Foto: Adrian Stähli
Gretel und Malte Sieveking während der Dreharbeiten. Sohn und Regisseur David Sieveking ist im Hintergrund zu sehen.
Ein Film mit Lernpotenzial
Drei Fragen an den Demenzexperten Stefan Görres
"Vergiss mein nicht" heißt ein Dokumentarfilm von David Sieveking, in dem er seine demenzkranke Mutter porträtiert und den Umgang seiner Familie mit der Krankheit schildert. Der Film sei unbedingt sehenswert, weil er neue Wege im Umgang mit demenzkranken Menschen zeige, sagte der Bremer Demenzexperte Stefan Görres dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Film läuft in diesen Tagen in den Kinos an.
04.02.2013
epd
Ulrike Millhahn

Herr Professor Görres, die Diagnose "Demenz" erfüllt fast jeden Menschen mit großer Angst. Lassen sich der Erkrankung nach Ihren Erfahrungen auch positive Aspekte abgewinnen?

Stefan Görres: Grundsätzlich ja. Allerdings unterscheiden wir unterschiedliche Schweregrade. Je schwerer die Erkrankung ist, desto schwieriger wird es, das Positive zu sehen.

Eine mittelschwere Demenz, wie der Film sie dokumentiert, kann die Beziehung zu den Angehörigen sogar positiv beeinflussen. So kann sich zum Beispiel ein lebenslanger Mutter-Sohn-Konflikt dadurch lösen, dass der Sohn seine Mutter mit anderen Augen wahrnimmt und ein neues emotionales Verhältnis zu ihr entwickelt. Etwas Ähnliches geschieht ja auch im Film: Er wirft einen neuen Blick auf Demenz, indem er die Erkrankung nicht nur als Defizit definiert. Wenn das geschieht, gibt es sogar Glücksmomente für alle Beteiligten.

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Wie geht es den Erkrankten eigentlich selbst, wenn sie von Menschen umgeben sind, die ihnen ständig sagen, was sie zu tun und zu lassen haben?

Görres: Gerade im Anfangsstadium ist den Betroffenen ihre Vergesslichkeit sehr bewusst. Es irritiert und belastet sie, wenn sie ständig korrigiert werden und Vorwürfe zu hören bekommen. Phasen des Unglücklichseins gibt es bei der Erkrankung genauso wie im normalen Alltag auch, aber sie sind nicht unbedingt der beherrschende Zustand der Demenzkranken. Unglücklichsein setzt ja eine Reflektion über die eigenen Gefühlszustände voraus. Ob Menschen mit fortschreitender Demenz dazu noch fähig sind, erforschen wir noch.

Was können wir also tun, um den Betroffenen die schwierige Situation zu erleichtern?

Görres: Wichtig ist, dass wir unsere eigenen Vorstellungen, wie die Welt sein sollte, zurücknehmen. Wir müssen Verhalten akzeptieren, das nicht in unser übliches Schema passt. Wenn der oder die Erkrankte jetzt, in diesem Moment, glücklich ist, sollte mich das auch glücklich  machen, auch wenn ich die Gründe dafür selbst nicht verstehen kann.

Natürlich ist es belastend, wenn die Mutter den Sohn nicht mehr erkennt. Wenn die Mutter sich nicht mehr wie eine Mutter verhalten kann, muss ich auch meine Rolle als Sohn oder Tochter neu definieren. In dem Moment, wenn wir die engen Grenzen unserer Rollen verlassen, kann uns das sehr frei machen und den Zugang zur Demenz öffnen. Genau das zeigt der Film. In ihm steckt eine Menge Lernpotenzial, um anderes Verhalten zu trainieren. Ich wünsche "Vergiss mein nicht" sehr viele Zuschauer.