Seit einiger Zeit trägt Alexandra Winter einen kleinen silbernen Anhänger um den Hals. Das Herz mit dem Schutzengel darauf ist ein altes Familienerbe. Die Abiturientin hat es im vergangenen Sommer von ihrer Mutter weitergereicht bekommen - zum ersten Jahrestag der lebensrettenden Operation. Ganz kann auch das Schmuckstück Alexandras lange Operationsnarbe nicht verdecken: Die 17 Jahre alte Mainzer Abiturientin lebt seit 2011 mit einem Spenderherz.
Rund 12.000 Menschen in Deutschland warten zurzeit auf ein Spenderorgan. Nach Bekanntwerden der Manipulationen in mehreren Transplantationszentren ist die Zahl der Organspender in Deutschland 2012 jedoch auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren gefallen. Selbst die für die Koordinierung aller bundesweiten Organspenden zuständige Deutsche Stiftung Organspende sieht das Vertrauen potenzieller Spenden wegen der jüngsten Skandale "massiv erschüttert." Viele der schwer kranken Patienten werden sterben, bevor ein passender Spender gefunden werden kann.
Sie steht oben auf der Liste - weil sie jung ist
Alexandra Winter ärgert sich maßlos über diese Betrügereien und deren fatale Folgen für die Spendenbereitschaft der Deutschen. Ihre eigene Odyssee begann im Frühjahr 2011: Die Gymnasiastin ist bis dahin eigentlich immer kerngesund gewesen. Gedanken über das Thema Organspende hat sich die damals 15-Jährige bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gemacht: "Ich wusste nichts von der Problematik, dass es zu wenig Organe gibt." Als sie sich längere Zeit schlapp und kraftlos fühlt, glaubt die Schülerin zuerst an eine hartnäckige Erkältung.
Seit 2011 lebt Alexandra Winter mit einem Spenderherz. Foto: epd-bild/Andrea Enderlein
Ein Arzt stellt ihr die Diagnose Pfeiffersches Drüsenfieber - eine eigentlich harmlose Virusinfektion. Doch in Alexandras Fall führt die Erkrankung zu einer lebensbedrohenden Herzmuskelentzündung. Im April 2011 wird die junge Mainzerin ins Krankenhaus eingeliefert, später muss sie in eine Spezialklinik nach Bad Oeynhausen verlegt werden. "Bald war ich so schwach, dass ich nicht mehr aus dem Bett aufstehen konnte", erinnert sie sich.
Als der Arzt ihr sagt, nur noch ein Spenderherz könne sie retten, ist das Mädchen geschockt, Gedanken an den eigenen Tod verdrängt sie aber so gut es ging: "Ich habe immer gedacht, ich schaffe das." Weil Alexandra noch so jung ist, steht sie weit vorne auf der Dringlichkeitsliste der Empfänger für ein Spenderherz. An einem Junitag, abends um 18 Uhr, erhält sie die Nachricht, dass ein Herz gefunden sei. Sofort werden die Vorbereitungen für die Operation eingeleitet, am nächsten Morgen kann die Transplantation beginnen.
Ein Tod, der ein neues Leben möglich macht
"Als ich aufgewacht bin, habe ich direkt den kräftigen Herzschlag gespürt und gewusst, es hat funktioniert", erzählt Alexandra. "Das klingt zwar etwas kitschig, aber genau so war es." Schon im August kann sie wieder in die Schule gehen. Nur wenige Patienten schaffen nach einer Herztransplantation so schnell wieder die Rückkehr in ihr gewöhnliches Leben. Inzwischen plant die Abiturientin schon für die Zeit nach der Schule. Am liebsten möchte sie Psychologie studieren, möglichst in Wien.
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Die Operation, das Warten auf ein passendes Spenderorgan und die Monate in der Spezialklinik haben aus der Abiturientin einen anderen Menschen gemacht. "Ich sehe es nicht mehr als selbstverständlich an zu leben", sagt sie. Jetzt, nach der Operation, interessiert sich sie sich für ganz andere Dinge als ihre Schulfreunde. "Meine Freunde regen sich über Dinge auf, die für mich gar keine Relevanz mehr haben."
Alexandra wird ihr Leben lang Medikamente einnehmen müssen, um zu verhindern, dass ihr Immunsystem das fremde Organ abstößt. Sie muss sich von kranken Menschen fernhalten, darf weder Salami, Grapefruits noch bestimmte Käsesorten essen. Zwar konnte der Hovawart-Familienhund Caspar im Haus bleiben, aber neue Haustiere wird sie sich nie mehr anschaffen dürfen. Und doch wird Alexandras neues Herz nicht ewig halten. Irgendwann wird sie eine weitere Transplantation benötigen.
"Ich mache mir schon ziemliche Gedanken, was passiert, wenn es nicht mehr funktioniert", sagt die Mainzerin. Im Moment aber überwiegt bei ihr noch die Dankbarkeit für einen Menschen, den sie nie kennengelernt hat, dessen Name für sie immer ein Geheimnis bleiben wird und dessen Tod ihr ein neues Leben möglich machte.