Dass die Sexismus-Debatte jetzt wieder öffentlich wird, kann Johanna Beyer leicht erklären. Seit 1992 ist sie Frauengleichstellungsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB). Ihre These: Immer, wenn es einen Ausschlag zu mehr Frauenrechten gibt, wie aktuell die Frauenquote, dann gibt es auch eine Gruppe, die die Frauen wieder auf ihren Platz verweisen will. Einen Platz, der nicht auf Augenhöhe mit den Männern ist.
Für Johanna Beyer ist Sexismus alles, was Frauen ungleich und minderwertig macht - beispielsweise Frauen auf ihr Aussehen zu reduzieren oder auf traditionell weibliche Dienstleistungen. "Der Sexismus wird jetzt wahrnehmbar, weil Frauen ihre Ansprüche geltend machen und als professionelle Partnerinnen wahrgenommen werden wollen."
Die Grenze zwischen Flirt und Belästigung
Ihre Kollegin Ursula Kress, Beauftragte für Chancengleichheit in der württembergischen Landeskirche, hält den Zeitpunkt der aufkommenden Sexismus-Debatte allerdings für verschenkt. Denn das Magazin Stern wird jetzt dafür angegriffen, dass es mit dem Artikel "Der Herrenwitz" dem ohnehin politisch gerade angezählten Rainer Brüderle noch einen Stoß versetzen wolle. "Wenn sich diese Ansicht durchsetzt, dann bringt es dem Thema Sexismus gegen Frauen nichts, weil es für politische Machtspiele instrumentalisiert wurde."
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Und dabei sei es gut, wenn das Thema öffentlich diskutiert werde: "Sexismus ist alltäglich", sagt Ursula Kress. Deutliches Zeichen ist für sie die Werbung. Halbnackte Frauen mit offenen Mündern schmachten an jeder Litfaßsäule und Bushaltestelle die Passanten an. "Frauen müssen sagen, dass sie das geschmacklos finden." Ein Beispiel dafür, dass Frauen eine Werbekampagne stoppen können, sei das Netzwerk Europäischer Frauen im Management (EWMD). Die Managerinnen beschwerten sich über die Werbung mit einer halbnackten Frau auf einem Auto, die für den Autoverleiher Sixt warb. Denn schließlich gebe es auch eine kaufkräftige weibliche Klientel, die Dienstwagen leihe. Sixt stellte die Anzeige ein.
Die Grenze zwischen Flirt und Belästigung liegt für Johanna Beyer dort, wo Angebote nonverbal und verbal abgelehnt werden und das Gegenüber diese Ablehnung ignoriert. "Man muss sich immer vergewissern, ob das Spiel auf Gegenseitigkeit beruht." Wenn einer von beiden glaube, er dürfe allein aufgrund seiner Position das Spiel weiterspielen, dann sei die Grenze vom Flirt zur Belästigung überschritten.
Das Bild des Mannes entwürdigt
Beate Ludwig, aus dem Frauenreferat der Kirche im Rheinland, sieht aber auch einen gesellschaftlichen Wandel: "Früher haben es viele Frauen als Kompliment empfunden, wenn sie an einer Baustelle vorbeigingen und die Bauarbeiter gepfiffen haben. Heute empfinden viele es eher als Beleidigung." Sie hält vor allem Abhängigkeitsverhältnisse für gefährlich. "Es kommt immer auf den Kontext und die Situation an, in der jemand eine Bemerkung macht." Wenn der Chef anzüglich werde, sei es für Frauen möglicherweise schwieriger, sich dagegen zur Wehr zu setzen, als wenn ein Kollege zudringlich werde.
"Frauen sind oft unsicher: bin ich jetzt zickig oder ist das wirklich nicht in Ordnung?", sagt Beate Ludwig. Die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) hat deshalb vor kurzem Leitlinien zum Umgang mit sexualisierter Gewalt herausgegeben. "Für mich ist nicht maßgeblich, wie der Mann eine Bemerkung gemeint hat, sondern wie die Frau sie versteht", sagt Beate Ludwig.
Insgesamt hält Johanna Beyer die wiederaufgekommene Sexismus-Debatte für einen Ausdruck unserer noch immer geschlechterungleichen Gesellschaft. "Die Beharrungstendenzen des unterschwelligen Sexismus sind in Wellen mal größer mal geringer." Dennoch gebe sie die Hoffnung für Gleichberechtigung nicht auf. Und im Grunde genommen entwürdige sexistisches Verhalten das Bild des Mannes, sagt Johanna Beyer. Schließlich seien beide Geschlechter das Ebenbild Gottes: "Sie beleidigen also die Gottesebenbildlichkeit, wenn sie nur auf die Macht und die Herabsetzung der Frau aus sind."