Nie war Papst Benedikt XVI. beliebter als jetzt, im Moment seines Rücktritts - in dem er sich persönlich verletzlich zeigt und in dem er sich mit einem historischen Akt von seinem Amt befreit. Seitdem zollen ihm Menschen von allen Seiten Respekt – auch viele, die das vorher nicht getan haben.
Mit seinem freiwilligen und im Prinzip einmaligen Amtsverzicht geht Papst Benedikt bewusst einen anderen Weg als sein Vorgänger Johannes Paul der Zweite. Dieser hatte sein Siechtum und sein Sterben vor den Augen der Welt öffentlich durchlitten. Dafür wurde ihm große Anteilnahme und Respekt zuteil.
Die Kirche als Schutzraum
Sein Nachfolger Benedikt erhält nun ebenfalls viel Anerkennung für seinen - anderen - Weg. Es gibt eben verschiedene Wege, wie man seinen Glauben glaubhaft leben kann. Für mich als evangelischen Christen ist das selbstverständlich. Für Papst Benedikt vielleicht nicht so ganz, denn als Papst und zuvor als Leiter der Glaubenskongregation war er zuständig für die theologische Einheit der Kirche und ihrer Lehre. Mir war er darin in vielem fremd. Aber eines habe ich ihm immer abgenommen: Benedikt war es ernst mit seinem Glauben. Es ist, als habe er sich von Psalm eins leiten lassen. Da heißt es:
"Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf dem Weg der Sünder, noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust am Gesetz des Herrn und sinnt über sein Gesetz Tag und Nacht!"
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In diesen Versen erkenne ich vieles, was Papst Benedikt wichtig war: Er wollte seine Kirche als Schutzraum der Gläubigen sehen. Persönlich als Christ ein beispielhaftes Leben führen. Dem Spott der Atheisten kluge Argumente entgegensetzen. Den Glauben in möglichst klare Worte fassen - allerdings wohl eher wie ein Gesetz voller Paragrafen und Vorschriften, weniger wie ein Gedicht voller Anspielungen und interpretationsbedürftiger Bilder. Ihn wie auch den Psalmbeter trieb die Sehnsucht nach Klarheit: Hier seine Kirche, Heimat derer, die Lust am Gesetz Gottes haben. Dort die Welt der Gottlosen, der Sünder und Spötter.
Den eigenen Weg im Glauben finden
Klarheit ist schön, wäre schön. Aber so eindeutig sind die Menschen nicht. So ist auch der Glaube nicht. Sein innerstes Geheimnis können selbst die klügsten Worte nicht wirklich lüften. Auch die Kirche kann das nicht. Darunter hat Benedikt sicher heftig gelitten. Seine Amtszeit war überschattet von Skandalen, wie den um die Vatikanbank, um sexuelle Gewalt durch Priester, um rechtes Gedankengut bei den Piusbrüdern, um Intrigen und Indiskretionen im Vatikan und mehr. Groß wirkt der Abstand zwischen der Realität der Kirche und seinem Ideal. Vielleicht hat Benedikt auch das müde gemacht.
Es ist eigentümlich, ja geradezu paradox, dass ausgerechnet dieser Papst, der Jahrzehntelang für die Einheitlichkeit der katholischen Kirche stand, nun einen einmaligen Schritt vollzieht und abdankt. In aller persönlichen Freiheit. Keinen hat er gefragt. Keinem hat er sich gebeugt. Aber sein Gewissen hat er, wiederholt, vor Gott geprüft. So hat er es erklärt, am Montag, und ist damit zur Gewissheit gelangt: Seine Kräfte sind infolge des Alters nicht mehr geeignet, sein Amt angemessen auszuüben.
Sich und sein Leben vor Gott und dem eigenen Gewissen prüfen - das kommt mir als Evangelischem so bekannt vor. Das hätte der Reformator Martin Luther auch nicht besser sagen können. Auch Luther ist im Ringen um den Glauben im Leben alt und müde geworden. Menschen haben es nicht leicht mit sich und miteinander. Sie wünschen sich Klarheit, im Leben und im Glauben. Doch dabei muss jeder seinen eigenen Weg finden, verantwortlich vor seinem Gewissen und vor Gott. Papst Benedikt hat dies getan - ganz persönlich und nun auch öffentlich. Vorbildhaft.