Foto: epd/Werner Krüper
Ein alter Mann wird von einer Pflegekraft eingecremt.
Hilft ein Gesetz gegen den privaten Pflegenotstand?
Die häusliche Pflege älterer und kranker Menschen ist oft eine erhebliche Belastung für die Familien. Wesentliche Verbesserungen soll das Pflege-Neuausrichtungsgesetz (PNG) bringen, das zum Jahreswechsel in Kraft getreten ist. Rund 500.000 Demenzkranke erhalten mehr Pflegegeld. Im Gegenzug steigen die Beiträge zur Pflegeversicherung von 1.95 auf 2,05 Prozent, für Kinderlose auf 2,35 Prozent.

Rund 1,4 Millionen Pflegebedürftige werden gegenwärtig in Deutschland in privaten Haushalten betreut. 71 Prozent von ihnen und sogar 87 Prozent der Angehörigen stehen laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums einem möglichen Wechsel in ein Heim ablehnend gegenüber und wünschen ein Leben in den eigenen vier Wänden. Nur gestaltet sich die Pflege zu Hause oft nicht so einfach und konfliktfrei, wie sich das alle Beteiligten im vorhinein vorgestellt haben.

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Die Autorin Martina Rosenberg ("Mutter, wann stirbst du endlich? Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird") versucht in ihrem Selbsterfahrungsbericht darauf aufmerksam zu machen: Die dementen Eltern im eigenen Haus, die sich permanent streiten. Die ständige Angst, dass es zu Verletzungen oder Unfällen kommen kann. Das Rund-Um-Die-Uhr-Horchen, ob etwas ist. Das Nicht-Abschalten-Können. Der permanente Stress und die Sorge um Vater und Mutter, die ihre Tochter entweder nicht mehr erkennen oder an ihr herum kritisieren. Bis hin zu dem schrecklichen Wunsch, dass die eigenen Eltern doch lieber tot sein mögen, als dass die Tochter noch länger diesen Pflegealltagshorror ertragen muss.

Die alltägliche Überlastung

Der Pflegeexperte beim Diakonischen Werk in Deutschland, Peter Bartmann, weiß um solche Schwierigkeiten, wenn Angehörige ihre kranken und dementen Eltern zu Hause versorgen wollen. Das Buch von Rosenberg zeichne das durchaus realistische Bild einer zweigeteilten Welt, einerseits beruflich und gesellschaftlich aktiv im Leben zu stehen, andererseits durch die Pflegesituation plötzlich abgeschottet und allein zu sein.

Peter Bartmann, Pflegeexperte des Diakonischen Werks.

"Pflegende Angehörige tragen in Deutschland einen wesentlichen Anteil der Pflegelast. Dass es da zu Überlastungssituationen kommt, ist keine Ausnahme, sondern ganz alltäglich. Auch dass man aus dieser Situation heraus will und sich wünscht, die zu Pflegenden mögen bald sterben, ist verständlich", weiß Bartmann. Nur ist aus dieser subjektiven Erfahrung zu fragen, was man daraus objektiv ableiten könne - bestimmt nicht, dass Familien in der konkreten Pflegesituation allein bleiben müssten.

Vielmehr können pflegende Töchter und Söhne gerade in Deutschland auf ein ganzes Netz ambulanter und stationärer Hilfen zurückgreifen. Diakoniestationen, ambulante Pflegedienste oder Pflegekassen beraten individuell. Das jetzt in Kraft tretende Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz (PNG) bringt nach Meinung des Experten wesentliche Verbesserungen für die häusliche Pflege: Ambulante Pflegedienste können weil besser finanzierbar leichter in Privathaushalte kommen und Menschen mit Demenz unterstützen, auch wenn diese noch in keiner regulären Pflegestufe I bis III sind. Dann gibt es das Angebot der so genannten Verhinderungspflege. Das heißt, wenn Angehörige tage- oder gar wochenweise ausspannen und Urlaub von der Pflege machen möchten, so kann der zu Pflegende in eine Kurzzeiteinrichtung gebracht werden, in der er versorgt wird.

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"Man kann den ambulanten Pflegedienst vor Ort einfach ausprobieren, denn man geht als Angehöriger keine lange Vertragsbeziehung ein. Wenn es aus irgendwelchen Gründen nicht klappt, kann man das auch jederzeit wieder abbrechen. Die Pflegedienste sind dabei nicht einfach gewerbliche Einrichtungen, sondern sie werden von den Pflegekassen bzw. dem Medizinischen Dienst der Pflegekassen sehr streng kontrolliert", verspricht Bartmann.

Dass Angehörige auch nach dem neuen PNG nur die Hälfte der Pflegesätze wie professionelle Kräfte erhalten, hält der Diakoniefachmann für gerechtfertigt. Denn Familien sollen ja gerade die externe Hilfe für dieses Mehr an Geld in Anspruch nehmen können. Schlimm könne es aber werden, wenn man wie im Buch von Martina Rosenberg geschildert die Pflege zu Hause zum absoluten Muss erhebt, als wäre ein Leben im Heim das Schlimmste, was man seinen Angehörigen antun könnte.

"Angst ist weit verbreitet"

"Die Angst vor dem Pflegeheim ist weit verbreitet. Dann werden familiär Verabredungen getroffen, Mutter kommt nicht ins Heim, die dann in der konkreten Situation für die pflegebedürftigen Menschen gar nicht so gut sind. Eine überforderte pflegende Tochter ist eben nicht besser als ein Pflegeheim, das Fachkräfte hat und das sich besonders auf die Situation von dementiell erkrankten Menschen eingestellt hat", weiß Bartmann.

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Es brauche einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, dass ein Heim nicht ein absolut zu vermeidender Ort sei, meint der Diakoniefachmann. Nicht selten werde gerade die Pflege zu Hause zur Hölle, wenn alle Seiten damit überfordert seien, räumlich, physisch und psychisch. Nicht selten komme es dann auch zu Gewalt in der privaten Pflege. Bartmann drängt auf eine sachgerechte Debatte beim Thema Pflege. Dennoch hält er es für gut, wenn Bücher mit einem sehr emotionalen Tonfall wie das von Martina Rosenberg diskutiert werden. Denn es trage vielleicht dazu bei, dass sich die Öffentlichkeit verstärkt mit der eigenen Gebrechlichkeit und Pflege auseinandersetzt.

"Wenn die starken Jahrgänge im mittleren Lebensalter das jetzt bei ihren eigenen Eltern erleben, dann werden sie auch politisch etwas dafür tun, dass das Risiko der Pflegebedürftigkeit in unserer Gesellschaft stärker wahrgenommen wird und auch besser abgesichert wird“, sagt Bartmann.