Foto: epd-bild/Gerhard Bäuerle
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, am 31. Januar 2013.
"Kirche besitzt keine Privilegien"
Winfried Kretschmann ist nicht nur Deutschlands erster grüner Ministerpräsident - er ist auch Kirchenbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) begründet er, warum die Kirchen seiner Ansicht nach in Deutschland keine Privilegien haben. Der katholischen Kirche bescheinigt Kretschmann, der dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken angehört, einen "enormen Reformbedarf" und seiner Partei eine kirchenkritische Grundhaltung, die aber nichts mit Kirchenfeindlichkeit zu tun habe.
08.02.2013
epd
Marcus Mockler und Achim Schmid

Herr Ministerpräsident, Ende Januar war bei der Vorstellung einer Studie über die Katholiken der Diözese Rottenburg-Stuttgart von einem "Winfried-Kretschmann-Milieu" die Rede. Das seien oft ältere, sehr engagierte Kirchenmitglieder, die sich besonders für gesellschaftliche Belange interessierten. Fühlen Sie sich als Leitfigur eines bestimmten katholischen Milieus?

Winfried Kretschmann: Nein, so fühle ich mich nicht, das will ich mir auch nicht anmaßen. Ich gehöre eher zur kritischen Kohorte der katholischen Kirche. Ich sehe einen enormen Reformbedarf, zum Beispiel dass sich meine Kirche den Wünschen der Gläubigen stärker öffnet und dass sie vor allem ihre Angst vor Freiheitstendenzen der modernen Gesellschaft ablegt.

Ihre Partei der Grünen gilt als sehr kirchenkritisch. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hat deshalb Ende Dezember gesagt: "Es ist unaufrichtig und doppelzüngig, wenn die Grünen Kirchenfreunde ins Schaufenster stellen, in der Programmwerkstatt aber erbitterte Kirchengegner den Ton angeben." Sind Sie das christliche Feigenblatt in einer kirchenkritischen Partei?

Kretschmann: Was kann man vom Generalsekretär einer anderen Partei schon Anderes erwarten als solche klischeehaften Äußerungen. Wir leben in einer säkularen Gesellschaft, die ist kirchenkritisch. Wir leben überhaupt in einer kritischen Welt, weil wir in einer Demokratie leben. Daran müssen wir uns alle gewöhnen - in Politik, Wirtschaft, Kirche. Schließlich geht das auf den Apostel Paulus zurück, der hat das begründet, als er gesagt hat: "Prüfet alles, das Gute behaltet" (1 Thessalonicher 5, 21). Das steht am Anfang einer kritischen Reflexion von Glaube. Die Grünen sind fraglos die Partei, die von den Konfessionslosen am Stärksten gewählt werden, und in ihr sind auch viele kirchenkritische Menschen. Die Kirche hat zwar einen Missionsauftrag in die Welt und auch in die Parteien hinein - aber nicht umgekehrt.

"Kirchensteuer ist eine Dienstleistung, kein Privileg"

Konkreter Anlass für Gröhes Kritik war das kirchliche Arbeitsrecht, der "Dritte Weg" ohne Streikrecht und ohne Aussperrung. Der Bundesparteitag der Grünen hat beschlossen, diesen "Dritten Weg" massiv einzuschränken. Tragen Sie diesen Parteitagsbeschluss mit?

Kretschmann: Was soll daran kirchenfeindlich sein? Das ist eher eine Rückfrage an die Kirchen, ob ihr Arbeitsrecht noch in eine moderne Gesellschaft passt. An diesem Arbeitsrecht hatten wir Grüne schon immer Kritik - auch ich persönlich. Daraus nun Kirchenfeindlichkeit zu machen, ist polemisch. Was könnte ich da wohl alles zur CDU und ihrer Haltung zu Flüchtlingen sagen. Was sie da teilweise gemacht hat, war an Hartherzigkeit doch gar nicht zu übertreffen. Und da geht es um christliche Kernanliegen - denn der Fremde ist laut der Bibel der Nächste.

Mitte Januar hat sich in Mannheim der "Bundesweite Arbeitskreis Säkulare Grüne" gegründet. Er will kirchliche Privilegien wie den Religionsunterricht an staatlichen Schulen abschaffen. Läutet das einen Säkularisierungsschub in Ihrer Partei ein?

Kretschmann: Zunächst: Die Kirche besitzt keine Privilegien. Sondern Kirche ist stärkste Kraft der Zivilgesellschaft - und der Staat fördert alle Gemeinschaften, die sich für die Gesellschaft engagieren. Davon ist niemand ausgenommen. Was sollen denn Privilegien sein? Die Kirchensteuer zieht zwar der Staat für die Kirchen ein, doch dafür müssen die Kirchen auch bezahlen. Das ist also eine Dienstleistung, kein Privileg. Das kann jede Weltanschauungsgemeinschaft machen, wenn sie den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erreicht. Auch die Staatsleistungen an die Kirchen sind kein Privileg, sondern Ergebnis einer rechtlichen Verpflichtung aus dem frühen 19. Jahrhundert, als die Kirchen enteignet wurden. Wir könnten uns als Staat davon durch hohe Ablösesummen befreien - doch wer will die im Augenblick denn aufbringen? Darüber können wir mal nachdenken, wenn der Staat völlig entschuldet ist.

"Wir müssen einen Haushalt sanieren"

Und trotzdem fordern säkulare Leute aus Ihrer Partei ein Zurückdrängen der Kirchen.

Kretschmann: Niemand kann die Augen davor verschließen, dass diese Gesellschaft säkularer wird. Statt darüber zu jammern, müssen alle engagierten Christen zum Auftrag ihrer Kirche stehen. Die Kirchen selber müssen den Glauben zeitgenössisch halten, damit das verstanden wird, was sie verkünden und tun. Wenn wir Religionsunterricht an öffentlichen Schulen nicht hätten - man müsste ihn geradezu erfinden. Ist denn in Gesellschaften, in denen ein strikter Laizismus herrscht, irgendetwas besser? Nein. Die Religionen geraten an den Rand, und dort können sich dann fundamentalistische Tendenzen ausbreiten. Das schlägt dann zurück auf die Gesellschaft, und zwar nicht zu ihrem Vorteil. Damit ist also kein Freiheitsgewinn verbunden.

Die Landesregierung hat die Studiengebühren abgeschafft. Während staatliche Hochschulen finanziellen Ersatz vom Land kriegen, gehen die kirchlichen - etwa die Evangelischen Hochschulen in Freiburg und Ludwigsburg - leer aus. Warum lässt man die nicht auf Gewinn ausgerichteten kirchlichen Hochschulen hier im Stich?

Kretschmann: Die Hochschulministerin bemüht sich um eine Lösung, aber das ist rechtlich außerordentlich schwierig. Die kirchlichen Hochschulen leisten eine ganz hervorragende Arbeit. Aber wir können die Abschaffung der Studiengebühren nicht davon abhängig machen, ob Hochschulen in freier Trägerschaft von diesem Schritt betroffen sind. Wir hoffen, eine auch für die kirchlichen Hochschulen gute Lösung zu finden.

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Wie ist das für Sie: Christ und Politiker? Die Maßstäbe liegen da ja noch mal höher. Da war die Enttäuschung, als Sie überraschend die Streichung von 11.600 Lehrerstellen bis 2020 verkündeten, bei einigen umso größer. Hätten Sie das als Christ nicht schon vor den Wahlen sagen müssen?

Kretschmann: Diese Lehrerstellen streiche ich aus Überzeugung. Wir haben einen Rückgang von 25.000 Schülerinnen und Schülern jedes Jahr bis 2020. Wir müssen einen Haushalt sanieren. Die Schuldenbremse steht in der Verfassung. Darüber beklage ich mich nicht, denn ich habe mit für diese Schuldenbremse gesorgt. Bis jetzt sind alle Ressourcen im Schulsystem geblieben.

Kürzlich wurde berichtet, Sie würden gerne nach der ersten Amtsperiode als Ministerpräsident gleich für eine zweite kandidieren. Was macht Ihnen Mut, mit dann 67 Jahren den Hut noch einmal in den Ring zu werfen?

Kretschmann: Es ging in der Meldung darum, ob ich ein Amt in Europa anstrebe, und da habe ich deutlich gemacht, dass mich meine Aufgabe in Baden-Württemberg mehr interessiert. Aber es wäre verwegen, sich schon drei Jahre vor der Wahl zu entscheiden, weiterzumachen. Dazu muss man ja gesund sein, man muss das Amt wollen, die Partei muss es wollen, die Wählerschaft - das weiß man heute alles nicht. Ich bin gewählt für fünf Jahre, das erfülle ich auch. Als Profi in der Politik muss man sowieso immer sagen, dass man weiter macht. Sonst gilt man als "lahme Ente" und wird im Amt nicht mehr ernstgenommen.