Foto: epd-bild/Dream Works Pictures
Filmkritik der Woche: "Lincoln"
Mit Herzblut gegen Sklaverei: Steven Spielbergs "Lincoln" verleiht dem legendären US-Präsidenten ein menschlicheres Gesicht. Der Film zeigt einen genialen Politiker im unerbittlichen Kampf für die Abschaffung der Sklaverei.
23.01.2013
epd
Martin Schwickert

Abraham Lincoln (1809-1865), der 16. Präsident der Vereinigten Staaten, gehört zu den beliebtesten Helden des amerikanischen Kinos. Mehr als 300 Werke, in denen Lincoln als Filmfigur auftaucht, listen Datenbanken wie "The International Movie Data Base" auf.

Nun hat sich Steven Spielberg der Ikone angenommen. Der schlichte Titel "Lincoln" und die epische Filmlänge von 150 Minuten suggerieren einen monumentalen Zugang, aber Spielberg und sein Drehbuchautor Tony Kushner ("München") haben alles andere als ein Heldenepos im Sinn. Der Film konzentriert sich auf die letzten vier Monate im Leben des Präsidenten, in denen dieser alles daran setzt, den 13. Zusatzartikel in der US-Verfassung zu verankern, der die Sklaverei in den Vereinigten Staaten endgültig abschaffen soll.

Im November 1864 fordert der Bürgerkrieg zwar weiterhin immense Opfer, aber es gilt als sicher, dass die Konföderierten ihn nicht mehr gewinnen können. Bevor ein Friedensabkommen geschlossen wird, will Lincoln (Daniel Day-Lewis) den 13. Zusatzartikel im Repräsentantenhaus durchsetzen, weil er befürchtet, dass im wiedervereinten Nachkriegsamerika die Mehrheitsverhältnisse dazu nicht ausreichen werden. Für die umstrittene Verfassungsänderung braucht er nicht nur die Unterstützung seiner republikanischen Partei, sondern auch noch einige Stimmen aus dem Oppositionslager.

Zur Disposition steht mit dem Verbot der Sklaverei ein idealistisches Vorhaben von historischer Tragweite. Aber durch den Wettlauf mit dem herannahenden Frieden stellt sich auch eine Grundsatzfrage der politischen Moral: Darf um des hehren Anliegens willen das Ende des Krieges hinausgezögert und weiteres Blut vergossen werden?

Auf dem Weg zum Ziel liegen zudem die Mühen der parlamentarischen Ebene. Wer Mehrheiten will, kann nicht nur mit Argumenten kämpfen, sondern muss die Parteidiplomatie beherrschen und Kompromisse aushandeln. Darüber hinaus beauftragt Lincoln eine außerparlamentarische Spezialeinheit, die potenziell abtrünnige Parteigenossen besticht und unter Druck setzt.

Das Spektrum des demokratischen Entscheidungsprozesses

Vom edlen Idealismus bis zu den kleinen schmutzigen Tricks des politischen Geschäfts spannt Spielberg das Spektrum des demokratischen Entscheidungsprozesses und schafft so einen äußerst spannenden Politkrimi. Darin eingebettet wird ein differenziertes Porträt Lincolns, der als schillernde und sehr menschliche Figur gezeichnet wird.

Und da leistet der wunderbare Daniel Day-Lewis hervorragende Arbeit. In der Körpersprache zurückgenommen konzentriert er seine Ausdruckskraft auf das gesprochene Wort. Mit fein modulierter Intonation konturiert er die charakterlichen Facetten Lincolns, der auf sanfte Art bestimmt auftritt, einen endlosen Schatz an Anekdoten zum Besten gibt und nur einen einzigen kurzen Moment im Film mit der Hand auf den Tisch schlägt und seine Stimme erhebt. Aber auch wenn Lewis sich hier auf der Liste der "Oscar"-Anwärter ganz nach oben spielt, ist Lincoln vor allem ein klug strukturiertes Ensemblestück, in dem sich exzellente Schauspieler wie David Strathairn, Sally Field, Bruce McGill, James Spader und Jackie Earle Haley passgenau in die historischen Figuren einarbeiten.

In den USA ist "Lincoln" fünf Tage nach der Präsidentschaftswahl in die Kinos gekommen, und natürlich sind die Echos der politischen Gegenwart in dem historischen Film evident. Wie Lincoln kämpfte auch Obama in seiner ersten Amtszeit gegen die Blockadepolitik des Repräsentantenhauses, das sich gegen seine Sozial- und Gesundheitsreformen stemmte. Im Gegensatz zu Lincoln unterlag Obama im parlamentarischen Zermürbungskrieg immer wieder, was zu verstärkter Demokratiemüdigkeit im Land führte. Dem setzt Spielbergs "Lincoln" auf historischem Terrain einen äußerst spannenden Demokratiethriller entgegen, der die Niederungen des Parlamentarismus, aber auch die politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Systems differenziert auslotet.

Regie: Steven Spielberg. Mit Daniel Day-Lewis, Sally Field, David Strathairn, Joseph Gordon-Levitt, James Spaer, Hal Holbrook, Tommy Lee Jones. Länge: 150 Min. FSK: 12, ff., FBW: besonders wertvoll.