Sexismus, Sprache, Shitstorms - und was sagt die Bibel?
Der Fall Brüderle hat eine breite Diskussion über den alltäglichen Sexismus in Deutschland entfacht. In einem Beitrag für evangelisch.de schreibt die in Freiburg lehrende Theologin Isa Breitmaier über Sexismus und Gewalt, warum das Sprechen darüber so schwierig ist und wie die Bibel mit der Thematik umgeht.

Sexistische Gewalt ist Alltag auch bei uns: Ich stehe Ende Januar 2013 in der üblichen, wohl sortierten Menschenschlange in einem Postamt in Süddeutschland. Es dauert! Minutenlang geht nichts vorwärts. Eine Kundin, die gerade an einem der Schalter bedient wird, ruft in ihrer Sprache eine Freundin von hinten zu sich, sie müssen am Schalter etwas gemeinsam klären.

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Die Freundin schiebt sich an uns allen vorbei, es ist eng. Als sie bei einem Mann vorbeikommt, zischt er hinter ihr her: "Excuse me please - Fotze".  Die Dame vor ihm in der Schlange wendet sich ihm zu und fragt irritiert: "Bitte?" Er murmelt und schweigt. Alltäglich sexistische Gewalt.

Da könnte man meinen, wir seien einen Schritt weiter gekommen durch die "Zivilisation", die Menschenrechte, die allgegenwärtigen Appelle an die Fairness an den Arbeitsplätzen, in der Zivilgesellschaft. Und dennoch: Wir begegnen sexistischer Gewalt alltäglich, oft unwidersprochen, in der Regel knapp unterhalb der Grenze des Tolerierbaren auch in Deutschland, auch im aufgeklärten Land mit hohem Wohlstandsniveau.

Ein aktuelles Beispiel dafür sind die sexistischen Äußerungen des Ministers Brüderle, die gerade zum Zeitpunkt seiner Nominierung zum FDP-Spitzenkandidaten an die Öffentlichkeit geraten und so zur (lustvollen oder gezielt demontierenden?) Würze des Politgeschäfts dienen.

Das Leiden der indischen "Studentin"

Am 29. Dezember vergangenen Jahres ist Jyoti Singh Pandey gestorben, die Studentin aus Delhi, die zwei Wochen zuvor Opfer eines brutalen sexistischen Verbrechens wurde. In den Presseberichten wird sie "die Studentin" genannt, sie ist Opfer, ein missbrauchtes Bündel, das nackt aus dem Bus geworfen wurde und auf das sich dann die Blicke aller richteten. "Todesstrafe für die Mörder!" - "Straffreiheit für die Jungs, sie wollten ja nur spielen!“

Wir erfahren Fakten über die männlichen Täter, ihre Vorgeschichte, ihre Wesensart, zum Beispiel "aufbrausend" (was hat das mit einer Vergewaltigung zu tun?), ihre Verwandtschaftsverhältnisse. Wir erfahren Details über den Hergang der Vergewaltigung der "Studentin". All dieses Gerede hilft Jyoti nicht aus ihrer Opferrolle heraus, sondern vervielfältigt sie, macht sie zum wiederholten Mal zum Objekt der Neugier, der Begierde, der Diskussionen um Unschuld und Schuld der Täter. So wurde Jyoti Singh Pandey ihre Würde nicht einmal, sondern viele Male geraubt. Hätte sie ihre Würde je wieder finden können, wenn sie überlebt hätte?

Ein Verbrechen wird sprachlich reproduziert

Es ist wie immer mit Gewalt: Einmal in die Welt gesetzt wirkt sie leicht ansteckend, klebt sie an allen, die davon Kenntnis erhalten und lässt sich nicht leicht abschütteln. Wir fragen also: Wie kann über ein sexistisches Verbrechen gesprochen werden, ohne es sprachlich zu reproduzieren, ohne es in der Diskussion der Banalisierung oder Leugnung preiszugeben und damit die Geschädigte fortwährend weiter zu beschädigen? Wie kann darüber gesprochen werden ohne gewollt oder ungewollt zur Nachahmung aufzufordern? Wie kann über ein Verbrechen gesprochen werden, ohne dass es in der Phantasie wieder und wieder, lustvoll(?) nachgespielt und die Bereitschaft zur Gewalt wachgehalten wird?

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In der Theologie taucht die Frage nach dem Umgang mit sexistischer Gewalt nicht zuletzt angesichts der "texts of terror" auf, den biblischen Gewalterzählungen. Da ist die namenlose Frau des Benjaminiters in Richter 19 oder Tamar, die Tochter des Königs David, die von ihrem Bruder vergewaltigt wird (2. Samuel 13). Da gibt es die Missbrauchsgeschichte zwischen David und Bathseba und andere mehr. Auch diese Texte können nur kritisch rezipiert werden, denn allzu oft wurden Gewalthandlungen in der Geschichte damit legitimiert oder man hat sich darauf berufen. Selbst wenn sie im biblischen Kontext als Gegengewalt erzählt werden, konnten sie im Einzelfall aus dem Kontext herausgelöst als Aufforderung zur Gewalt missbraucht werden.

Dasselbe geschieht auch täglich, selbst mit aufklärerisch gemeinten, Auslassungen auf Facebook oder Twitter. Ariane Friedrich hat jüngst erfahren müssen, was passieren kann, wenn sich eine Frau wehrt und zum Gegenangriff übergeht. Die Hochspringerin veröffentlichte die Identität des Mannes, der sie über Facebook sexuell belästigte, und geriet in einen "Shitstorm", der sie wochenlang seelisch ans Limit brachte.

Das eigene Verhalten überprüfen

Mut macht einzig der Moment der Selbstreflexion. In Indien beginnt eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem bisher banalisierten Thema der Frauenverachtung. Wenn uns das grauenhafte Verbrechen berührt und wir beginnen, uns mit dem eigenen Gewaltpotenzial auseinanderzusetzen und unser eigenes Verhalten zu überprüfen, kann der Gewalt etwas entgegengestellt werden. Verhaltensänderung aber beginnt letztlich nicht auf der Bühne der medialen Weltöffentlichkeit, sondern im Inneren eines jeden Einzelnen.