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Gesucht wird: Ein Heilmittel gegen Rechtsextremismus
Die Aufdeckung der Neonazi-Morde an Migranten schockte 2011 die Republik. In diesem Jahr suchten Staat und Gesellschaft verstärkt nach Gegenmitteln: Wie ist rechtsextremer Gewalt und braunem Gedankengut beizukommen?
30.12.2012
epd
Barbara Driessen und Ingo Lehnick

Unterschätzt wird Rechtsextremismus in Deutschland mittlerweile kaum noch - zu groß war der Schock, als im November 2011 die Mordserie der Zwickauer Terrorzelle NSU ans Licht kam. Umstritten ist aber, wie der braune Sumpf am besten ausgetrocknet werden kann. Zum Jahresende ist neben der Aufarbeitung des NSU-Terrors ein mögliches Verbot der rechtsextremen NPD ins Zentrum der Debatte gerückt. Diskutiert wird auch über Reformbedarf beim Verfassungsschutz, Aussteigerprogramme und bessere Prävention.

Das Bundesverfassungsgericht wird sich auf Antrag der Länder 2013 erneut mit einem NPD-Verbot beschäftigen müssen. Noch offen ist aber, ob sich Bundestag und Bundesregierung mit eigenen Verbotsanträgen anschließen. In den Parteien ist die Furcht groß, dass die NPD im Bundestagswahljahr aufgewertet werden und ein Verbotsverfahren erneut scheitern könnte. 2003 hatte es daran gehapert, dass die Führungsebene der NPD von verdeckten Ermittlern unterwandet war. Diesmal sollen genügend Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der Partei vorliegen und alle V-Leute abgeschaltet sein. Doch Zweifel bleiben.

Gewaltpotenzial rechtsextremer Gruppen wird unterschätzt

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte in diesem Jahr die brennende Frage zu klären, warum die Zwickauer Neonazi-Zelle jahrelang im ganzen Bundesgebiet jahrelang morden konnte, ohne dass die Behörden eingriffen. Eines der wichtigsten Ergebnisse lautet, dass das Gewaltpotenzial rechtsextremer Gruppen schlicht unterschätzt wurde. Die Fantasie der Ermittler habe nicht ausgereicht, "eine solche furchtbare Tatserie zu denken und damit auch rechtzeitig aufklären zu können", räumte die Bundesanwaltschaft kürzlich ein.

So glaubte die Polizei nach der Explosion einer Nagelbombe in der Kölner Keupstraße 2004 an eine Abrechnung im kriminellen Milieu, obwohl bekannt war, dass ein ähnlicher Anschlag in London einen rechtsextremen Hintergrund hatte. Solchen Hinweisen gingen die Behörden aber kaum nach.

Zaghafte Reform der Sicherheitsbehörden

Der Untersuchungsausschuss legte auch offen, dass die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutzämtern unzureichend war. Viele wichtige Informationen wurden nicht weitergegeben. Streckenweise ergab sich das Bild von Behörden, die geheimniskrämerisch Informationen um ihrer selbst willen sammeln. Als dann auch noch bekannt wurde, dass nach dem Auffliegen der Zwickauer Zelle Akten zur rechtsextremen Szene vernichtet wurden, zog der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, im Juli die Konsequenzen und trat zurück.

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Vor dem Untersuchungsausschuss sagte er selbstkritisch aus, der Verfassungsschutz werde es sehr schwer haben, das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen. Inzwischen sehen sich die Länder mit Forderungen konfrontiert, die Verfassungsschutzämter zusammenzulegen. Nicht nur für Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verläuft die Reform der Sicherheitsbehörden zu zaghaft. Sie will den Posten eines Staatsministers für Extremismusprävention im Kanzleramt einrichten.

Mehr Kompetenz verlangen auch andere Einrichtungen, etwa die Bundesanwaltschaft, die früher als bisher Ermittlungen übernehmen will. Im November erhob sie Anklage gegen die einzige Überlebende des Zwickauer Terror-Trios, Beate Zschäpe, sowie mehrere mutmaßliche Helfer und Unterstützer. Gegen weitere Verdächtige wird ermittelt.

Für ein hartes Vorgehen gegen Rechtsextremismus stand 2012 vor allem der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD), der will, dass die Polizei den Neonazis buchstäblich "auf den Springerstiefeln" steht. Er verbot drei der gefährlichsten Neonazi-Gruppen des Landes. Im Landeskriminalamt wurde zudem ein Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus geschaffen und die Personalstärke des polizeilichen Staatsschutzes verdoppelt.

Studie: Rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung nehmen zu

Mit gezielten Provokationen sorgten die rechtspopulistischen Splitterparteien der "Pro"-Bewegung im Frühjahr in NRW für Ausschreitungen gewaltbereiter Salafisten. Sie gingen auf die Polizei los, nachdem die Rechtsextremisten Mohammed-Karikaturen gezeigt hatten.

Erschrecken löste auch eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus, nach der rechtsextreme Einstellungen in der Bevölkerung zunehmen. Neun Prozent der Bundesbürger verfügen demnach über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, im Osten sind es 16 Prozent. Zunehmend wird daher mehr Prävention gefordert - von Aussteigerprogrammen für Neonazis bis hin zu Investitionen in Bildung und mehr soziale Gerechtigkeit.