Bunte Kinderhände
Foto: Nailia Schwarz/photocase
Seelsorger in Kinderkliniken müssen gut vernetzt sein.
Aus Exoten werden Brückenbauer
Die Kinderklinikseelsorge im Bereich der EKD feiert 25-jähriges Jubiläum. Pfarrerin Christa Schindler begleitet als Seelsorgerin seit knapp zwei Jahrzehnten junge Patienten und deren Angehörige. Sie erzählt von den Veränderungen der Kinderklinikseelsorge und wie der medizinische Fortschritt sie herausfordert.
20.02.2013
evangelisch.de

Sie arbeiten seit 18 Jahre in der Kinderklinikseelsorge. Das bedeutet: 18 Jahre sterbende Kinder, 18 Jahre trauernde Eltern, 18 Jahre zwischen Hoffen und Bangen. Wie halten Sie das aus?

Christa Schindler: Mir macht mein Beruf Spaß, großen Spaß sogar. Obwohl es natürlich eine sehr schwere und anstrengende Arbeit ist, habe ich eine Gabe dafür.

Es ist eine wichtige Arbeit, die es aber erst seit 25 Jahren in Deutschland gibt.

Es begann als eine "Bewegung von unten" in der Kirche. Wir Pfarrer und Diakone haben es aber in den vergangenen 25 Jahren geschafft, die Kinderklinikseelsorge als eine eigenständige Unterabteilung der Seelsorge zu etablieren. In den Anfangsjahren fühlten wir uns wie richtige Einzelkämpfer und wurden auch als Exoten gesehen. Keiner wusste, was genau wir in der Klinik überhaupt machen. Viele Ärzte hatten gar die Befürchtung, wir Seelsorger würden ihnen nur im Weg herumstehen.

"Ich baue viele Brücken"

Welche Veränderungen haben Sie beobachtet?

Dort, wo man unsere Arbeit kennt, werden wir voll akzeptiert. Außerdem sind wir jetzt viel besser vernetzt. Ich habe Verbindungen nicht nur zu Ärzten und Schwestern, sondern auch Sozialarbeitern, Krankengymnasten und Erzieherinnen in den Spielzimmern. So bin ich auch eine hilfreiche Schnittstelle zwischen den unterschiedlichen Professionen und baue viele Brücken dort, wo es bei der Kommunikation hapert.

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Wie sieht das konkret aus?

Oft sind es ganz kleine Dinge, die große Erleichterung bringen und große Wünsche erfüllen können. Eine Mutter hatte eine Schwester missverstanden und sie dachte, dass ihr todkrankes Kind ins Hospiz bringen müsse. Ich zeigte ihr dann die Möglichkeit auf, dass sie ihr Kind durchaus auch zuhause pflegen kann. Das tat die Mutter dann und war froh über diesen Weg. Oder ich vermittle zwischen Bestatter und einer trauernden Familie. Viele Eltern sind wie versteinert. Es geht darum, Leben zu ermöglichen in den Grenzen, die manchmal gesetzt sind!

"Durch den medizinischen Fortschritt gibt es andere Herausforderungen"

Die Medizin entwickelt sich ständig weiter. Mittlerweile sind Frühchen lebensfähig, die in der 23. Schwangerschaftswoche geboren werden. Vor welche neue Herausforderungen stellt Sie das?

Bei Extremfällen setzen sich Ärzte, Theologen, Krankenschwestern und Juristen zu einer ethischen Fallbesprechung zusammen. Da geht es um die Frage, ob man das Frühchen wirklich nach der dritten schlimmen Hirnblutung wiederbeleben soll. Es kann nicht um Leben um jeden Preis gehen. Auch wenn das bedrückend für uns alle ist. Aber gleichzeitig verweilen Patienten durch die Fortschritte immer kürzer im Krankenhaus. Dadurch warten andere Herausforderungen auf die Eltern, bei denen ich sie begleite: Wer kümmert sich um das Kind, das zuhause ist und nicht in die Schule gehen kann?

Den Kirchen laufen die Mitglieder weg, Glauben findet in der Gesellschaft seltener statt. Ist das in den Kliniken anders?

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Keineswegs - leider. Immer weniger Eltern lassen ihr krankes Kind taufen. Andererseits spüre ich bei den Menschen einen immensen Wunsch nach Spiritualität, nur ist "Kirche" für die Leute heutzutage häufig ein zu großes Wort. Oft finden sie nicht den richtigen Zugang zu Gott. Doch habe ich erlebt, wie eine Frau extra wieder in die Kirche eingetreten ist, um Patin für ein todkrankes Kind zu werden.

"Es ist egal, welchen Namen Gott hat"

Wie gehen Sie mit dem immer größeren Teil der Andersgläubigen um?

Ich besuche alle Kinder in der Klinik. Nicht nur die Christen. Ein muslimischer Vater sagte einmal zu mir: "Wenn uns Gott oder Allah nicht in Leid und Schmerz verbinden kann, wozu ist er denn dann überhaupt gut?" Solange er Kraft schenkt, ist es doch wirklich egal, welchen Namen Gott hat.

Stoßen Sie bei Ihrer seelsorgerischen Arbeit auf taube Ohren?

Ganz selten. Ich gehe mit viel Offenheit und Fingerspitzengefühl auf die Patienten und Eltern zu. Wenn es sein muss, komme ich eben auch  ein drittes Mal wieder, bis sich die Leute öffnen können.

Bei all dem Leid der Unschuldigsten und Kleinstern dieser Welt, das sie täglich erleben: Hadern Sie da manchmal mit Gott?

Sicher hadere ich. Aber: Kinder, auch kranke Kinder, sind Wunder. Wunder müssen nicht perfekt sein. Sonst wären es ja keine Wunder! Ich rede ganz offen über Zweifel der Eltern und sage ihnen, dass Gott nicht gerecht ist. Aber Gott begleitet uns und verlässt uns nie.

"Ich feiere das Geschenk des Lebens"

Halten Sie Kontakt mit Eltern nach dem Tod ihres Kindes oder mit Ihren überlebenden Schützlingen?

Manche Kontakte bestehen über Jahre. Gesundete Kinder rufen mich dann in besonders schwierigen Situationen an. Aber auch Eltern verstorbener Kinder kommen zu mir zurück, wenn sie wieder Eltern geworden sind. Mit dem Tod ist es nicht vorbei, ich begleite die Eltern auch danach.

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Wie hat Sie Ihre Arbeit als Kinderklinikseelsorgerin persönlich verändert?

Ich habe vor allem drei Dinge gelernt: Demut, Staunen, Achtung. Ich staune mehr über das Leben und die Möglichkeiten, die auch ein krankes Leben bietet. Meine Achtung und Demut vor der Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen sind gewachsen. Seit ich selbst Mutter bin sehe viele Sachen aus einer anderen Perspektive: Wenn mein Sohn den Flur unter Wasser gesetzt hat, weil er sein Papierboot testen wollte, sehe ich die positiven Seiten, zum Beispiel, dass mein Kind so kreativ ist. Wie viele Eltern würden sich freuen, wenn ihr krankes Kind ein einziges Mal im Flur für eine Überschwemmung sorgen würde! Ich genieße jeden Tag und feiere das Geschenk des Lebens, das keiner von uns einfach so ungenutzt vorüberziehen lassen sollte.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Kinderklinikseelsorge?

Dass die vorhandenen Stellen unbedingt bestehen bleiben. Dass mehr dazukommen, bleibt bei der finanziellen Lage der Kirche wohl ein frommer Wunsch. Außerdem muss die Kinderseelsorge noch mehr akzeptiert und selbstverständlicher werden. Nicht nur in den Kliniken, sondern auch in der Gesellschaft und  in den Gemeinde. Schließlich versprechen wir dem Kind bei der Taufe: "Wir möchten dich begleiten." Das müssen wir auch einhalten.