Anfang Oktober sind die Märchenstunden in zwei Berliner Pflegeheimen als Pilotprojekt gestartet: In vier Guppen kommt seither wöchentlich eine speziell ausgebildete Schauspielerin zu den älteren Menschen, die alle an einer mittel bis schwer ausgeprägten Demenz leiden.
Besonders wichtig ist eine entspannte, ruhige und positive Atmosphäre, Kerzenlicht kann das unterstützen. "Es hat einige Zeit gedauert, aber mittlerweile hat sogar ein Demenzpatient mit einer schweren epileptischen Erscheinungsform keine Angst mehr und fühlt sich in der Gruppe sichtlich wohl", berichtet Dierking. Manche Patienten applaudieren und bedanken sich sogar nach den Erzählungen - mit einem offenen Blick.
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Das ist allerdings keine neue Beobachtung: Die Logopädin Tanja Mahn-Bertha geht seit mehr als drei Jahren wöchentlich in ein Seniorenstift, um selbst erfundene Märchen zu erzählen. Die Senioren lächeln, wenn sie kommt. Viele beteiligten sich aktiv an der Stunde, indem sie beispielsweise mit dem Kopf nicken, schreibt Mahn-Bertha online im "Brüder Grimm Märchenforum".
Doch gehe es bei dem Pilotprojekt eben nicht nur um das gesteigerte Wohlbefinden, erklärt Dierking. "Wir untersuchen wissenschaftlich veränderte Verhaltensweisen während und eben auch nach den Stunden." Diese systematische Beobachtung sei neu, sagt Barbara Weigl, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Fachbereichs Pflegemanagement an der Evangelischen Hochschule Berlin. Sie betreut die Forschungsarbeit: "Das Pilotprojekt kann Ergebnisse liefern, um noch größere Untersuchungen anzustoßen."
Türöffner zur Personalität
Die Pflege-Expertin Weigl sagt: "Märchen sind oft ein Türöffner zur Emotionalität und Personalität von Demenzpatienten." Denn bei vielen Patienten bieten sie einen Zugang zum Langzeitgedächtnis, das bei einer fortgeschrittenen Demenz noch am ehesten zugänglich sei. Dierking zufolge werden insbesondere Märchen, die zwischen den Jahren 1910 und 1925 populär waren, für die Lesungen ausgewählt. "Denn das sind die Märchen aus der Kindheit der Patienten, die häufig tief im Langzeitgedächtnis verankert sind."
Das Pilotprojekt ist wichtig, denn Demenz ist in Deutschland die häufigste Ursache für eine Einweisung in eine Pflegeeinrichtung, rund 500.000 Personen sind aktuell betroffen. Die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales fördert deshalb auch das Forschungsprojekt. Im September sollen die Ergebnisse präsentiert werden.
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Doch schon jetzt berichtet Dierking, dass Angehörige und das Pflegepersonal von den Auswirkungen begeistert seien. Eigentlich sei es für die Erkrankten bereits eine große Herausforderung, die offiziell 25 Minuten Märchenstundenzeit durchzustehen: "Doch mittlerweile wollen die Patienten nach ihrer Stunde häufig nicht gehen und auch zur Lesung der zweiten Gruppe bleiben." Niemand werde auf sein Zimmer geschickt, sagt die Expertin: "Und häufig halten die Patienten, die bleiben wollen, tatsächlich auch die zweite Stunde durch."