Foto: dpa/Rainer Jensen
Günther Jauch hat sich auf das Thema Kirche eingeschossen.
Jauch und die Kirchen: Nicht besonders lebensnah
Günther Jauch wollte "Die Glaubens-Frage: Wie lebensnah ist die Kirche?" beantworten. Es ist ihm trotz gut gewählter Podiumsgäste nicht gelungen. In seiner Talkrunde vom Sonntag blieb die Diskussion an der Oberfläche und beim Einzelfall. Aber aus der Runde, die wenig Neues ergab, ließen sich zwei Thesen zum Weiterdenken erkennen: Die Unterschiede der Kirchen spielen nach außen hin keine Rolle; und die Kirchen werden nicht mehr als Wertegeber für die Gesellschaft wahrgenommen, sondern umgekehrt.
11.02.2013
evangelisch.de

Wie lebensnah ist die Kirche? Gegenfrage: Welche denn, die katholische oder die evangelische? Bei Jauch ging es mal wieder vor allem um die Katholiken, deren Widerspruch zwischen Dogmatik und Pragmatik gerade in den letzten Wochen viel Angriffsfläche bot. Um die evangelische Kirche ging es auch ganz kurz mal, nämlich bei der Frage nach "Dumping-Löhnen" in der Diakonie. Aber der Unterschied klang bei Jauch nur marginal.

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EKD-Ratsvorsitzender Nikolaus Schneider, als Podiumsgast geladen, beklagte die Arbeitsbedingungen in einem knappen Zehntel der diakonischen Einrichtungen selbst: "Das gefällt mir nicht, und das entspricht nicht unseren Grundsätzen." Aber auch die Refinanzierer – die Kranken- und Pflegekassen – müssten diesen Bereich aufwerten, damit sich beispielsweise in der Pflege für Angestellte und Patienten etwas ändert.

Für Jauchs Blick auf Kirche war aber unerheblich, ob es um eine diakonisches Pflegeheim oder ein katholisches Krankenhaus ging. Solche Detailunterschiede können ja auch nicht interessieren, wenn man – wie Jauch – fragt: "Ist der evangelische Gott freundlicher?" Präses Schneider und Bischof Jaschke verneinten: "Gott ist Gott." Zwei wesentliche Unterschiede nannte Schneider aber: die Frage, "wie wir uns als Kirche organisieren, wie wir die letzte Ableitung herstellen", und dass sich die Wahrheit des Glaubens "zu jeder Zeit neu als wahr erweisen" muss. "Ich kann mir nicht vorstellen, mich einem Lehramt zu unterwerfen", stellte Schneider klar.

Vielleicht ist dieser Punkt wirklich allgemein vermittelbar: Die einen haben einen Papst, die anderen nicht, daher sind die ohne Papst etwas freier im Umgang mit der Bibel. Aber aus der Talkrunde konnte man eher den Eindruck gewinnen: Der Unterschied zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche spielt außerhalb des kirchlichen Raumes keine Rolle.

Kirche und Gesellschaft als Gegensatz bei Werten?

Wie begründet zum Beispiel Linken-Chefredner Oskar Lafontaine seine Mitgliedschaft in der (katholischen) Kirche? So: "Man sollte Institutionen unterstützen, die für die Wertevermittlung in einer Gesellschaft unverzichtbar sind." Johannes B. Kerner hieb in die gleiche Kerbe, wenn auch positiver formuliert: "Was ich immer schade finde, ist, dass vergessen wird, dass es so wahnsinnig viele Menschen gibt, die so wahnsinnig viele sinnvolle Dinge tun, mit und in der Kirche."

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Was dann bei Günther Jauch direkt zur bereits erwähnten Lohndebatte in der Diakonie führte. Aber auch zu Beispielen aus der katholischen Arbeitswelt, in denen die Dogmatik unmittelbar eingegriffen hat: Entlassung bei Wiederheirat und Rauswurf nach dem Coming-Out. In der evangelischen Kirche kein Thema, zumindest nicht von oben. Aber dieser Unterschied, wie gesagt, war bei Jauch eigentlich egal.

Bezeichnend auch, was Oskar Lafontaine "die beiden wichtigsten Prinzipien" der Kirche nannte: Nächstenliebe und gleiche Würde für alle. "Die Kirche sollte da eine gewisse Vorbildfunktion haben", meinte er. Damit brachte er die zweite These auf den Punkt, die man aus diesem Abend ableiten konnte: Gesellschaftliche Werte werden nicht mehr aus der christlichen Botschaft abgeleitet, sondern das Verhältnis wird umgedreht: Kirchliche Werte leiten sich aus den gesellschaftlichen Werten ab.

Manchmal dogmatisch, manchmal abgehoben

Und genau hier wird die Frage der Lebensnähe interessant (außer bei Jauch, der ging nicht weiter darauf ein). Denn wenn sich die Werte ändern, die Kirchen aber nicht, verlieren sie diese Nähe, auf die sie doch so dringen. Weihbischof Jaschke beklagte zwar, dass die Kirche "die Herzen der Menschen" und die Barmherzigkeit nicht verlieren dürfe. Er sagte aber auch: "Kirche soll sich nicht anpassen, nicht den Menschen nach dem Mund reden."

Auf katholischer Seite ist es diese Dogmatik, die – gerade in der verkürzten Form einer Fernsehtalkshow – die Kirchen manchmal als unbeweglich erscheinen lässt.

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Nikolaus Schneider hingegen sagte: "Gottesfurcht und Menschenliebe darf man nicht gegeneinander ausspielen", und wenn sich beide widersprechen, dann geht die Menschenliebe vor, denn "ich kann mir nicht vorstellen, dass die Gottesliebe am Ende etwas anderes ist als Menschenliebe". Ein schönes Wort, aber wer außer den wirklich Gläubigen unter den Kirchenmitgliedern kann mit Gottesfurcht etwas anfangen? Ohne Gottesfurcht aber bleibt nur die Menschenliebe übrig – ohne Gott. 

Auf evangelischer Seite lassen manchmal Worte mit verhandelbarem Inhalt die Kirchen abgehoben oder beliebig erscheinen.

Kirche ist da lebensnah, wo Menschen bei Menschen sind

Wie lebensnah sind die Kirchen also? Dort, wo Menschen aus der Kirche anderen helfen, ist Kirche ganz dicht bei den Menschen. Dort, wo ein Christ einem Sterbenden die Hand hält – da ist Kirche. Dort, wo Menschen Trost und Geborgenheit im Zuspruch eines anderen finden – da ist Kirche. Wo zwei oder drei in seinem Namen zusammenkommen – da ist Kirche.

Nach außen aber wird das nur dann zu sehen sein, wenn zwischen die Worte aus der Talkshow und das Handeln der Menschen, die in der Kirche sind, kein Blatt Papier mehr passt, auch keine Bibelseite auf Dünndruck. Und das ist auch für evangelische Christen richtig schwer, wenn zum Beispiel Worte zu Abtreibung und Lebensschutz wie die von Martin Lohmann und differenzierte Gedanken wie die von Bischof Jaschke aufeinandertreffen.

"Das kann man nicht über Grundsätze entscheiden", sagte Bischof Jaschke schließlich. Richtig. Dann aber müssen wir Menschen in den christlichen Kirchen in die Verhandlung eintreten, wie sich die Botschaft Jesu Christi so fassen und leben lässt, dass sie heute noch verstanden und akzeptiert wird. Das könnte auch die Kirche ändern. Denn bei Günther Jauch wurde eines jedenfalls klar: In einer zweifelnden, aufgeklärten Gesellschaft ist es mit Gottes Wort allein nicht getan.