Foto: Maurizio Gambarini/dpa
Armut treibt Roma-Familien unter anderem nach Berlin.
Armutseinwanderer: Integration geht nicht von allein
Der Deutsche Städtetag schlägt Alarm: Immer mehr Bewohner klagen über Probleme durch Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien. In einer meinungsfreudigen Runde ging es bei "Menschen bei Maischberger" deshalb um die Frage, ob Armutseinwanderer Deutschland überfordern.
27.02.2013
Christiane Meister

Was wäre, wenn man in Deutschland die Zeit zurückdrehen und mit dem Wissen von heute das Thema Integration noch einmal neu anpacken könnte? Würden die richtigen Weichen gestellt, würde in sinnvolle Projekte Geld investiert werden? Es scheint, als hätte die Bundesrepublik die Gelegenheit, ihre Lernfähigkeit unter Beweis zu stellen. Denn immer lauter werden die Rufe vieler Städte, dass sie Hilfe bei der Versorgung der Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien benötigen. So laut, dass Sandra Maischberger ihre Gäste fragt: "Die Armutseinwanderer: Ist Deutschland überfordert?"

Ein sensibles Thema - nicht zuletzt, weil in der Sendung zwar meistens von "Rumänen und Bulgaren" gesprochen wird, oft jedoch vor allem Sinti und Roma gemeint sind. Jene Minderheit, die nicht nur von den Nazis verfolgt und getötet wurde, sondern auch heute noch - gerade in osteuropäischen Ländern - häufig am Rand der Gesellschaft lebt. Erschreckend polemisch beginnt die Sendung mit einem Einspieler, in dem sich Einwohner aus Duisburg über ihre neuen Nachbarn beklagen ("Die Kinder pinkeln und kacken irgendwohin"). Natürlich handelt es sich bei den Zugezogenen um genau jene Armutseinwanderer.

Mehr als eine Wahrheit

Doch auf diesem Niveau verweilt die Sendung zum Glück nicht - auch wenn die Zusammenstellung der Gäste einiges Streitpotential bereithält. So trifft mit Hamze Bytyci ein Roma-Aktivist auf den CSU-Politiker und einstigen Strauß-Freund Wilfried Scharnagl. Zusätzlichen Zündstoff liefert Michael Willhardt. Der Vorsitzender einer Duisburger Bürgerinitiative warnt in einem Brandbrief vor den Folgen der Zuwanderung aus Südosteuropa. Gemäßigt und bedacht zeigen sich Guntram Schneider, NRW-Integrationsminister  und die "Spiegel"-Journalistin Özlem Gezer. Beide tragen immer wieder dazu bei, das Gespräch auf einer sachlichen Ebene zu führen. Hinzu kommt der Quotenpromi - an diesem Abend die Popsängerin Lucy Diakovska von den "No Angels", die mit 18 Jahren von Bulgarien nach Deutschland zog.

Zu Gast bei Sandra Maischberger (r): Guntram Schneider, SPD, NRW-Integrationsminister (l.) und Michael Willhardt, Duisburger Bürgerinitiative "Zukunftsstadtteil"

Es sind vor allem die Erzählungen von Özlem Gezer, die die Komplexität der Situation aufzeigen. Die Journalistin hat in vielen Slums in osteuropäischen Ländern recherchiert und einen Menschenhändler auf seiner Tour von Bulgarien nach Deutschland begleitet. Sie erzählt, wie die Menschen, die dort auf Müllhalden hausen, in der Bundesrepublik ein Paradies sehen. "Die beten in der Dorfkirche für Angela Merkel, weil sie denken, dass es ein Geschenk ist, wenn man Kindergeld bekommt." Für Scharnagl sind solche Aussagen Grund genug anzunehmen, dass die Zuwanderer vor allem wegen der Sozialleistungen und nicht zum Arbeiten nach Deutschland kommen.

Dass die Realität oft eine andere ist, zeigt die Situation vieler Zuwanderer. Sie verdingen sich auf dem Arbeiterstrich für einen Hungerlohn von zwei oder drei Euro und hausen in kleinen Zimmern zu überteuerten Preisen. Wie so oft gibt es mehr als eine Wahrheit. In Deutschland angekommen, sehen sich viele jedoch schnell als Sklaven der Globalisierung. "Drei Euro in der Stunde sind besser als keiner", lautet dann aber die Rechnung, erzählt Gezer - und so bleiben sie oder kommen wieder. Es seien vor allem die, die in ihren Heimatländern am Rand der Gesellschaft lebten, die das Versprechen auf Wohlstand einlösen wollten, das mit dem EU-Beitritt gekommen ist. Und genau darin liegt für Willhardt das Problem. Die neuen Nachbarn, die zum Teil in Häusern ohne Strom und Wasser lebten und im Keller einen Wasserbrunnen bauten, seien ein Kulturschock für ihn und sein Umfeld. Es fehle die gemeinsame Sprache. In solchen Momenten erinnert Bytyci daran, dass es in der Diskussion um Menschen geht, die in ihren Ländern mehrfach diskriminiert werden, die es gewohnt sind, am Rande der Gesellschaft zu leben. Ihnen fehle jede Chance, weil sie in der Heimat vom Bildungssystem ferngehalten würden.

Politik schiebt sich den Schwarzen Peter zu

Ernüchternd ist die Diskussion immer dann, wenn es um konkrete Lösungsansätze geht. Hamze Bytyci ist sicher, dass Deutschland reich genug ist, den Armutszuwanderern beizustehen. In der Politik schieben sich Städte, Kommunen, das Land und der Bund gegenseitig den Schwarzen Peter zu - exemplarisch vorgeführt von den geladenen Politikern. Wieder scheint man darauf zu setzen, dass die Zugewanderten von alleine in ihre Länder zurückkehren und sich die Frage der Integration von alleine löst.

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Doch - so unterschiedlich die Situation zur ersten Generation der Gastarbeiter auch sein mag - wer so denkt, macht es sich zu einfach. Denn auch die Armutszuwanderer werden hier trotz der schlimmen Lebensumstände heimisch werden. Spätestens, wenn ihre Kinder hier zur Schule gehen. "Wir müssen uns überlegen, ob wir fünf Jahre in Integration investieren sollen oder 35 Jahre in Sozialtransfers", warnt Özlem Gezer deshalb.

Es stellt sich also nicht mehr die Frage, ob Deutschland von Armutseinwanderern überfordert ist. Viel mehr braucht es jetzt eine kluge Integrationspolitik, damit sich die heutigen Probleme im in den nächsten zehn bis 15 Jahren nicht weiter verstärken. Hinzu kommt der Aspekt der Nächstenliebe, der - auch auf mehrfache Nachfrage Maischbergers - vom CSU-Mann Scharnagl verweigert wird. Denn wenn die EU zusammenwachsen will, darf sie die Augen vor der Situation von Minderheiten - in diesem Fall vor allem Sinti und Roma, aber zum Teil auch Türken in Bulgarien - nicht verschließen.