30.000 Abonnenten, Tendenz steigend, wie Süleyman Ba? sagt, der nach einer langjährigen Tätigkeit als Hauptstadtkorrespondent nunmehr für die Online-Nachrichtenportale DTJ Online und die deutsche Version von Zaman Online verantwortlich ist. Damit liegt Zaman in Deutschland nach den Zahlen der IVW immerhin zumindest gleichauf zu seinem türkischen Boulevard-Konkurrenzblatt Hürriyet.
Es sei ein Erfolgsrezept der Zaman, dass man vom Kiosk weg komme und lieber feste Kunden über das Abonnement an sich binde: Die gedruckte sei mit der verkauften Auflage somit fast identisch, sagt Ba?. Bei aller Diskussion crossmedialer Präsenz sei Print aber für Zaman weiterhin sehr wichtig, denn die erste und zweite Gastarbeiter-Generation sei mittlerweile in die Jahre gekommen und wolle immer noch lieber nur eine gedruckte Zeitung in Händen halten.
Wachstum bei deutsch-türkischen Bildungsbürgern
Online spiele beim traditionellen türkischen Kundenkreis daher kaum eine Rolle. Jeden Tag druckt die Zaman 24 Seiten, die auch viele Artikel aus der türkischen Mutterzeitung übernimmt. Aber Zaman Deutschland ist eine eigenständige Aktiengesellschaft und redaktionell unabhängig. Man habe Kooperationsvereinbarungen mit der türkischen Zaman, das Ziel sei es aber, eine nur in Deutschland recherchierte und geschriebene Zeitung zu produzieren, die das deutsch-türkische Milieu anspricht, erklärt Ba?. Mit zusätzlichen Onlineangeboten auf Deutsch und Türkisch wolle man damit neue und vor allem jüngere Leser gewinnen.
"Die Chance lag für uns in den vergangenen zehn Jahren darin, dass hier ein deutsch-türkischer Mittelstand und ein Bildungsbürgertum entstanden ist. Das sind Menschen, die ethnische und religiöse Identitäten nicht als Konfliktgegenstand erleben, sondern einen dialogischen Ansatz haben, also diese Vielfalt als Bereicherung empfinden", sagt Ba?.
Das wachsende deutsch-türkische Wirtschaftspotential führe zu mehr Anzeigenerlösen. Große Unternehmen wie Daimler, VW oder die Deutsche Post würden sich nun auch gegenüber türkischstämmigen Kunden öffnen und Anzeigen schalten. Auch türkische Unternehmen aus der Immobilienbranche, dem Gesundheits- oder Tourismusbereich werben vermehrt in Deutschland. Daher versucht Zaman nicht nur türkische, sondern auch deutschstämmige Leser zu erreichen, vor allem durch online ihr Deutsch-Türkisches Journal, Slogan: "das andere Nachrichtenportal". Wenn das Onlineangebot gut angenommen wird, soll in wenigen Jahren auch ein deutschsprachiges Wochenmagazin als Printausgabe angeboten werden.
Brücken bauen statt Boulevard
Zaman ist Teil der world media group in Offenbach. Die hauseigene Druckerei kann auch Fremdaufträge annehmen und trägt so zur wirtschaftlichen Stabilität bei. Eine hauseigene Akademie bemüht sich, den deutsch-türkischen Journalistennachwuchs zu fördern.
"Wir wollen aber auch mehr als zehn deutsche Journalisten gewinnen, die über Themen aus der Mehrheitsgesellschaft schreiben", kündigt Ba? an. Schon jetzt berichten etwa Jochen Thies und Günther Lachmann für dtj-online. Vor allem wolle man, online wie offline, auf deutsch und türkisch, ein seriöses Debattenmagazin sein.
"Zaman ist ein Meinungsbilder und sieht sich als Brückenbauer zwischen der Türkei und Deutschland. Wir sind keine Boulevardzeitung. Wir sind vergleichbar mit SZ oder FAZ. Zu den NSU-Morden finden unsere Leser eben keine Provokation. Hürriyet druckte etwa acht Fotos der türkischen Opfer und der neunte Bilderrahmen war leer mit dem Tenor: Welcher Türke in Deutschland ist das nächste Opfer? So etwas macht Zaman nicht", sagt Ismail Çevik aus der Berliner Zaman-Redaktion.
Die Ursprünge der Zaman sind jedoch weniger bildungsbürgerlich als vielmehr religiös fundiert. Bis heute zählt die Zaman zur weltweiten Bewegung des türkisch-amerikanischen Predigers Fetulah Gülen, dem der Aufruf "Baut Schulen statt Moscheen" zugeschrieben wird. Kritiker sehen hinter Gülen aber eine pseudo-moderne Bewegung, die mit einer geschickten Bildungs- und Medienarbeit heimlich eine Islamisierung der westlichen Gesellschaft betreibt. In der Zaman-Redaktion will man davon nichts wissen: Auch wenn Fetulah Gülen jeden Freitag in der Zeitung eine eigene Kolumne hat, so sei die Redaktion weder wirtschaftlich noch inhaltlich von Gülen abhängig.
Wertkonservativ, demokratisch, bürgerlich
"Religion sehe ich als Redakteur positiv, aber ich schreibe nicht tagtäglich über religiöse Themen. Wir sind dafür, dass der Bürger gegenüber dem Staat gestärkt wird. Demokratie ist eine Errungenschaft, die wir voll unterstützen. Genauso wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Bildung, die Unterstützung der Familie. Insofern könnte man uns wertkonservativ nennen", sagt Süleyman Ba?.
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Zaman wird also wohl auch in Zukunft ein fester journalistischer Faktor nicht nur in der Hauptstadtpresse, sondern auch in der deutsch-türkischen Szene sein. Ob die deutschen Zeitungsverlage jedoch von den Türken lernen können, wie sie die aktuelle Auflagenkrise überwinden können, wäre ein weiteres spannendes Thema für den deutsch-türkischen Dialog. Der Mitbewerber Hürriyet hat jedenfalls mit Auflagenschwund zu kämpfen: Am 1. März schloss die Zeitung ihre Europa-Redaktion, die in Deutschland saß, 56 Redakteure wurden entlassen.