Manchmal sind es nur Details, die Michael Wegener stutzig machen. Täglich gibt es neue Amateur-Videos aus Syrien, sie zeigen Kriegsszenen und oft chaotische Situationen. "Wo wurde das Video aufgenommen? Sind im Hintergrund zum Beispiel Berge zu erkennen?", fragt der Journalist. Denn geografische Merkmale sind für ihn entscheidende Hinweise. Gerade die Details seien wichtig, sagt Wegener. Mit simplen Fragen versucht er herauszufinden, aus welcher Region das verwackelte Material stammt - und ob es echt ist. Er ist seit April 2011 Leiter des "ARD Content Center", einer Spezialeinheit der ARD-Nachrichtenredaktionen zur Bildrecherche.
"Man muss ein Gespür entwickeln. Das ist ein Indizienprozess", sagt Wegener, der im Schichtbetrieb mit zwei weiteren Kollegen im Internet nach Bildern sucht, wenn die klassischen Kanäle versiegen. "Wir haben eine Datei von Kontakten aufgebaut für die Länder, in denen wir keine eigenen Reporter haben."
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Auch Syrien sei so ein Fall. "In Syrien gibt es keine unabhängigen Quellen, sondern nur das Staatsfernsehen", beschreibt Wegener das Problem. Doch auf bloße Propaganda wollen sich "Tagesschau" und "Tagesthemen" nicht verlassen: Neues, unverfälschtes Material soll helfen, einen möglichst neutralen Blick auf das zu gewinnen, was in dem isolierten Land wirklich vor sich geht.
Komplizierte Puzzlearbeit
Dieses Material stammt häufig aus dem Internet, hastig hochgeladen von Aktivistengruppen, oft nur spärlich angereichert mit Informationen über den Ursprung der Bilder, um die Menschen vor und hinter der Kamera zu schützen. Nur die Anonymität bewahrt die Filmer an der Front davor, von Geheimdiensten enttarnt zu werden. "Das Material zu finden, ist nicht das Schwierigste", sagt Wegener. "Die wahre Herausforderung ist die Verifikation." Wer hat das Videoband aufgezeichnet? Wo spielen sich die Szenen ab, und vor allem: Wie aktuell ist das Video?
Um diese Fragen zu klären, arbeiten die ARD-Journalisten mit ihren Korrespondenten, spezialisierten Videoportalen und Nahost-Experten zusammen. In einer komplizierten Puzzlearbeit werden die Videoclips mit den Nachrichtenquellen im Netz verglichen: Vielleicht gibt es Augenzeugen, die das Geschehen bestätigen können. Vielleicht meldet sich jemand über Twitter, der Kontakt zur Quelle hat.
Über das Netzwerk Facebook versucht die ARD, an neue Informanten heranzukommen. Unter dem Namen "ARD News Research" betreibt sie eine eigene Facebook-Community, die Kontakt hält zur Welt der Online-Videos. "Wir skypen und chatten sehr viel mit ausländischen Quellen", sagt Wegener. Das Internet mit seinen schnellen Technologien überwindet im besten Fall die Zäune, die restriktive Regierungen aufgebaut haben.
Unlösbare Fälle
So entsteht auch ein neuer Dialog mit den Zuschauern. "Wenn die User merken, dass sie von uns ernst genommen werden, bekommen wir auch mehr Feedback von ihnen", erklärt Wegener das neue partnerschaftliche Prinzip. Zwar habe man nicht so viel Personal in diesem Bereich wie etwa die britischen Kollegen von der BBC. "Aber es profitieren alle Nachrichtensendungen davon, indem sie Bildmaterial bekommen, das sie sonst nicht bekommen hätten."
Trotz aller Akribie gibt es auch unlösbare Fälle. "Es ist manchmal schwierig, alles richtig zusammenzutragen", gesteht Wegener ein. Sprachbarrieren seien noch das geringste Problem. Falls Zweifel bestünden, müsse er abwägen, ob er das Material an die "Tagesschau"-Kollegen weitergibt. Dabei helfen Wegener ganz altmodische "Tagesschau"-Strategien, um sich von der Bilderflut im Netz nicht täuschen zu lassen: "Wir werden nie den Fehler machen, uns nur auf eine einzige Quelle zu verlassen."