Schon lange ist bekannt, dass Süchte nicht nur wie etwa von Alkohol oder Nikotin stofflich gebunden sind. Menschen können zum Beispiel auch von Glücksspielen abhängig sein. Dostojewski hat davon in seinem autobiographischen Roman "der Spieler" bereits im 19. Jahrhundert ein beredtes Zeugnis abgelegt. Bloß damals musste er sich noch zur Baden-Badener Spielbank aufmachen und wenn die Jetons aufgebraucht waren, so war die Sache zumindest für diesen Tag erst einmal erledigt.
Heute allerdings wird von zu Hause aus gedaddelt was das Zeug hält, und zwar rund um die Uhr. Man benötigt nur einen PC,ein Modem und eine gute Flatrate. Besonders männliche Jugendliche scheinen der Faszination von Minecraft bis World of warcraft zu erliegen. Sind sie also verloren im Netz? Darüber diskutierten Experten dem Hauptstadtsymposium der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).
"Ich schwanke durch dieses nur 2-D-Sehen"
Die beiden 14-jährigen Berliner "Morgenrot" und "Magnus" jedenfalls halten sich nicht für süchtig. Im Internet sind sie unter diesen Nicknames unterwegs. Sie spielen Minecraft oder Egoshooter, unterhalten sich mit ihren Freunden in Echtzeit via Skype oder im Chat. Internet ist für sie Alltag und macht einfach Spaß.
"Der Reiz daran ist, du kannst tun und lassen was du willst. Wenn du wütend bist kannst du dir Sachen verzaubern, in die Luft sprengen, alle töten, alle umnieten, die dir in den Weg kommen. Und wenn du kreativ bist, dann kannst du soviel bauen wie du willst. Da sind keine Grenzen gesetzt", erklärt Morgenrot.
Jeden Wochentag sind sie zwei bis drei Stunden mit PC-Spielen beschäftigt, am Wochenende locker auch schon mal die doppelte Zeit, erklärt Magnus. Nur das sei eben total normal, manche in ihrer Klasse würden noch wesentlich länger spielen. Die beiden aber nicht. "Wenn ich vier Stunden gespielt habe, dann ist mir meistens komisch. Dann wird mir schwindelig. Ich schwanke zum Teil durch dieses nur 2-D-Sehen", sagt Morgenrot.
Der Tag-Nacht-Rhythmus gerät durcheinander
Auch wenn diese zwei 14-Jährigen noch zu wissen scheinen, wann sie ihren Laptop besser ausmachen, so kennen längst nicht alle PC-Nutzer ihr Maß. Gerade bei männlichen Jugendlichen liegt nach aktuellen Studien die Anfälligkeit dafür mit über 1,7 Prozent auffallend hoch. Schätzungsweise mehr als 400.000 Menschen in Deutschland gelten bereits als onlinesüchtig. Dabei ist der Begriff Internet-Sucht schillernd. Dahinter verbergen sich eine Reihe von Abhängigkeiten wie Internet-Pornographie-Nutzung, Online-Beziehungen, Online-Glücksspiele, der Besuch von Auktions- und Shoppingseiten oder stundenlanges Surfen.
Das Phänomen Internet-Sucht ist noch relativ jung. Dennoch soll es jetzt in die neuen internationalen Diagnose-Kataloge DSM 5 und ICD 11 aufgenommen werden. Eine Krankheit liegt dann vor, wenn eine gedankliche Vereinnahmung vorliegt. Der Abhängige muss an das PC-Spiel denken, auch wenn gar nicht gespielt wird, in der Schule oder am Arbeitsplatz etwa. Es treten im offline-Leben psychische Entzugserscheinungen wie Gereiztheit, Unruhe, Traurigkeit, erhöhte Ängstlichkeit oder Konzentrationsprobleme auf.
Um dieses Online-Bedürfnis zu erfüllen, wird immer mehr Zeit aufgewendet. Das Spielen dient nicht mehr der Unterhaltung, sondern um negative Gefühle auszublenden. Es tritt ein gewisser Kontrollverlust ein. Der Tag-Nacht-Rhythmus gerät durcheinander. Hinzu kommt das Belügen von Angehörigen, Familienmitgliedern, Therapeuten über das tatsächliche Ausmaß des Spielverhaltens. Pathologisch ist das Computerspielen aber erst, wenn mindestens vier bis fünf dieser Kriterien erfüllt sind. Anders aber als etwa bei Abhängigkeiten von Alkohol schätzen viele Internet-Süchtige ihre Situation richtig ein.
Es geht um das Glücksspielmonopol der Länder
"Die können nach eigener Einschätzung die Aufgaben in der Schule schlechter bewältigen, sich schlechter konzentrieren. Sie sind psychisch belasteter und weniger mit ihrem Leben zufrieden. Das ist ungewöhnlich für eine Suchterkrankung. Wir haben ein eingeengteres Freizeitspektrum, geringere Schlafzeiten, häufigere Suizidgedanken, Depressionen, Angststörungen oder ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom", sagt Florian Rehbein vom Kriminologischen Forschungsinstitut in Hannover.
Noch hat man es aber mit einem relativ neuem Phänomen zu tun, das in seinen Langzeitfolgen noch erforscht werden muss. Klar ist aber, dass wie bei analogen Glücksspielen etwa in Kneipen und Casinos auch das Internet ein riesiger Markt ist. Online werden Milliarden umgesetzt. Die Wirtschaft dürfte also vielleicht gar nicht ein so großes Interesse an Aufklärung und Suchtprophylaxe haben.
"Vor fünf Jahren trat als Ergebnis eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts der Glücksspielstaatsvertrag in Kraft. Es ging um das Glücksspielmonopol der Länder, das unter der Voraussetzung erhalten blieb, dass es einen Schutz der Spieler und eine verstärkte Untersuchung dieser Phänomene gibt. Da gab es mehrere Millionen für diese Forschung. Das ist vorbei. Jetzt haben wir den Glücksspieländerungsstaatsvertrag, bei dem der Spielerschutz in den Hintergrund getreten ist. Wir fürchten, dass diese Möglichkeit zur Forschung jetzt deutlich reduziert ist", beklagt Karl Mann vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit, Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin in Mannheim.
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Aber Aufklärung ist dringend nötig. Schon jetzt werden die Beratungsstellen von Internetsüchtigen und vor allem besorgten Eltern geradezu überrannt. "Diesen Begriff der Eltern 'ins Internet gehen' kennen die 15-16-Jährigen gar nicht mehr. Die sind den ganzen Tag online. Die Internet-Zeiten haben sich enorm gesteigert. Vor Jahren hätte man wohl noch von einer Massenepidemie gesprochen", sagt Jannis Wlachojiannis von der Internetsucht-Beratungsstelle "Lost in space" der Berliner Caritas.
Besonders die Erziehungsberechtigten sind über den PC-Konsum ihrer Kinder erschrocken. Wolle man etwas verändern, so müsse man innerhalb der Familie hart verhandeln. Den PC einfach wegzunehmen könne da nur die allerletzte Möglichkeit sein. Denn online gehöre heute einfach zur jugendlichen Alltagskultur. Der Caritas-Experte Jannis Wlachojiannis rät den Eltern, sich jederzeit ins Kinderzimmer zu trauen, um das PC-Problem auszudiskutieren: "Ich habe oft auch Erwachsene bei mir in der Beratung, die sagen, jetzt merke ich erst, wie wichtig es war, dass meine Mutter mich damals genervt hat, die immer nachgefragt hat. Also, suchen Sie den Kontakt! Fragen Sie nach. Auch wenn Konflikte anstrengend sind, sie sind unheimlich wichtig für die Jugendlichen. Sehen Sie zu, dass der Kontakt zu Ihrem Kind nicht abbricht."