Foto: imago/Uwe Kraft
Schön geflogen? Die Schwalbe ist der niederschwelligste Betrug im Fußball. Da müsste man ansetzen, wenn man wieder Ehrlichkeit ins das Spiel bringen möchte, meint Fußball-Autor David Kadel.
"Mit Ehrlichkeit schwimmt man heute gegen den Strom"
David Kadel kennt den Fußball-Betrieb von innen. Er ist Inspirationstrainer für Bundesliga-Spieler, betreut unter anderem Bundesliga-Vereine und hat in seiner "Fußball-Bibel" gläubige Fußballer porträtiert, die ihre Kraft aus dem Glauben an Gott schöpfen. Der Wettskandal überrascht ihn nicht: Auch Fußballer sind nur Menschen, mit allen ihren Fehlern, sagt er im Interview.
07.02.2013
evangelisch.de

Herr Kadel, ein globaler Wettskandal erschüttert die Fußballwelt. Wie kann es passieren, dass so viele Spieler, Schiedsrichter und Funktionäre ihren eigenen Sport betrügen?

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David Kadel: Das schwelt schon seit Jahren. Man hat schon vor Jahren gesagt, das ist die Spitze des Eisbergs. Scheinbar kommt man jetzt tiefer unter die Spitze. Was mich daran vor allem beschäftigt: Viele Leute glauben, dass Fußballer heute ausgesorgt hätten. Das ist nicht so, nur etwa jeder Zehnte hat so viel beiseitegelegt, dass er nach seiner Karriere davon leben kann.

Die Fußballergewerkschaft VDV sagt, jeder vierte Fußballer komme nach seiner Karriere zu ihnen und bittet um Hilfe. Einige der Fußballer, mit denen ich ganz eng zusammenarbeite, haben in den letzten zwei, drei Jahren tatsächlich auf der Straße gestanden.

Ich kann mir gut vorstellen, dass manche in den letzten zehn Jahren gemerkt haben: Oh, die Verträge sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, wenn man nicht bei einem Topclub ist. Dazu kommt, dass die Vereine Spieler einkaufen, die 17, 18 Jahre alt sind. Da kann es sein, dass einer mit 25 arbeitslos wird, obwohl er eigentlich noch ein guter Kicker ist.

Es ist also einfach eine Frage des Geldes?

Kadel: Uwe Seeler hat einmal gesagt: "Es ist die verdammte Gier". Fußballer, die eigentlich alle Möglichkeiten haben, anders als Krankenschwestern oder Handwerker, und sich trotzdem auf solche Betrügereien einlassen, die zeigen genau diese Gier.

Die Geduld fehlt vielen auch. Man nimmt eine Abkürzung, man will nicht darauf warten, dass man durch Fleiß an seinen Lohn kommt. Daran zu glauben, dass man eines Tages das erntet, was man gesät hat, fällt vielen Menschen schwer. Es sind einfach Werte, die uns fehlen, und das führt dazu, dass das so normal geworden ist. Dann fallen Sätze wie: "Das macht doch jeder." Das ist ein ganz gefährlicher Satz.

"Mit Mut zum Ehrlichsein schwimmt man gegen den Strom"

Wie kann so eine Manipulation überhaupt funktionieren? Es klopfen ja nicht Delegationen der Wettmafia aus Singapur mit großen Koffern voller Geld an die Kabinentüre der Vereine - oder?

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Kadel: Wenn ich in der Kabine oder im VIP-Bereich sehe, wie oft Spieler von Menschen umringt sind, die ihnen mal eben so eine Karte zustecken, kann ich mir das schon erklären. Ich kenne einen Spieler, der uns erzählt hat, wie das abläuft: Da kommt dann einer, der fragt: Hast du nicht Lust, mit deinem Namen etwas dazuzuverdienen? Die Spieler denken dann erst an einen Werbevertrag. Aber beim zweiten, dritten Mal kommen die und machen ganz andere Angebote.

Ein Stürmer wird da nicht viel machen können. Die Abwehrspieler, Torhüter, das sind so die Gefragten. Schiedsrichter sowieso, aber auch Funktionäre. Gerade die werden ja nicht durch die Mannschaft abgeschirmt. Es ist ein Leichtes, ins Hotel zu gehen und ihm einen Koffer ins Hotel zu stellen mit der Bemerkung: Du weißt, für wen du morgen pfeifen sollst. Von so einem Betrug müssen nicht einmal mehr Leute wissen als der mit dem Koffer – und der Spieler oder Schiedsrichter selbst.

Man wünscht sich, die Beteiligten wären dann charakterstark genug, um diesen Koffer abzulehnen. Aber wenn es wirklich so einfach und so heimlich sein kann: Wo bleibt da die Moral? Regt sich da nicht ein schlechtes Gewissen, die eigene Integrität und die Vorbildfunktion einfach so für Geld aufs Spiel zu setzen?

Kadel: Mut zum Ehrlichsein, damit schwimmt man doch heutzutage gegen den Strom. Wenn ich an der Kasse zur Kassiererin sage: "Sie haben mir zehn Euro zu viel rausgegeben", werde ich von den Leuten in der Schlange angeguckt, als wäre ich Millionär.

Alle paar Jahre platzt diese Seifenblase Bundesliga. Man will den Fußball gern als heilige Kuh in Deutschland behalten, auch weil die Funktionäre sehen, dass man da viel Geld verdienen kann. Das scheitert aber daran, dass Menschen so sind, wie sie sind.

Im Fußball erscheinen die Spieler als Stars, sie sind Idole, die als Poster an der Wand kleben. Letztlich sind das aber auch nur ganz normale Menschen mit Hang zur Lüge, zum Betrug. Das wird oft ausgeblendet. Nur weil er Fußballprofi ist, soll er auch Vorbild sein? Das funktioniert oft nicht. Die Spieler werden der Rolle nicht gerecht, in die sie von der Gesellschaft reingedrängt werden.

"Du darfst alles machen, nur nicht betrügen"

Profi-Fußballer zu werden ist trotzdem immer noch ein Traumberuf. Erfolg, Anerkennung, Geld, und das alles als Ergebnis harten Trainings und noch härterer Arbeit - aus diesem Rollenmodell können Fußballer ja nicht einfach aussteigen. Sie sind einfach Vorbilder für ihre Fans, junge wie alte. Wie können sie das auch bleiben?

Kadel: Es wäre wünschenswert, es gäbe so etwas wie einen Ehrenkodex. Im englischen Fußball gibt es ein paar Regeln, die für jeden klar sind. Zum Beispiel: Der einfachste Betrug im Fußball ist eine Schwalbe, und selbst damit kann man ja schon Gelder verschieben. In England werden Spieler nach einer Schwalbe von ihren eigenen Fans ausgepfiffen. Das ist der Anfang. Man bräuchte eine Kultur, in der klar ist: Du darfst alles machen, nur nicht betrügen, von der Schwalbe über das versteckte Foul bis eben zum Wettbetrug.

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Da müsste sich die DFL mal hinsetzen und einen Verhaltenskodex entwickeln, der schon in der Jugendarbeit anfängt. "Fair Play" hat man schon millionenfach gehört, man müsste dafür ein neues Wort finden. Man bräuchte dafür Vorbilder. Wo haben wir die denn noch, wenn Leute wie zu Guttenberg, Wulff und Brüderle die Schlagzeilen bestimmen? Wir brauchen neue Vorbilder.

Aber es gibt doch noch einige Fußballer, die als Vorbilder funktionieren. Einige davon haben Sie ja selbst porträtiert, so wie Deutschlands authentischsten Fußballtrainer Jürgen Klopp.

Kadel: Bei Jürgen Klopp ist es so, dass der auch Fehler macht. Der ist auch kein Heiliger, legt sich zum Beispiel gerne mit den vierten Offiziellen an. Aber wenn er mit seinen Fehlern konfrontiert wird, sagt er von sich: "Ich bin ein Idiot", wenn er die Bilder hinterher selbst im Fernsehen sieht. Er bringt diese Demut mit. Solche Leute können Vorbilder sein. Aber schon Jesus wusste: Einer von zwölf ist immer ein Bescheißer. Die wird es immer geben. Im Fußball ist es dann einer von elf.