Paar im Bett
Foto: iStockphoto/George Mayer
Wenn das Kondom platzt oder die Pille vergessen wurde, gibt es noch die "Pille danach", um die Empfängnis zu verhüten. Das Mittel ist in Deutschland umstritten.
Die "Pille danach": Ein umstrittenes Mittel
In 28 europäischen Ländern können sich Frauen nach einem Verhütungs-Unfall die "Pille danach" in der Apotheke holen. Ohne Rezept und ohne sich erklären zu müssen. Ein entspannter Umgang mit einem Medikament, an dem in Deutschland viele religiöse und moralische Vorstellungen hängen. Seit dem Kölner Klinikskandal werden sie heiß diskutiert – während ein britischer Online-Arzt die umstrittenen Pillen seit einigen Wochen per Internet auch an deutsche Frauen verschickt.

"Pille vergessen, Kondom gerissen: Eine Panne kann immer mal passieren. Für solche Situationen gibt es die 'Pille danach'", so heißt es auf der Internetseite von Dr. Ed. Das ist ein Online-Ärzteteam mit Sitz in London und verschickt seit Anfang Januar Rezepte für die "Pille danach" nach Deutschland. Dafür füllen Frauen einen medizinischen Fragebogen aus, in dem der Zeitpunkt des ungeschützten Geschlechtsverkehrs, ihr Hormonzyklus und Vorerkrankungen abgefragt werden. "Den überprüft einer unser Ärzte innerhalb von ein bis zwei Stunden", erklärt David Meinerz, Gründer und Geschäftsführer des britischen Unternehmens. "Wenn wir keine medizinischen Bedenken haben, bringen wir das Rezept auf den Weg."

Heißt: Es geht an eine deutsche Versandapotheke und "die Pille danach" kommt per Paketdienst zur betroffenen Frau nach Hause. "Spätestens 30 Stunden nach Bestellung", sagt Meinerz. Die Frauen kostet die Lieferung 35 Euro, freitags ab 18 Uhr bis samstags, 18 Uhr arbeitet die Online-Praxis nicht. "Dann müssen Frauen doch den ärztlichen Notdienst aufsuchen", sagt Meinerz. "Die Pille danach muss ja so schnell wie möglich eingenommen werden, am besten 24 Stunden nach dem Geschlechtsverkehr."

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Über hundert deutsche Frauen haben bereits bei Dr. Ed die Pille danach bestellt, sagt Meinerz. Trotz der Lieferzeit von 30 Stunden. Empörend finden deutsche Ärzte das: Ein Fragebogen sei keine Beratung und könne keine Untersuchung ersetzen, 30 Stunden eine zu lange Zeit für eine wirkungsvolle Notfallverhütung, schreibt der Verband der Frauenärzte. "Am besten wäre es für deutsche Frauen, wenn sie die Pille danach einfach aus der Apotheke abholen könnten", sagt der Dr. Ed-Geschäftsführer. "Unser Angebot ist eigentlich nur eine Zwischenlösung für eine schwierige Versorgungssituation in Deutschland."

Tatsächlich gibt es die "Pille danach" mit dem Hormon Levonorgestrel in 28 europäischen Ländern rezeptfrei in Apotheken. In Großbritannien und Frankreich wird sie sogar im Bedarfsfall in Schulen an Schülerinnen herausgegeben. Öffentliche moraltheologische Diskussionen darüber gab es nie. Weil das Medikament gut verträglich und eine ärztliche Voruntersuchung nicht notwendig sei, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation die rezeptfreie Abgabe von Levonorgestrel-haltigen Pillen seit Jahren – um ungewollte Schwangerschaften und Abtreibungen zu verhindern. Und auch das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sprach sich 2004 für die Rezeptfreiheit aus. Politisch gab es dafür keine Mehrheiten. Bislang jedenfalls.

Welcher Wirkstoff in der Pille ist, ist entscheidend

"Der schreckliche Vorfall in Köln bringt möglicherweise etwas Gutes für viele Frauen mit sich: den rezeptfreien Zugang zur Notfallverhütung", sagt Medizinsoziologin Daphne Hahn, seit 2010 Bundesvorsitzende von pro familia. Mit der Kampagne "Pannenhilfe nach 6" versucht Pro familia seit 2012, die Rezeptfreiheit der "Pille danach" wieder auf die politische Agenda zu setzen. "Bis jetzt haben wir dafür vor allem Gegenwind bekommen", sagt Hahn. "Von medizinischer Seite, aber es gibt in der deutschen Gesellschaft auch viele moralische Vorbehalte gegen die Pille danach." Zu Recht?

Es gibt zwei verschiedene "Pillen danach" – eine mit dem Wirkstoff Levonorgestrel und eine mit Ulipristal. Das lang erprobte Levonorgestrel verhindert den Eisprung. Je früher die Pille nach dem Sex eingenommen wird, desto besser wirkt sie. Denn: Hat der Eisprung einmal stattgefunden, verhindert Levonorgestrel keine Schwangerschaft. Treffen sich Ei und Spermien – die bis zu fünf Tage im Gebärmuttermund überleben können – können sie sich verbinden. Und sich in die Gebärmutter einnisten. "All dies verhindert der Wirkstoff nicht", sagt Susanna Kramarz, Sprecherin des Berufsverbandes der Frauenärzte. "Damit greift er nicht in das Werden eines gezeugten Menschen ein, sondern kann nur seine Entstehung verhindern."

Auch der neuere Wirkstoff Ulipristal, verbreitet unter dem Namen EllaOne, verhindert den Eisprung, noch länger als Levonorgestrel: bis zu fünf Tage. Zudem unterdrückt es die Bildung von Proteinen, die für den Beginn und Erhalt einer Schwangerschaft notwendig sind. Aber: Eine fruchtschädigende Wirkung ist - anders als beim im Ausland rezeptfreien Levonorgestel - nicht ausgeschlossen. Vor der Verschreibung von Ulipristal müssen Ärzte daher eine bestehende Schwangerschaft ausschließen.

Für eine Rezeptfreiheit eignet sich der neue Wirkstoff schon deshalb nicht – er ist auch nirgendwo rezeptfrei, und auch pro familia fordert nur die Rezeptfreiheit von Levonorgestrel.

Frauenärzte lehnen die rezeptfreie Pille ab

Die Frauenärzte sind allerdings dagegen. Sprecherin Susanna Kramarz erklärt: "Wir lehnen auch eine Rezeptfreiheit von Levonorgestrel strikt ab. Die Pille danach sind hochdosierte Hormone, das hat Nebenwirkungen, über die die Frauen kompetent aufgeklärt werden sollten." Zudem sei oft eine Beratung über Verhütung generell sinnvoll. "Und es gibt ja Tag und Nacht einen ärtzlichen Notdienst."

So sieht sie aus, die Pille danach. Hier ein Medikament mit dem Wirkstoff Levonorgestrel.

Für Daphne Hahn von pro familia sind das vorgeschobene Argumente. "Über die Nebenwirkungen kann auch ein Apotheker beraten", sagt sie. "Dort gibt übrigens sowieso Medikamente im freien Verkauf, die viel schwerere Nebenwirkungen haben: sämtliche Schmerzmittel", sagt die Professorin für Medizinsoziolgie der Hochschule Fulda. Für eine allgemeine Verhütungsberatung könne man auch in der Woche darauf einen Termin bei seiner Frauenärztin vereinbaren. "Im Notdienst trifft man in der Regel ja auch eh gar nicht auf Gynäkologen", sagt sie. Sie sieht bei den Ärzten daher vor allem ein ökonomisches Interesse: "Sie wollen an der Verschreibung verdienen können."

Viele Frauen berichteten davon, sich bei Ärzten im Notdienst für ihr Sexualverhalten rechtfertigen zu müssen. "Das schreckt ab, sich die Pille danach überhaupt zu holen", sagt Hahn. "Und das setzt die Frauen dem Risiko einer ungewollten Schwangerschaft aus." Die Pille danach werde an vielen Stellen mit Abtreibung gleichgesetzt. "Es gibt in der deutschen Bevölkerung sehr wenig Wissen über die Wirkung der Pille danach", sagt Hahn. "Es kursieren viele falsche Informationen auch unter Ärzten." Die Pille danach nehmen zu müssen, stehe zudem für viele für ein zügelloses Sexualverhalten. "Dabei gibt es kein hunderprozentig sicheres Verhütungsmittel", sagt Daphne Hahn.

Eine Gefahr, dass Frauen die Pille danach als regelmäßiges Verhütungsmittel einsetzen, wenn sie rezeptfrei ist, sieht Hahn nicht. "Sie kostet mindestens 17 Euro und bereitet Unterleibsschmerzen – sie ist eben was für den Notfall", sagt Hahn.

Empfängnisverhütung ja, Lebensabbruch nein

Wenn der Notfall am Wochenende oder abends eintritt, heißt das in Deutschland bislang: Ein Krankenhaus aufsuchen – von denen viele in katholischer oder evangelischer Trägerschaft sind. Vergewaltigungsopfern wird in katholischen Krankenhäusern geholfen, das hat der Kölner Erzbischof Kardinal Meisner inzwischen erklärt – auch, in dem man sie an Hilfesteller verweist, die Methoden verwenden, die aus katholischer Sicht nicht vertretbar sind. Direkte Empfängnisverhütung jenseits von Enthaltsamkeit an fruchtbaren Tagen ist an sich jedoch laut katholischer Lehre verwerflich, ihre Verordnung stellt katholische Ärzte also immer vor Fragen, die sie unterschiedlich lösen.

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"Empfängnisverhütung bei einer Vergewaltigung ist aus Sicht der katholischen Moraltheologie in Ordnung, Abbruch des Lebenwerdens nicht", sagt Paul Metzger vom konfessionskundlichen Institut Bensheim der evangelischen Kirche. Ein Medikament, das die Einnistung einer befruchteten Eizelle in die Gebärmutter verhindert, ist somit Tötung von Leben. "Dann ist ja schon Leben da gewesen", erklärt Metzger. Das hat auch Kardinal Meisner zur Leitlinie erklärt: Ein Medikament, das die Einnistung verhindert, ist aus katholischer Sicht nicht in Ordnung.

Über das Medikament Ellaone, mit dem Wirkstoff Ulipristal, wird daher zur Zeit verbissen gestritten: Verhindert es möglicherweise die Einnistung einer befruchteten Zelle in die Gebärmutter? Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht. Es streiten aber nicht nur Katholiken. "Für radikale Evangelen ist dies auch ein Problem", sagt Metzger. "Lebensschutz ist sowieso auch in der evangelischen Ethik sehr wichtig, allerdings auch die individuelle Verantwortung. Es gibt nicht die eine bindende Meinung wie bei den Katholiken."

"Pille danach" aus protestantischer Sicht vertretbar

"Eine Notfallversorgung gibt es selbstverständlich in jedem evangelischen Krankenhaus – unabhängig davon, welche Position das Haus oder der behandelnde Arzt zur Umsetzung des Lebensschutzes allgemein hat", sagt Norbert Groß, Direktor des Evangelischen Krankenhausverbandes. Ein Streitfall sei die Pille danach im Verband noch nie gewesen: "Auch wenn sie durchaus unterschiedlich beurteilt werden mag, sind in den entsprechenden Situationen offenbar alle Beteiligten gut mit den Entscheidungen unser Ärzte zu Recht gekommen", sagt Groß.

Bei einer Vergewaltigung sei die "Pille danach" aus protestantischer Sicht ethisch gut zu begründen. Leichtfertig würde aber keine Klinik damit umgehen: "Sie wird ja im Nachhinein genommen und kann in den Prozess des Lebens eingreifen", sagt auch Groß. Entsprechend kritisch ist er beim Thema Rezeptfreiheit. "Die Pille danach ist nicht irgendein Mittel zur Selbstmedikation. Sie so zu behandeln würde einen verantwortungsvollen Umgang mit ungeborenem Leben nicht fördern."

Für Daphne Hahn von pro familia bedeutet ein verantwortungsvoller Umgang mit ungeborenem Leben aber auch, es nicht zu einer ungewollten Schwangerschaft kommen zu lassen. "Frauen gehen damit erfahrungsgemäß verantwortungsvoll um", sagt sie. Die SPD und die Grünen wollen im April eine Initiative für eine rezeptfreie Pille in den Bundesrat einbringen. Bis dahin wird noch viel diskutiert werden.