Es muss den Verdacht gegeben haben, dass an diesem Abend nicht weniger als die Popkultur selbst in der Kirche Einzug hält: Die gesamte Hauptstadtpresse, ein gutes Dutzend Fotografen, genauso viele Reporter, sogar Filmteams haben sich dazu in der Neuköllner Magdalenenkirche eingefunden: Alle scheinen in froher Erwartung, Zeuge von etwas Unerhörtem zu werden, immerhin steigt das Event in Neukölln, dem Skandalviertel schlechthin.
Aber in dem rappelvollen Gotteshaus findet weder ein Model-Casting noch das Dschungelcamp statt, kein Dieter Bohlen und kein Talentwettbewerb – oder etwa doch?
Hier haben sich zwei Pfarrer duelliert. Marita Lersner und Florian Barth tun, was Paulus und Petrus, Luther und Eck vorgemacht haben: Sie wetteifern darum, wer das Evangelium am besten verkündet, vermarktet, verkauft. In drei Disziplinen treten die beiden Freunde aus Studientagen gegeneinander an: Erst eine vorbereitete Predigt und dann zwei improvisierte – nach jeweils vier Minuten auf der Kanzel setzen sie sich dem Urteil des Publikums aus. Wer mehr Applaus bekommt, gewinnt. Über hundert Zuhörer aus dem ganzen Stadtgebiet hat die Kunde von dem außergewöhnlichen Wettstreit nach Neukölln gelockt.
"Jetzt bloß nicht schwäbeln!"
Für die Stadtpfarrerin Marita Lersner ist dieser Abend ihre Chance auf Revanche: Vergangenen Herbst verlor die Berlinerin das Hinspiel in Heidelberg. Jetzt empfängt sie ihren alten Studienkollegen Florian Barth in ihrer Heimatgemeinde.
Wie ihr Kontrahent trägt auch Marita Lersner statt eines Talars heute einen schwarzen Anzug – und ein freundliches Lächeln. Beide sind aus demselben Abschlussjahrgang, beide haben zehn Jahre Predigterfahrung, sie sind rhetorisch auf einem Level. Das ist ihr wichtig, sagt Marita: "Wenn nicht beide ebenbürtig sind macht das Ganze keinen Sinn."
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Der Gast aus Heidelberg hat Frau und Kinder dabei und begegnet dem unverhofften Presserummel mit einem gelassenen Dauergrinsen. Angesichts jüngster Berichte über die Berliner Spätzleattacken hat der Badener nur einen Gedanken: "Jetzt bloß nicht schwäbeln!".
Aber auch auf Hochdeutsch bleibt der Heimvorteil. Und das erste Thema, die Jahreslosung der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen, klingt gleich wie ein Wahlspruch für Berlin: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Die Berlinerin setzt die Steilvorlage gekonnt um: "Mit dem Reich Gottes ist es wie mit dem Großflughafen Berlin-Brandenburg-International: Der Flughafen ist ja schon da - aber eben noch nicht im vollen Sinne Wirklichkeit geworden." Pointe um Pointe zieht sie das Berliner Publikum auf ihre Seite - und gewinnt die erste Runde.
Aber nicht nur Heiteres, auch Nachdenkliches klingt bei den Duellanten an, wie Barths Geschichte über die dunkle Hoffnung einer Sterbenden, die am Ende doch Erdbeereis der Todesspritze vorzog, oder LersnersLehrstück darüber, was wir von den Flüchtlingen in Schönefelder Abschiebegefängnis lernen könnten - wären sie nicht hinter Stacheldraht weggesperrt.
"Mit Gott lebt es sich einfach besser als ohne"
In der zweiten Runde wird um die Wette improvisiert: Der Moderator gibt dazu ein Thema vor, es lautet: "Brauchen wir heute noch Gott?". Die beiden Rivalen schauen sich an, seufzen, dann kritzeln sie eifrig auf ihre Zettel. Ein Orgellied lang haben sie Zeit zu überlegen, dann schreitet Marita Lersner zur Kanzel und greift an: „Brauchen wir heute noch Gott? Natürlich nicht!" steigt sie schlagfertig ein – und kriegt die Kurve elegant: "Ich bin jemand, der sehr wohl alleine zurechtkommt, aber mit Gott lebt es sich einfach besser als ohne."
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Doch diesmal hält Barth mit entwaffnender Offenheit dagegen: "Bei dem Thema dachte ich erst: Mist!" Er teilt seine Zweifel mit dem Publikum, am Ende aber dreht er den Spieß gekonnt um: "Gott braucht uns – um sein Werk zu verwirklichen." Applaus erfüllt den safrangelben Kirchensaal – und er macht den Punkt.
Als letzte Aufgabe steht die Predigt auf Zuruf aus dem Publikum: "Zukunft, Hass und Dreifaltigkeit" - keine leichte Kost für einen Vierminüter. Barth stellt sich als Erster. Eindringlich erzählt er die Geschichte eines betrogenen Vaters, der seine Söhne nicht verklagen, aber ihnen auch nicht vergeben kann. Und das Publikum scheint überzeugt: "Nach dieser Predigt dachte ich eigentlich – das war jetzt der Gewinner", wird später eine Frau aus dem Publikum sagen, die extra den Weg aus Gropiusstadt gemacht hat. "Aber dann hat die Frau Lersner einfach noch eins dauf gesetzt: Wie sie da noch den Islam ins Boot geholt hat - das war einfach genial!" Der Vergleich mit den 99 Namen von Allah hat der Neuköllner Pfarrerin am Ende zum Sieg verholfen, von ihrer Idee, einen neuen, unterhaltsamen Zugang zur Predigt zu schaffen, haben am Ende alle profitiert. Wird das Predigt-Battle der neuer Trendsport in der Kirche? Marita Lersner hofft es. Sie würde sich freuen wenn die Idee Nachahmer findet.